# taz.de -- Rücktritt von Gaschke und Wende: Die Solidarität der Genossen
       
       > Kiels Ex-OB Gaschke schiebt ihr Scheitern auf ihren Status als
       > Quereinsteigerin. Dabei kam sie nicht wirklich von außen – und die SPD
       > hat im Fall Wende anders agiert.
       
 (IMG) Bild: Gaschke steht im Regen: Im Gegensatz zum Fall Wende hatte die SPD nicht versucht, sie zu halten.
       
       KIEL taz |Das Büro war schnell geräumt, auf einen Abschied von ihren
       Mitarbeitern hat sie verzichtet: Fast verstohlen verließ Waltraud Wende das
       Bildungsministerium, das sie zweieinhalb Jahre geleitet hatte. Damit ist
       ein Jahr nach der Kieler Oberbürgermeisterin Susanne Gaschke erneut eine
       Quereinsteigerin in einem politischen Amt in Schleswig-Holstein
       gescheitert.
       
       Auf den ersten Blick gleichen sich die Fälle: Auf der einen Seite eine
       Frau, die von außen kommt, Politik anders als üblich gestalten will, und
       auf der anderen Seite die SPD Schleswig-Holstein. Die ist bekanntermaßen
       ein Intrigenstadl erster Güte, der 2005 mit dem „Heide-Mord“, also dem
       Verrat eines Parteifreundes, die eigene Ministerpräsidentin Heide Simonis
       um die Neuwahl brachte.
       
       Hat die Kieler Männer-SPD etwas gegen starke Frauen? Ja, fraglos – wie die
       gesamte Gesellschaft, die es Frauen immer noch schwer macht, die gläserne
       Decke zu durchdringen. Zur Ehrenrettung der SPD sei gesagt: In den meisten
       Unternehmen und Parteien hängt die gläserne Decke viel niedriger.
       
       Aber Gaschke und Wende haben an ihrer Demontage mitgearbeitet: Sie haben
       Fehler gemacht, und Fehler werden bekanntlich Frauen weniger verziehen als
       Männern.
       
       Susanne Gaschke hätte das wissen müssen. Sie war durchaus nicht das
       unbeschriebene Blatt, als das sie sich gern darstellte, sondern seit
       Juso-Tagen in der SPD. Sie hätte auch wissen müssen, dass sie automatisch
       ins Lager ihres Ehemanns einsortiert werden würde.
       
       Er ist der SPD-Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Bartels, der dem rechten
       Parteiflügel angehört – anders als Parteichef Ralf Stegner, dessen Part es
       ist, auch bundesweit die Seele der Parteilinken zu streicheln.
       
       Gaschke wollte im Kieler Rathaus Politik machen, „endlich selbst
       gestalten“, schreibt sie. Aber der Job einer Bürgermeisterin bietet dazu
       kaum Möglichkeiten: Hier geht es um Organisation der Verwaltung,
       Geschäftsführung und Umsetzung der Beschlüsse der Ratsversammlung.
       
       Gaschkes Kernfehler war, dass sie, die für mehr Transparenz angetreten war,
       die Ratsversammlung umging und einem steuersäumigen Kieler Arzt und
       Unternehmer Strafen in Höhe von vier Millionen Euro erließ.
       
       Aber musste Susanne Gaschke darüber stürzen? Entscheidend sei „nicht der
       Fehler, sondern der Umgang mit dem Fehler“, schreibt sie in ihrem gerade
       erschienenen Buch. Und ihr Umgang war ungeschickt.
       
       Sie schreibt, sie habe „Angst gehabt“, unter anderem vor den Medien, ihren
       ehemaligen KollegInnen. Aber es wirkt eher wie eine Trotzreaktion, wenn
       eine Bürgermeisterin über Facebook verbreitet, sie habe nun die
       Lokalzeitung abbestellt.
       
       Noch im Herbst sagten auch jene in der Landespolitik, die Gaschke im Lager
       ihrer Feinde sieht: Wenn sie sich schnell entschuldige, könne noch alles in
       Ordnung kommen. Vor allem Ralf Stegner wäre sicher heilfroh über eine
       rasche Lösung der Krise gewesen: Er hoffte damals, Generalsekretär der
       Bundes-SPD zu werden, Unruhe in seinem Landesverband war schädlich.
       
       ## Attacke auf den Ministerpräsidenten
       
       Aber stattdessen machte Gaschke Front gegen die „testosterongesteuerten
       Politik- und Medientypen“, wie sie ihre „Feinde“ in ihrer Abschiedsrede im
       Rathaus nannte. Als Frau und Seiteneinsteigerin sei sie an „kleinlichen
       Ritualen“ gescheitert: „Ich wollte Offenheit, ich wollte Vertrauen.“
       
       Was sie tat, passte aber nicht zu diesem Anspruch. Statt sich als Chefin
       vor ihre Verwaltung zu stellen und intern nach Lösungen zu suchen, schob
       sie öffentlich die Schuld auf die Untergebenen – und auf ihren
       Amtsvorgänger Torsten Albig, inzwischen Ministerpräsident.
       
       Da ging die SPD-Führung zum Gegenangriff über. Innenminister Andreas
       Breitner schaltete gegen die Skepsis seiner Hausjuristen die
       Staatsanwaltschaft ein, da er sich von Gaschkes Mann telefonisch „genötigt“
       fühlte.
       
       Sein Ministerium leitete ein Disziplinarverfahren gegen Gaschke ein, bevor
       die Kommunalaufsicht ihre Prüfung abgeschlossen hatte. Und die Behörde
       fragte bei der Staatsanwaltschaft nach, ob sie gegen Gaschke wegen Untreue
       zu ermitteln gedenke.
       
       Dabei ist klar: Susanne Gaschke hat sich nicht bereichern wollen, sie
       profitiert nicht von dem „Steuerdeal“. Und sie fuhr „volles Risiko“, so
       auch der Titel ihres Buchs, sie verzichtete für das Amt auf eine
       Redakteursstelle.
       
       Bei Waltraud Wende dagegen, die als Parteilose tatsächlich eine
       Seiteneinsteigerin ist, kann man die Dinge anders deuten: Mehrfach hat
       Ministerpräsident Albig die Situation geschildert, wie er Wende einen
       Kabinettsposten anbot.
       
       „Als erstes“, so Albig, wollte sie geklärt haben, was aus ihr wird, sollte
       der Seitenwechsel scheitern. Im Vertrag mit der Uni stehen ein bezahltes
       Sabbatjahr und eine Professorenstelle – keine üble Belohnung für einen
       Misserfolg. Nun ermittelt sogar die Staatsanwaltschaft gegen sie. Und ihr
       langes Kleben am Amt hat Torsten Albig mitbeschädigt.
       
       Der hat sich in beiden Fällen ähnlich verhalten: Sowohl der „lieben
       Susanne“ wie der „lieben Wara“ schickte er SMS beziehungsweise E-Mails mit
       der Warnung, dass die Lage sich zuspitze, und Tipps, wie es nun weitergehen
       könnte. Gaschke verstand die Botschaft als Drohung.
       
       Im Fall Wende dürfte Albig es gut gemeint haben. Trotz des wachsenden
       Unmuts der Koalitionspartner Grüne und SSW hatte er über Wochen darauf
       bestanden, dass das „hohe Gut der Unschuldsvermutung“ zu gelten habe –
       sogar noch, als die Staatsanwaltschaft zur Razzia anrückte.
       
       Fast verzweifelt klammerte er sich an „seine“ Quereinsteigerin. Erst ganz
       am Schluss gab es „ein Gespräch, an dessen Ende feststand, dass Frau Wende
       ihren Rücktritt erklärt“, so Albig. Sein Festhalten erklärt er damit, dass
       er auch er selbst schon unter Verdacht der Vorteilsnahme stand und froh
       war, dass seine Vorgesetzten zu ihm standen, bis der Vorwurf aus der Welt
       war.
       
       Über die Chancen von Quereinsteigerinnen in der Politik dagegen sagen beide
       Fälle also nicht viel aus. Eher darüber, dass die SPD-Nomenklatur kein
       Interesse daran hat, Parteifreundinnen im Amt zu halten, deren Kandidatur
       sie von vornherein abgelehnt hat.
       
       Und vielleicht noch darüber, dass Nicht-Verwaltungsjuristinnen es an der
       Spitze einer Kommunalverwaltung schwer haben. Klar machen beide Fälle, wie
       hoch das persönliche Karriere-Risiko in der Politik ist und dass sich das
       auch mit den ausgefeiltesten Absicherungsstrategien nicht abfedern lässt –
       im Gegenteil.
       
       ## Susanne Gaschke: „Volles Risiko. Was es bedeutet, in die Politik zu
       gehen“, DVA 2014, 256 Seiten, 20 Euro
       
       24 Sep 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Esther Geisslinger
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Ministerin
 (DIR) Schleswig-Holstein
 (DIR) Rücktritt
 (DIR) Oberbürgermeisterin
 (DIR) Bildungsministerium
 (DIR) Schleswig-Holstein
 (DIR) Ralf Stegner
 (DIR) SPD
 (DIR) Karenzzeit
 (DIR) Hamburg
 (DIR) Susanne Gaschke
 (DIR) Schleswig-Holstein
 (DIR) Kiel
 (DIR) Kiel
 (DIR) Steueraffäre
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Simonis zehn Jahre nach „Heidemord“: „Ich hoffe immer noch“
       
       Vor zehn Jahren wurde Heide Simonis (SPD) auch im vierten Wahlgang nicht
       Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein. Ein Gespräch über Loyalität.
       
 (DIR) Ralf Stegner über Parteilinke in der SPD: „Wir schließen niemanden aus“
       
       Ralf Stegner will mehr Kompromisse. Der SPD-Vize hat die Parteilinke dazu
       aufgerufen, sich neu zu organisieren. Das gefällt nicht allen
       Sozialdemokraten.
       
 (DIR) Schleswig-Holsteinischer SPD-Parteitag: Gegrummel im Hintergrund
       
       Offiziell geht es um Friedenspolitik – auf den Fluren bestimmen die
       Querelen um Ministerrücktritte und die Rolle des Ministerpräsidenten
       Torsten Albig die Debatte.
       
 (DIR) Neuen Job im Amt eingetütet: Innenminister wird Lobbyist
       
       Schleswig-Holsteins Innenminister Andreas Breitner tritt zurück. Sein
       Nachfolger wird Stefan Studt, der bisherige Chef der Staatskanzlei.
       
 (DIR) Britta Ernst tritt in Schleswig-Holstein an: Neue Ministerin, alter Kurs
       
       Die Hamburger Bildungsexpertin Britta Ernst (SPD) kümmert sich künftig um
       Schulpolitik in Schleswig-Holstein. Der Bereich Wissenschaft fällt nun ans
       Sozialressort.
       
 (DIR) Buch von Ex-Bürgermeisterin Gaschke: Das große Mobbing
       
       Hinter den Deichen eines stockkonservativen Landes: Das Buch der früheren
       Kieler OB Susanne Gaschke demaskiert die SPD Schleswig-Holsteins.
       
 (DIR) Kieler Bildungsministerin zurückgetreten: Der Druck war zu groß
       
       Gegen Waltraud Wende, die parteilose Bildungsministerin
       Schleswig-Holsteins, wird wegen Betrugs und Bestechung ermittelt. Nun ist
       sie zurückgetreten.
       
 (DIR) SPDler gewinnt Oberbürgermeisterwahl: Kieler Kämpfer
       
       Fünf Monate nach dem Rücktritt der Ex-Journalistin Gaschke wird Ulf Kämpfer
       neuer Kieler Verwaltungschef. Voraussichtlich noch vor Ostern wird er
       vereidigt.
       
 (DIR) Neuer Bürgermeister: Kiel hat die Wahl
       
       Drei Männer konkurrieren um Posten des Oberbürgermeisters, zwei haben
       Chancen. Zeitgleich gibt’s einen Bürgerentscheid zur Ansiedlung von Möbel
       Kraft.
       
 (DIR) Gaschke-Affäre: Schulden bei sich selbst
       
       Neue Details im Kieler „Steuerdeal“: Schon im Februar wurde in einem
       Schreiben der Erlass von Steuerschulden aus rechtlichen Gründen
       ausgeschlossen.