# taz.de -- Lofi-House von Heatsick: Bis der Brustkorb vibriert
       
       > Steven Warwick alias Heatsick macht mehr als nur Musik: Konzeptkunst,
       > Politik und Dancefloor sind bei ihm eng ineinander verflochten.
       
 (IMG) Bild: Vor irgendetwas herumstehen und dabei noch gut aussehen, ist auch eine Kunst: Steven Warwick aka Heatsick.
       
       Heatsicks Musik ist reines Understatement. Auf der Oberfläche bleibt
       unerkannt, dass sich dahinter stets streng durchdachte Konzepte verbergen.
       Steven Warwick aka Heatsick überlässt jedoch nichts dem Zufall und sucht
       die Widersprüche.
       
       Das konnte man bei einem Auftritt im Berghain erleben. Einem Ort, der wegen
       seines erlesenen Soundsystems nicht nur als kultureller Exportschlager
       Berlins, sondern auch für einen perfekten Clubsound steht.
       
       Als der gebürtige Brite nur mit schrottigem Keyboard, dem die Hälfte der
       Tasten fehlt, und Tamburin die Bühne betritt, wird der Gegensatz zwischen
       Hightech und Heatsicks rudimentärer Lo-Fi-Instrumentierung körperlich
       spürbar.
       
       Statt der maschinellen Genauigkeit, die heute vielen Techno- und
       Houseproduktionen anhaftet, klingen die live gespielten und mit dem
       Keyboard geloopten Tracks des Briten zwischen ausgeruhtem Chicago House und
       Electro genauso fragil wie improvisiert.
       
       Das Publikum wirkt zunächst ratlos. Was macht dieser schlaksige Kerl da mit
       seinem kaputten Keyboard? Doch Warwick weiß: Je länger er die Bassdrum
       wiederholt, die den Brustkorb vibrieren lässt, desto stärker entfaltet sich
       ihr Sog. Bis man mittendrin steckt, im nicht enden wollenden Kreislauf des
       temporären Verschwindens des Selbst, der Ekstase und der Auflösung von
       Zeit.
       
       ## Viele außermusikalische Einflüsse
       
       Es sind genau solche Themen, die Heatsick seit jeher prägen. „Ich höre viel
       Musik, aber ich habe mindestens genauso viele außermusikalische Einflüsse“,
       sagt Warwick in einem Kreuzberger Café. Jeder Track, jede Platte ist für
       den 32-Jährigen eine neue Möglichkeit, die Themen zu verarbeiten, die ihn
       gerade umtreiben. Oft sind sie philosophischer oder politischer Natur.
       
       Auf seiner 2011 veröffentlichten EP „Intersex“ ging es um den vom
       Sexualforscher Magnus Hirschfeld geprägten Begriff der „Intersexualität“.
       Hirschfeld, der auch als Begründer der Homosexuellenbewegung gilt,
       beschrieb als erster Wissenschaftler das Geschlecht als Konstrukt, das
       nicht fixiert ist. Warwick interessiert das Thema vor allem persönlich.
       Sein Umzug nach Berlin 2006 war auch eine Flucht aus der kulturellen Enge
       der nordenglischen Provinz, wo er aufwuchs.
       
       Das eigene Schwulsein aktiv zu thematisieren wie im Song „Vom Anderen
       Ufer“, ist ihm wichtig. „Auch wenn ich nicht ständig auf der Straße
       demonstriere“, sagt er und lächelt, bevor seine Gesichtszüge ernster
       werden. „Auch, weil Homosexuelle einige Hundert Kilometer weiter östlich
       aufgrund ihrer Orientierung um ihr Leben fürchten müssen.“
       
       Auf seinem aktuellen Album „Reengineering“, das Ende 2013 erschien, geht es
       um Ökologie. „Damit meine ich nicht unbedingt die Natur, sondern vor allem
       unsere technologische, mediale Umwelt“, sagt der Brite, während seine Hand
       den Rhythmus des gedämpften Hintergrundbeats mitklopft.
       
       Der Track „Watermark“ handelt vom Missverhältnis zwischen digitalen, also
       virtuellen Informationen und Privateigentum. Dass alle Informationen heute
       zurückverfolgbar sind, führe dazu, dass selbst Musik im Internet inzwischen
       vollständig privatisiert ist.
       
       ## Bewusster Verzicht auf Perfektion
       
       Auch der Begriff Transparenz und seine politischen Implikationen
       beschäftigen Heatsick. „Transparenz bedeutet ja nicht, dass etwas
       zugänglich ist, sondern, dass man es aus einer Distanz heraus sehen kann“,
       sagt Warwick und deutet auf ein Fenster. „Nur weil ich den Baum dort sehen
       kann, heißt es nicht, dass ich ihn auch greifen kann.“
       
       Die wache Skepsis gegenüber Politik und Gesellschaft und das Bedürfnis,
       darüber zu sprechen, treibt Heatsick gelegentlich auch in die bildende
       Kunst. Vor zwei Jahren kuratierte er die Ausstellung „Sicherheitsdienst im
       Auftrag der BVG“. Es war zu der Zeit, in der der öffentliche Nahverkehr in
       Berlin einen privaten Sicherheitsdienst engagierte. „Das machte mir Sorgen,
       denn es führt dazu, dass man den Staat nicht mehr verantwortlich machen
       kann.“
       
       Als er beobachtete, wie einige Sicherheitsleute gewalttätig gegen Fahrgäste
       vorgingen, organisierte Heatsick zusammen mit befreundeten Künstlern die
       Ausstellung. Bei aller Gesellschaftskritik, Warwicks Musik ist alles andere
       als verkopft.
       
       Im Gegenteil: Auch seine experimentelleren, von Dronesounds oder Breakbeats
       beeinflussten Tracks sind immer sehr direkt und absolut tanzbar. Dass seine
       Livesets vor allem vom Mut zur Improvisation und dem Verzicht auf
       Perfektion leben, lässt sich auch als Statement gegen den durchdesignten
       Alltag der Leistungsgesellschaft lesen.
       
       Ein Widerspruch zwischen den Sounds und dem intellektuellen Unterbau
       besteht Warwick zufolge nicht. „Musik ist definitiv dazu in der Lage, etwas
       zu transportieren, das über ihren reinen Klang hinausgeht.“ Die Menschen
       seien heute ohnehin viel intelligenter als noch vor ein paar Jahren und
       könnten Informationen schneller verarbeiten.
       
       Bei dem Heatsick-Auftritt im Berghain dauerte es dann nur 15 Minuten, bis
       auch die letzten Zweifler tanzten.
       
       16 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Philipp Rhensius
       
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