# taz.de -- Diskussion um Stromtrassen: Deutschland als Zweistromland
       
       > Statt neue Leitungen von Nord nach Süd zu bauen, könnte der Strommarkt
       > geteilt werden. Das hätte viele Vorteile.
       
 (IMG) Bild: Strommasten in Bayern: Ministerpräsident Seehofer möchte in seinem Bundesland keine neuen dazu haben
       
       BERLIN/FREIBURG taz | Die Ablehnung klingt eindeutig. „Das können Sie
       vergessen“, sagte Bayerns CSU-Ministerpräsident Horst Seehofer. „Das steht
       nicht auf der Agenda“, erklärte das von SPD-Chef Sigmar Gabriel geführte
       Wirtschaftsministerium. „Das wäre keine gute Lösung“, meinte auch der
       Grünen-Energieexperte Oliver Krischer.
       
       Sie alle reagierten damit auf eine [1][Meldung] des Spiegel, wonach die
       EU-Kommission damit drohe, Deutschlands Strommarkt in zwei Teile
       aufzuspalten – sofern die geplanten neuen Stromleitungen nicht realisiert
       werden, mit denen der zunehmende Windstrom aus dem Norden in den
       verbrauchsstarken Süden transportiert werden soll. Bayern und
       Baden-Württemberg müsste sich dann auf deutlich höhere Strompreise
       einstellen.
       
       Eine konkrete Drohung, so stellte sich schnell heraus, gibt es derzeit
       nicht. „Die EU-Kommission empfiehlt nicht, Deutschland in zwei Preiszonen
       aufzuspalten“, erklärte ein Sprecher. Ob es dabei auch unter der neuen
       Kommission bleibt, die in Kürze ihre Arbeit aufnimmt, ließ er allerdings
       offen. Denn im letzten Jahr ist eine von der EU beauftragte Studie
       ([2][pdf-Datei]) tatsächlich zu dem Schluss gekommen, dass eine Aufspaltung
       des Strommarktes eine sinnvolle Antwort auf die bestehenden Probleme bei
       der Energieversorung sein könnte.
       
       Bisher beruht der Stromhandel nämlich auf der Fiktion, dass Deutschland
       eine Kupferplatte sei. Man tut einfach so, als könne jede erzeugte
       Kilowattstunde jederzeit problemlos an jeden Punkt des Landes transportiert
       werden. Entsprechend ist der Großhandel aufgebaut: Im ganzen Land gibt es
       nur eine Preiszone. Selbst wenn in einem Teil davon Strom im Überfluss
       vorhanden ist (und damit nach Marktlogik billiger sein müsste) und zugleich
       in einem anderen Teil knapp ist (also dort teurer sein müsste), ermittelt
       die Börse für das ganze Land einen Einheitspreis. Über physische
       Netzgrenzen setzt sich das bestehende Modell einfach hinweg.
       
       Dieses Dogma der Preiseinheit stellen Ökonomen nun in Frage. Sie denken
       darüber nach, Deutschland in eine südliche und eine nördliche Preiszone
       einzuteilen, das sich an der Architektur des Stromnetzes orientiert. Dann
       könnten die Preise für Elektrizität jeweils regional die wahre Situation
       von Angebot und Nachfrage abbilden.
       
       Was das bedeuten würde, zeigt ein praktisches Beispiel. Heute ist es so,
       dass etwa ein Braunkohlekraftwerk in Ostdeutschland seine Kilowattstunden
       an der Börse anbietet und ein süddeutsches Unternehmen dort eine Kauforder
       einstellt. Lassen sich die Preisvorstellungen beider unter einen Hut
       bringen, kommt das Geschäft zustande. Weder Anbieter noch Käufer des Stroms
       müssen sich dabei darum scheren, ob die Netzkapazitäten für eine physische
       Belieferung tatsächlich ausreichen.
       
       Stellt sich dann aber zum Liefertermin heraus, dass das Netz den Strom
       nicht über den Nord-Süd-Engpass hinweg zu transportieren vermag, muss der
       Übertragungsnetzbetreiber aktiv werden – und vollzieht einen so genannten
       Redispatch. Das ist nach der reinen Lehre ein marktwidriges Verhalten: Der
       Netzbetreiber weist einen Stromerzeuger im Norden an, seine Leistung zu
       drosseln, obwohl dieser zuvor Lieferverpflichtungen eingegangen ist. Im
       Gegenzug wird ein Kraftwerk im Süden angefordert, das eigentlich gar nicht
       laufen sollte. Durch diese Verschiebung wird der Netzengpass kompensiert.
       Doch ein Redispatch kostet Geld, auch zur Entschädigung des Kraftwerks, das
       seinen Strom nicht mehr verkaufen kann. Bezahlt wird das über die
       Netzentgelte – von allen Stromkunden.
       
       Hätte man hingegen zwei Preiszonen in Deutschland, könnte das Unternehmen
       im Süden nur dann Strom aus der Nordzone erhalten, wenn zum Liefertermin
       freie Übertragungskapazitäten vorhanden sind. Ist das nicht der Fall, muss
       der Verbraucher stattdessen Strom aus dem eigenen Marktgebiet erwerben –
       und vermutlich etwas mehr dafür bezahlen als bisher. Der Volkswirtschaft
       aber bliebe das teure Eingreifen des Netzbetreibers erspart.
       
       ## Wo Strom knapp ist, wird er eben teurer
       
       Und das ist nun der Kern der Debatte: Soll man lieber teure Netze von Nord
       nach Süd bauen, um dem Idealbild von Deutschland als Kupferplatte ein Stück
       näher zu kommen? Oder setzt man auf die marktkonformere Variante und
       schafft zwei Preiszonen – wo Strom knapp ist, wird er eben teurer.
       
       Ein Unterstützer der zwei Preiszonen ist Marc Oliver Bettzüge, Volkswirt an
       der Universität Köln. Der heutige Strommarkt, sagt er, mache die
       „innerdeutschen Engpässe nicht transparent, weil die einheitliche deutsche
       Preiszone die Fiktion suggeriert, dass diese Engpässe nicht existierten“.
       Er rät daher, eine Marktteilung zu prüfen – denn dann gäben die Märkte
       wieder die notwendigen Signale. Und: „Der Stilllegungsdruck auf Kraftwerke
       im Norden, vor allem Kohlekraftwerke würde tendenziell steigen“, so
       Bettzüge. So würde der Markt den wahren Wert des Stroms in Süddeutschland
       besser widerspiegeln und den Anreiz erhöhen, Kraftwerke gerade im Süden am
       Netz zu lassen. Regulierungseingriffe würden so vermieden.
       
       Auch Lorenz Jarass, Wirtschaftswissenschaftler an der Hochschule Rhein-Main
       in Wiesbaden, unterstützt die Idee: „Zwei Preiszonen wären sehr gut für die
       Energiewende.“ Denn die Braunkohlekraftwerke im Norden würden in Folge
       niedrigerer Marktpreise bei Stromüberschuss im Norden viel stärker unter
       Druck geraten als sie es heute sind. Neue Leitungstrassen hingegen würden
       den Weiterbetrieb der Kohlekraftwerke ermöglichen, weil der Strom ja in den
       Süden fließen könne.
       
       ## Unnötige Einspeisungen
       
       Die Position von Horst Seehofer, der neue Hochspannungsleitungen durch
       Bayern nur akzeptieren will, wenn sie zwingend notwendig sind, kann Jarass
       daher gut nachvollziehen: „Wenn der ganze Kohlestrom nach Bayern fließt,
       entwertet er dort die eigenen Kraftwerke, die Gaskraftwerke ebenso wie die
       erneuerbaren Energien.“ Fakt sei nämlich, dass die kritischen Lelastungen
       der Stromleitungen nicht durch erneuerbare Energien verursacht werden,
       sondern „durch die unnötige Einspeisung von Kohlestrom zeitgleich zu
       Starkwindeinspeisung.“
       
       Wenn nun der geplante Netzausbau in Deutschland nur schleppend vorankommt,
       betrifft das auch die europäischen Nachbarländer. Denn weil derzeit die
       Übertragungskapazitäten von Nord nach Süd in Deutschland nicht ausreichen,
       kommt es immer mehr zu so genannten Ringflüssen: Strom aus Ostdeutschland,
       der nach Bayern soll, fließt in großem Stil über Polen und Tschechien – und
       belastet beziehungsweise überlastet damit auch die Netze der
       Nachbarstaaten. Genau aus diesem Grund interessiert sich auch die EU für
       die Schwierigkeiten im deutschen Stromnetz.
       
       ## Schweden ist bereits gespalten
       
       Wo die Physik Grenzen setzt, sind neue Ideen nötig – das betrifft nicht nur
       Deutschland: Norwegen hat sich sogar fünf Preiszonen geschaffen, Schweden
       vier. Doch hierzulande, das zeigen die empörten Reaktionen auf die
       Überlegungen der EU, ist es bislang ein Tabu, über die Einführung von zwei
       Preiszonen zu sprechen – weniger aus rationalen Gründen, sondern vielmehr
       aus einer Mischung aus nationaler Solidarität und dem Bauchgefühl, dass
       große Einheiten zwingend besser sind.
       
       Auch der Verband Eurosolar, der die teuren Fernleitungen von Nord nach Süd
       weitgehend für überflüssig hält und stattdessen auf dezentralen Ausbau
       erneuerbaren Energien und Speicher setzt, lehnt die Markt-Teilung ab. „Das
       ist nur ein Druckmittel, um die Leitungen durchzusetzen“, meint Vorstand
       Stephan Grüger. Einen ersten Versuch unternahm die Bundesregierung am
       Dienstagabend: Bei einem Koalitionsgipfel sollte Seehofers Widerstand gegen
       die neuen Fernleitungen gebrochen werden – doch das blieb ohne Erfolg. Der
       Streit wurde vertagt.
       
       8 Oct 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.spiegel.de/wirtschaft/service/strompreis-im-sueden-droht-teure-energie-wegen-seehofer-a-995310.html
 (DIR) [2] http://ec.europa.eu/energy/gas_electricity/studies/doc/electricity/201310_loop-flows_study.pdf
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Malte Kreutzfeldt
 (DIR) Bernward Janzing
       
       ## TAGS
       
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