# taz.de -- Raed Saleh über Wowereit-Nachfolge: „Zufällig Migrationshintergrund“
       
       > Mit seiner Kandidatur für das Bürgermeisteramt in Berlin will
       > SPD-Fraktionschef Raed Saleh beweisen, dass jeder „seinen Weg gehen
       > kann“.
       
 (IMG) Bild: „Es ist wichtig, die Bilanz zu betrachten, und die Bilanz kann sich sehen lassen“: Seit 2011 führt Raed Saleh die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus an.
       
       taz: Herr Saleh, „Ich bin Migrant, und das ist gut so“, hat die taz nach
       Ihrer Kandidatur getitelt. Ärgert es Sie, darauf beschränkt zu werden? 
       
       Raed Saleh: Meine Herkunft gehört zu mir. Aber natürlich zeichnen mich ganz
       andere Dinge aus. Ich bin vor allem ein deutscher Sozialdemokrat. Wichtig
       ist mir, dass ich in den letzten Jahren als Fraktionsvorsitzender dazu
       beigetragen habe, dass die SPD Fehler der Vergangenheit korrigieren konnte
       wie die Privatisierungen der 90er Jahre. Deshalb haben wir ja auch die
       Wasserbetriebe von RWE und Veolia zurückgekauft.
       
       Und doch lautete die taz-Schlagzeile nicht „Ich bin Verstaatlicher, und das
       ist gut so“. 
       
       Der zentrale Punkt ist, dass ich daran gearbeitet habe, unser
       sozialdemokratisches Profil zu stärken. Das gilt auch für die Frage der
       Stromnetze, beim Landesmindestlohn oder beim Vergabegesetz. Als
       Fraktionschef, das sagen die meisten, habe ich in Berlin eine gute Arbeit
       gemacht. Und dass das Thema Migrationshintergrund auch erwähnt wird, liegt
       auf der Hand.
       
       „Auch erwähnt“ ist ganz schön untertrieben. 
       
       Ich sage dazu: Ich bin Berliner und habe zufällig einen
       Migrationshintergrund. Dennoch möchte ich vielen Menschen in dieser
       multikulturellen Stadt, in der inzwischen jedes zweite Kind, das
       eingeschult wird, einen Migrationshintergrund hat, Mut machen und Hoffnung
       geben.
       
       Hoffnung worauf? 
       
       Dass man seinen Weg gehen kann, egal woher man kommt und welche Religion
       man hat. Wenn meine Kandidatur dazu beiträgt, dann freue ich mich darüber.
       Grundsätzlich ist mir wichtig, dass ich der Stadt ein Angebot aufgrund
       meiner Leistungen mache.
       
       Fassen Sie die doch mal zusammen. 
       
       Ich will, dass es in Berlin gerechter zugeht. Ich arbeite dafür, dass jeder
       eine Chance auf einen Aufstieg durch Bildung hat. Mir ist wichtig, dass wir
       Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit zusammen denken. Und natürlich stehe
       ich dafür, dass wir ein Miteinander hinkriegen in einer multikulturellen
       Gesellschaft. Ich bin im Stadtteil Heerstraße Nord in Spandau aufgewachsen,
       ich weiß, wie es ist, wenn Menschen der Aufstieg nicht unbedingt in die
       Wiege gelegt wird.
       
       Werden Sie das auch in den Kandidatenforen hervorheben? 
       
       Ich werde dabei für meine Inhalte, für meine Positionen werben. Als ich
       nach Deutschland kam im Alter von fünf Jahren, da waren meine Eltern der
       Meinung, dass wir sofort die Koffer auspacken müssten, um uns gleich
       heimisch zu fühlen. Ich bin ihnen sehr dankbar, dass sie schnell für uns
       Kinder eine Perspektive gesucht haben, einen Weg über die Bildung. Meine
       Eltern träumten immer von einem gleichberechtigten Leben, dass man sie
       nicht wegen ihres Hintergrunds bevorzugt, aber auch nicht benachteiligt.
       
       Dass Sie, anders als behauptet, kein Problem mit Grammatik haben, hat ja
       mein Kollege Heiser kürzlich belegt. Immer wieder aber wird Ihre Aussprache
       thematisiert, jüngst von der jedes Rassismus unverdächtigen Grünen-Ikone
       Wolfgang Wieland. Was denken Sie darüber? 
       
       Wichtig ist, dass man für die Stadt, in der man lebt und die man liebt,
       hart arbeitet, und dazu bin ich bereit. Vieles läuft ja wirtschaftlich
       schon gut. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass viele Menschen an diesem
       Wohlstand nicht teilhaben können. Die Frage lautet darum: Wem traut man zu,
       dass er sich mit vollem Einsatz in die Probleme reinkniet? Ich will genau
       das tun, damit diejenigen, an denen die gute Entwicklung der Stadt bisher
       vorbeigegangen ist, wieder Hoffnung bekommen und daran glauben, dass sie
       wieder auf die Beine kommen können.
       
       Macht das der Noch-Regierende nicht? Hat der diese Hoffnung erlöschen
       lassen? 
       
       Klaus Wowereit hat in den letzten 13 Jahren der Stadt einen großen Dienst
       erwiesen. Er hat sie in einer schwierigen Situation übernommen und sie
       saniert. Er hat aus Berlin eine Stadt mit viel Perspektive gemacht. Er hat
       es geschafft, dass Berlin von einem miefigen, piefigen Ort zu einer
       Weltstadt wurde. Dennoch gibt es auch negative Tendenzen. Die Schere
       zwischen Arm und Reich geht auseinander. Ich finde, dass man den Mut haben
       muss, es zu benennen, wenn etwas schiefläuft.
       
       Dem Spiegel haben Sie jetzt gesagt, Berlin brauche keine wegschauende,
       sondern eine hinschauende Integrationspolitik. Ihre SPD führt seit 2001 den
       Senat, sie sind fast drei Jahre Fraktionschef – da hatten sie schon
       durchaus Zeit dafür. 
       
       Wir haben ja in den letzten Jahren auch mit Heinz Buschkowsky
       [Bezirksbürgermeister von Neukölln, d. Red.] schon vieles verändert.
       Deshalb haben wir ja das Programm für die 218 Brennpunktschulen gestartet.
       Wir gehen auch mit dem Thema Schulschwänzer anders um – früher war es nicht
       so, dass Schulschwänzen bestraft wurde. Jetzt sorgen wir sogar dafür, dass
       es für Eltern, die ihre Kinder nicht zum Sprachtest bringen, Sanktionen
       gibt. Wir müssen für ein Gelingen der Integration Hilfen geben. Aber es
       muss auch klare Regeln geben im Sinne eine friedlichen Miteinanders.
       
       Schulschwänzer bestrafen, mehr Respekt für Polizisten einfordern – all das
       nennen Sie linke Politik. Da gibt es aber Linke, die das eher für stramm
       rechts halten. 
       
       Für mich ist das linke sozialdemokratische Politik. Was ist es anderes als
       linke Politik, wenn man sagt, dass die Kinder in die Schule gehören und
       nicht auf die Straße?
       
       Kreuzbergs grüne Bürgermeisterin Monika Herrmann könnte jetzt sagen: Da
       muss man länger reden und öfter und einen Sozial- oder Familienarbeiter
       vorbeischicken, aber nicht den Leuten von ihrem wenigen Geld noch was
       wegnehmen. 
       
       Was machen Sie denn mit denen, die Sie nicht erreichen? Ich will kein Kind
       zurücklassen oder aufgeben.Wir wissen doch genau, wie wichtig es für den
       gesamten Lebensweg ist, dass ein Kind regelmäßig in die Schule geht. Darum
       sage ich: Verwechseln wir nicht Toleranz mit Gleichgültigkeit. Wenn jemand
       wegschaut, dann hilft er nicht. Darum können wir es zum Beispiel auch nicht
       dulden, wenn auf unserer Straßen antisemitische Parolen gerufen werden.
       
       Eine erste Umfrage sah Sie klar hinter Jan Stöß, und nachdem nun auch
       Michael Müller kandidiert, gelten sie in Analysen als der Außenseiter. 
       
       Ich kenne das nicht anders. Mein ganzes Leben lang musste ich hart arbeiten
       und mir den Weg von unten nach oben erkämpfen. Als ich
       Fraktionsvorsitzender werden wollte, waren die ersten Prognosen ähnlich.
       
       Haben Sie sich verzockt, als Sie beim SPD-Parteitag im Mai doch nicht gegen
       Stöß angetreten sind, um auch Landesvorsitzender zu werden? Mit beiden
       Ämtern in einer Person vereint wäre doch kaum einer, auch Müller nicht, an
       Ihnen vorbeigekommen. 
       
       Mir ist die Einheit der Partei wichtig, und ich habe gesagt, dass man dafür
       auch eigene Wünsche hintanstellen muss. Und das habe ich im Mai getan.
       
       Was können Sie denn besser als die Herren Stöß und Müller? 
       
       Ich werbe dafür, dass wir den Weg der letzten Jahre konsequent fortsetzen.
       Ich habe als Fraktionsvorsitzender gesagt, wir müssen Fehler korrigieren.
       Das haben wir bei der Liegenschaftspolitik gemacht und eben bei der
       Rekommunalisierung …
       
       … bei der die Linkspartei sagt: Das hat die SPD von uns abgekupfert. 
       
       Die Linkspartei hatte nicht die Kraft, es umzusetzen – wir haben es in der
       Großen Koalition getan. Es ist wichtig, die Bilanz zu betrachten, und die
       Bilanz der Fraktion kann sich sehen lassen.
       
       Was ist denn Ihr Bild von einem Regierenden Bürgermeister? In erster Linie
       dafür zu sorgen, dass der Alltag funktioniert mit Wohnen, Verkehr, Job und
       Sicherheit? Oder der Mann für die großen Visionen zu sein? 
       
       In den Feldern, die Sie nennen, haben wir eine gute Entwicklung. Das ist
       das Ergebnis von harter Arbeit und politischem Handwerk. Die Berliner
       erwarten zu Recht von einer Regierung, dass sie die Dinge im Alltag gut
       organisiert. Aber wir brauchen auch gemeinsam eine Vision und ein Projekt.
       Ich will, dass unsere Vision für die Stadt folgende Fragen beantwortet: Wie
       schaffen wir ein neues Miteinander? Wie machen wir Berlin zur Stadt des
       Aufstiegs? Wie kriegen wir Berlin wirtschaftlich gut aufgestellt?
       
       Klaus Wowereit ist letztlich über die Pannen beim BER gestolpert. Was
       würden Sie denn anders machen? 
       
       Am Flughafen trägt nicht Klaus Wowereit allein die Verantwortung. Zu oft
       wird vergessen, dass auch Brandenburg und der Bund daran Anteil haben. Und
       dass mit Bosch und Siemens zwei der renommiertesten Firmen Deutschlands
       dabei waren.
       
       Die Menschen in Berlin sehen das aber anders. Für die ist Wowereit der
       Schuldige – sonst wäre er, über Jahre unbestritten beliebtester Politiker
       im Land, nicht gerade seit dem Moment im Sinkflug, als die Pannen offenbar
       wurden. 
       
       Trotzdem muss das ja nicht richtig sein.
       
       2011 waren Sie dagegen, konnten aber nicht verhindern, dass Wowereit mit
       der CDU koalierte. Gibt es mit Ihnen als Regierungschef 2016 Rot-Grün,
       oder, wenn das allein nicht reicht, Rot-Rot-Grün? 
       
       Ich arbeite mit der CDU gut und verlässlich zusammen. Die Koalition hat
       viele gute Projekte auf den Weg gebracht, sie geht bis September 2016, und
       alles andere diskutieren wir nach der nächsten Wahl.
       
       3 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Alberti
       
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