# taz.de -- Keine Medizin für Menschen ohne Papiere: Humanität ausgesetzt
       
       > Das Gesundheitsamt Bremen hat die „Humanitäre Sprechstunde“ geschlossen –
       > ohne Ankündigung und ersatzlos. Papierlose sind auf die Hilfe angewiesen
       
 (IMG) Bild: „Humanitäre Sprechstunde geschlossen“: Im Bremer Gesundheitsamt wird Menschlichkeit neu konzipiert
       
       Bremen taz | Die Humanitäre Sprechstunde des Gesundheitsamtes für Menschen
       ohne Papiere ist geschlossen. Eine Ankündigung oder Erklärung von Seiten
       des Gesundheitsamtes gab es ebenso wenig wie einen Ersatz für die
       medizinische Grundversorgung der Betroffenen. Auf Nachfrage sagte ein
       Sprecher der Gesundheitsbehörde der taz: „Die Humanitäre Sprechstunde wird
       derzeit neu konzipiert. Während dieser Übergangsphase wird die Humanitäre
       Sprechstunde für vier Wochen ausgesetzt.“
       
       Was genau sie neu konzipieren will, verrät die Behörde nicht. Ebenso wenig,
       ob die Sprechstunde nach dieser „Übergangsphase“ in gleichem Umfang wieder
       zugänglich sein wird. Behördenintern allerdings soll die Rede davon gewesen
       sein, dass die Sprechstunde „bis auf Weiteres“ geschlossen sei.
       
       Die Humanitäre Sprechstunde hat das Gesundheitsamt seit 2009 in
       Zusammenarbeit mit der Inneren Mission für illegalisierte MigrantInnen
       angeboten, die keine Aufenthaltspapiere und keine Krankenversicherung
       haben. Parallel zu einer medizinischen Grundversorgung wurde ihnen eine
       rechtliche Beratung hinsichtlich ihres Status angeboten.
       
       Die medizinische Sprechstunde fand zweimal wöchentlich durch eine
       Allgemeinmedizinerin und eine Gynäkologin statt, war anonym und kostenlos.
       Insbesondere viele illegalisierte schwangere Frauen hatten auf das Angebot
       zurückgegriffen. Wie andere Menschen, denen bei offiziellem Behördenkontakt
       womöglich eine Abschiebung droht, können auch sie keine Krankenversicherung
       über die Asylgesetzgebung in Anspruch nehmen – und waren auf das Angebot
       dringend angewiesen.
       
       ## Sprechstunden waren voll ausgelastet
       
       Grund für die Schließung ist offenbar Personalmangel. Die beiden Ärztinnen
       des Gesundheitsamtes untersuchen hauptsächlich neu ankommende Geflüchtete.
       Sie zweimal die Woche für die Sprechstunde abzustellen, sei wohl nicht mehr
       zu leisten gewesen, wie die taz erfuhr. Es seien Stellen in den
       Sofortprogrammen im Flüchtlingsbereich ausgelaufen, sodass die Kapazitäten
       der Ärztinnen bis auf Weiteres in der Erstversorgung für Geflüchtete
       gebunden seien.
       
       Laut Flüchtlingsrat ist der Bedarf für die humanitäre Sprechstunde
       „immens“. Marc Millies vom Flüchtlingsrat sagt: „Dass jetzt sogar auf diese
       wenigen Stunden verzichtet wird, ist bestürzend. Der umgekehrte Schritt
       wäre wünschenswert. Es bräuchte einen Ausbau der personellen Ausstattung
       und Zugangsmöglichkeiten.“
       
       Auch nach Informationen der taz war der Bedarf groß: Sowohl die
       Sprechstunde am Dienstag als auch am Donnerstag soll stets voll ausgelastet
       gewesen sein. Wenn donnerstags die Gynäkologin vor Ort war, hätten die
       PatientInnen sogar im Flur des Gesundheitsamtes gestanden, um auf ihre
       Behandlung zu warten – wohl auch zum Ärger einiger MitarbeiterInnen im
       Gesundheitsamt.
       
       Als Ausweichmöglichkeit für Menschen ohne Papiere gibt es derzeit nur das
       Medinetz. Das ist eine durch Aktivisten organisierte medizinische
       Vermittlungs- und Beratungsstelle, in der ehrenamtliche ÄrztInnen akut
       Kranke an Praxen und Hebammen vermitteln, die die PatientInnen umsonst
       behandeln. Medikamente zahlen sie mit Spenden. Vera Bergmeyer, Ärztin der
       Medinetz-Sprechstunde, sagt: „Es ist schwierig, wenn die Humanitäre
       Sprechstunde ohne jegliche Vorwarnung geschlossen wird. Viele der dortigen
       PatientInnen brauchen verschreibungspflichtige Medikamente, die nicht
       einfach ausgesetzt werden dürfen.“
       
       ## „Keiner kommt zur Vorsorge“
       
       Eine Diabetikerin sei etwa zu Medinetz gekommen, weil ihr Insulin ablaufe
       und die Humanitäre Sprechstunde geschlossen sei. „Da kann man nicht einfach
       sagen: wir machen das in vier Wochen“, sagt Bergmeyer. „Die Leute gehen
       meistens mit akuten Problemen in die Humanitäre Sprechstunde. Viele
       Personen leiden unter Zahn- und anderen Schmerzen oder sind schwanger.“ Im
       Unterschied zur Durchschnittsbevölkerung kämen sie meist erst dann, wenn
       sie das Gefühl hätten, der Schmerz gehe von allein nicht mehr weg. „Hierher
       kommt keiner zur Vorsorge, oder um zur Sicherheit mal ein CT zu machen“,
       sagt Bergmeyer.
       
       Die ÄrztInnen bei Medinetz wissen nicht, was nun auf sie zukommt. Bergmeyer
       hatte erst durch PatientInnen erfahren, dass die Humanitäre Sprechstunde
       geschlossen ist – eine Information aus dem Gesundheitsamt erhielt Medinetz
       genau so wenig wie die Betroffenen.
       
       Auch der Flüchtlingsrat hat keine Infos zur Schließung bekommen: „Uns ist
       unklar, was der Plan dahinter ist“, sagt Millies. Die Humanitäre
       Sprechstunde sei als Teil des Gesamtpakets „Bremer Modell“ wichtig und
       erfolgreich gewesen.
       
       Bremen gilt als Vorbild in Sachen medizinischer Versorgung von Geflüchteten
       und hatte etwa als erstes Bundesland eine Krankenkarte für Asylbewerber
       eingeführt, mit der bereits in den ersten Tagen und Wochen nach Asylantrag
       Arztbesuche unkompliziert möglich waren. Ausgeschlossen sind davon jedoch
       Menschen ohne Papiere. Auch diese Personen in der medizinischen
       Grundversorgung einzuschließen, gehört für Millies zum Menschenrecht auf
       Gesundheit. Deswegen sei es konsequent und richtig gewesen, die humanitäre
       Sprechstunde einzuführen. Denn, so Millies: „Die Zahl der Papierlosen ist
       unverändert.“
       
       23 Apr 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gareth Joswig
       
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