# taz.de -- Rechtsextrem motivierte Kriminalität: „Keine weiteren Ermittlungsansätze“
       
       > Wegen der NSU-Morde wurden hunderte Tötungsdelikte erneut auf rechte
       > Motive geprüft. Was kam raus? Die Regierung meint: nichts Neues.
       
 (IMG) Bild: Mahnwache für die Opfer des NSU in Berlin
       
       HAMBURG taz | Noch ist die Prüfphase nicht vollständig abgeschlossen. Aber
       das Zwischenfazit der Bundesregierung, nachdem Hunderte Tötungsdelikte
       erneut auf ein rechtsextremes Motiv überprüft wurden, empört die
       Opposition. Mehr Todesopfer rechter Gewalt gebe es bisher nicht
       anzuerkennen, bilanziert die Regierung. Initiativen sehen das seit Jahren
       anders: Sie verweisen auf eine Vielzahl weiterer Opfer von Rechtsextremen.
       Die Linken-Innenexpertin Martina Renner übt nun scharfe Kritik: Mehr als
       die Hälfte der Opfer werde von der Regierung weiterhin nicht anerkannt.
       
       Die Generalrevision der Sicherheitsbehörden war eine Reaktion auf den
       Schock der jahrelang unerkannt gebliebenen Mordserie des
       rechtsterroristischen „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU). Im
       Frühjahr 2012 ordnete die Innenministerkonferenz an, rund 3.300 versuchte
       oder vollendete Tötungsdelikte seit 1990 nochmals auf einen rechtsextremen
       Hintergrund zu überprüfen. 628 der Taten galten bisher als ungeklärt.
       
       Zuvor wurde eine Revision jahrelang verweigert: Die offizielle Statistik
       sei „nicht in Zweifel zu ziehen“, hieß es aus der Regierung. Nun übernahm
       die Koordinierung das neu gebildete „Gemeinsame Abwehrzentrum gegen
       Rechtsextremismus/Rechtsterrorismus“ (GAR).
       
       ## 3.300 Fälle überprüft
       
       Ende letzter Woche zog das Bundesinnenministerium jetzt in einer Antwort
       auf eine Anfrage der Linksfraktion, die der taz vorliegt, eine
       Zwischenbilanz. Anhand eines „einheitlichen Erhebungsrasters“, das nach
       Herkunft, Religion oder politischer Einstellung der Opfer fragte, seien
       insgesamt 3.300 Fälle überprüft worden, heißt es. 240 Fälle seien in eine
       engere Auswahl gekommen und an die Länderpolizeien weitergeleitet worden.
       
       Nach deren Rückmeldungen hätten sich allerdings „keine weiteren
       Ermittlungsansätze ergeben“, teilte das Innenministerium mit. Damit würden
       bislang „keine Tötungsdelikte nachträglich als ’politisch motivierte
       Kriminalität – rechts‘ eingestuft“. Der Prozess sei aber noch nicht
       vollständig abgeschlossen: „Einzelfälle befinden sich noch in einer derzeit
       laufenden Prüfung“.
       
       Linken-Politikerin Renner kritisiert, das Ministerium habe offensichtlich
       kein Interesse, frühere Einschätzungen zu revidieren. Seit Jahren sind die
       Zahlen der Todesopfer rechtsextremer Gewalt umstritten.
       Zivilgesellschaftliche Initiativen gehen für den Zeitraum von 1990 bis 2013
       von 183 Toten aus, staatliche Stellen zählen nur 63 Opfer.
       
       Renner selbst ging einzelnen Fällen nach, die die Behörden in Sachsen und
       Baden-Württemberg im Rahmen der Prüfung neu aufrollten. Ihr Fazit: Erneut
       seien Opfer, die bei Untersuchungen von Journalisten und Beratungsstellen
       eindeutig als „Todesopfer rechter Gewalt“ ausgemacht wurden, nicht so
       eingeordnet worden.
       
       ## Kein Interesse an Revision
       
       Darunter seien etwa der Fall Tim Maier, der 2005 in Bad Buchau
       (Baden-Württemberg) von zwei Rechtsextremen ermordet wurde, oder Bernd
       Grigol, der 1996 in Leipzig (Sachsen) von drei Rechten unter „Hau ab, du
       schwule Ratte“-Rufen misshandelt und getötet wurde. „Das
       Bundesinnenministerium hat ganz offensichtlich kein Interesse daran, die
       tödliche Dimension rechter Gewalt wirklich auszuleuchten“, sagte Renner.
       
       Wie sensibel die Auseinandersetzung ist, wurde bereits auf der
       Gedenkveranstaltung für die NSU-Opfer am 23. Februar 2012 sichtbar. Eine
       Kerze, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) damals, werde für „alle
       bekannten wie unbekannten Opfer rechtsextremistischer Gewalt“ angezündet.
       Die Zahl der bekannten nannte Merkel nicht in ihrer Rede. Es war wohl der
       Versuch, einen Eklat zu vermeiden.
       
       22 Jun 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Speit
       
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