# taz.de -- Schlagloch Pflegeheime: Wie wollen wir sterben?
       
       > Sterbehilfe muss geregelt werden. Wichtiger aber wäre eine Debatte über
       > die bessere Ausstattung von Pflegeheimen – und unseren Anteil daran.
       
 (IMG) Bild: Die bessere Ausstattung von Pflegeheimen liegt nicht in ihren Händen
       
       Am schlimmsten: nicht im Sommer sterben, wenn alles hell ist und die Erde
       für den Spaten leicht …“ Später Abend in der Sommerfrische, das Essen ist
       ins Trinken übergegangen, einer hat den Benn-Vers vor sich hin gesagt. Und
       eine entgegnet: Es gibt Schlimmeres. Das Gespräch kommt darauf, wie wir
       sterben, wie wir nicht sterben möchten.
       
       Geschichten werden erzählt vom Tod an den Schläuchen, nachts im
       Krankenhausbett, im Pflegeheim unter Dementen. Wach abtreten oder
       hinüberdämmern, ist die Frage, und einer erzählt von Wolfgang Herrndorf,
       der mit dem Karzinom im Gehirn noch das lebensheitere Buch „Tschick“
       schrieb. Und dann der Abgang: mit dem Revolver im Mund, als er gerade noch
       dazu in der Lage war. Irgendwo spottete Herrndorf über die Phrase, die
       Menschen sollten „an der Hand, nicht durch die Hand des Mitmenschen
       sterben“.
       
       Bis zum nächsten Herbst werden wir den Satz noch öfter hören, von den
       Gegnern der „aktiven Sterbehilfe“. Dann will der Bundestag die Grauzone
       zwischen den Tatbeständen „Beihilfe zum Selbstmord“ (straffrei) und „Tötung
       auf Verlangen“ (Gefängnis) regeln. Das „demografische Problem“ gibt der
       Angelegenheit eine gewisse, zynische Hintergrundsdringlichkeit. Aber die
       Debatte ist auch ohnedies gespenstisch, weil abstrakt.
       
       Das fängt mit den Begriffen an. „Selbstmord“ passt nicht auf den
       Todeswunsch unerträglich Leidender, und dem nichtjuristischen Verstand ist
       es schwer zu vermitteln, dass straffrei bleibt, wer dem Moribunden den
       Giftbecher gibt, bestraft wird, wer ihm die zitternde Hand hält.
       
       ## Die Bibel akzeptiert Selbstmord
       
       Einigkeit besteht in der Politik darüber, dass „kommerzielle Sterbehilfe“
       verboten sein soll. Darüber hinaus will Gesundheitsminister Gröhe jegliche
       „organisierte“, von Organisationen oder im Rahmen ärztlicher Tätigkeit
       vollzogene Euthanasie verbieten; unterstützt wird er von Kirchen und
       Ärztekammer. Die kategorische Ablehnung der assistierten Selbsttötung steht
       auf theologisch dünnem Grund – weshalb die heftigsten Gegner in
       demagogischer Überspitzung von „Massenmord“ reden. Das Leben sei
       unverfügbar, weil Gott es gegeben habe. Aber folgt daraus die Pflicht zu
       einem schmerzvollen und einsamen Tod?
       
       Weder das Alte Testament – das wertungsfrei von Selbstmorden zur Wahrung
       der Würde berichtet – noch das Neue verbieten die Selbsttötung. Es war die
       Hierarchie, die jahrhundertelang gegenüber Ärzten oder „weisen Frauen“ das
       Priestermonopol auf den Übergang ins Jenseits behauptete, so wie irdische
       Herrscher bis vor Kurzem ihr Recht auf das Leben ihrer „Subjekte“
       reklamierten.
       
       Umfragen ergeben: Ein Drittel der Ärzte würde sich der Bitte nicht versagen
       – nur: mit der Patientenverfügung kann man zwar die Lebensverlängerung an
       den Schläuchen verhindern, darf aber den Arzt nicht zur Tötung
       bevollmächtigen. Die Normen sind lebensfern; vom Resultat her ist die nicht
       unübliche „terminale Sedierung“ durch Morphin nichts anderes als die finale
       Spritze.
       
       Im ersten Fall entscheiden Ärzte stillschweigend, im zweiten behauptet der
       Todsuchende seine Autonomie. Wenn es kommt, wie der Gesundheitsminister
       will, werden Sterbewillige, die es sich leisten können, weiterhin in der
       Schweiz den Tod suchen. Wer einen vertrauten Hausarzt hat (aber wer hat den
       noch), kann hoffen, dass der sich auch seinem Sterben verpflichtet fühlt
       und die Hilfe auf sein Gewissen nimmt. In beiden Fällen wird der
       selbstbestimmte Tod ein Mittelschichtsprivileg bleiben. Weiter unten wird
       dann weiterhin nicht nur schlechter und kürzer gelebt, sondern
       schmerzhafter und einsamer gestorben werden.
       
       Bleibt das Argument, eine „liberale“ Regelung führe zwangsläufig zu
       massenhafter Alters-Euthanasie. Wer die fürchtet, beschwört die Nazis. Aber
       deren „Euthanasie“ zielte nicht auf den selbstgewollten „schönen Tod“, es
       war staatlicher Massenmord an ganzen Bevölkerungsgruppen. Hier aber geht es
       um Autonomie von Menschen, die gegen ein Ende unter Schmerzen und in
       Einsamkeit ihre menschliche Würde behaupten.
       
       ## Würde kostet Geld
       
       Die öffentliche Debatte über Sterbehilfe wird mit juristischer Dialektik,
       mit christlicher Dogmatik, mit Unzuständigkeitserklärungen der Mediziner
       geführt werden. Sie verdeckt das hunderttausendfache Elend, das den Wunsch
       nach der Spritze überhaupt erst nährt. Die Angst vor einem Ende an den
       Apparaten oder im elenden Bett des Pflegeheims. Keiner will sterben, eh
       seine letzte Stunde kommt, solange noch ein paar Funken Lebenswille in ihm
       sind; die meisten haben noch etwas vor. Und sei es der Griff zum Kuchen,
       mit dem der demente Walter Jens auf die Erinnerung an sein Plädoyer für den
       selbstgewählten Tod reagierte.
       
       Aber diese Funken werden erstickt, wenn Menschen gefesselt im Valiumnebel
       wund liegen, umgeben von ungelernten, schlecht bezahlten, ausgebrannten
       Pflegekräften, jeden Tag die Erfahrung machen, nur noch lästig zu sein. Wir
       brauchen keine juristischen Definitionen, um zu sagen: Hunderttausende
       bringen wir so ums Leben, bevor sie sterben dürfen.
       
       Sterbehilfe muss geregelt werden. Gestritten werden aber muss über den
       humanitären Skandal, dessen Beseitigung Geld, viel Geld kosten wird: über
       das Leben und Sterben von 700.000 Menschen in den Pflegeheimen. Hier wird
       die Frage nach dem guten Tod ganz profan: die Heim„pflege“ kostet 1.300
       Euro, die Sterbebegleitung im Hospiz 6.000 Euro; die Krankenkassen finden,
       bei Pflegeheiminsassen liege „die Notwendigkeit einer Hospizversorgung
       grundsätzlich nicht vor“. Der würdige Tod der Alten ist dieser Gesellschaft
       weniger als ein Prozent ihrer Gesundheitsausgaben wert und nicht einmal ein
       Zehntel dessen, was für Beerdigungen ausgegeben wird.
       
       Wie wollen wir sterben? Die Gläser leerten sich in der Sommerfrische, und
       die Meinungen blieben geteilt. Aber alle wissen, wie sie nicht sterben
       wollen. Die Verantwortung dafür, dass es nicht so kommt, kann man keinem
       Theologen, keiner Ärztekammer, keiner Partei zuschieben. Sie gehört ins
       Ressort Finanzen. Wie so oft führen die ethischen Fragen so direkt zu
       unserer Steuermoral.
       
       13 Aug 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mathias Greffrath
       
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