# taz.de -- Protest gegen Internet-Maut: Ungarns Smartphone-Bewegung
       
       > Es geht nicht nur um die Freiheit des Internets. In den Protesten
       > artikuliert sich lange aufgestauter Unmut über die Regierung.
       
 (IMG) Bild: Schon am 26. Oktober wurde in Budapest gegen das Gesetz demonstriert.
       
       WIEN taz | Was sich da Dienstagabend wie ein riesiges Glühwürmchen über die
       Budapester Elisabethbrücke wälzte, musste beeindrucken. „Orbán, hier
       spricht das Volk!“ Mit diesem Sprechchor marschierten geschätzte 100.000
       Menschen über die Donau. Auch in mindestens zehn weiteren Städten wurde
       demonstriert.
       
       Was die erzürnte Menge zum zweiten Mal innerhalb von drei Tagen auf die
       Straße brachte, war die geplante Internetsteuer, mit der die Regierung
       jedes Gigabyte Datentransfer belegen will. Eine Gruppe von etwa 3.000
       Demonstranten, die anschließend vor das Parlament zog, machte klar, dass es
       nicht nur um die Freiheit des Internets geht. Sie forderten, dass die
       EU-Flagge, die ein Abgeordneter der rechtsextremen Jobbik am Ende der
       vergangenen Sitzungsperiode theatralisch aus dem Fenster geworfen hatte,
       wieder aufgehängt werde.
       
       Der Parlamentspräsident der regierenden Fidesz hat die Neubeflaggung bisher
       abgelehnt. Das Feindbild Brüssel wird nicht erst gepflegt, seit
       EU-Telekommunikationskommissarin Neeli Kroes per SMS zur Teilnahme an der
       Demo in Budapest aufgerufen hat. Die Europäische Kommission findet die
       Internetsteuer unzulässig und unzweckmäßig. Ungarn ist ein Land, das
       digital noch auf der Kriechspur schleicht.
       
       Orbán will sich nicht belehren lassen. Am Morgen nach der Demo schickte er
       den Fidesz-Abgeordneten Szilárd Németh vor, der verkündete: „Die Regierung
       wird die Internetsteuer nicht zurücknehmen.“ Vielmehr sei sie „eine gute
       Chance und Möglichkeit, den Zugang zum Internet auszubauen.“
       
       ## Regierung bezichtigt „ausländische Agenten“
       
       Im Übrigen, so heißt es in einem Kommuniqué der Regierung, handle es sich
       weder um eine Internetsteuer noch überhaupt um eine neue Steuer, sondern
       lediglich um die Ausweitung der Telekommunikationssteuer auf die
       Internettelefonie. Das Geld solle zum Ausbau des Breitbandnetzes verwendet
       werden. Bis 2018 sollen auch mit EU-Geldern alle Gemeinden Ungarns ans
       Breitbandnetz angeschlossen werden.
       
       Die Regierungsmedien vermuteten die sozialdemokratischen
       Oppositionsparteien hinter den Protesten. „Linksradikale Aktivisten“ und
       „ausländische Agenten“ sollen die Strippen gezogen haben. Auf den von
       manchen Rednern angesprochenen Unmut über Korruption und autokratische
       Entwicklungen gingen sie nicht ein.
       
       Seit Wochen rätselt man in Ungarn über die Identität von zehn prominenten
       Funktionären und Unternehmern aus dem Dunstkreis von Premier Orbán, die von
       den USA kein Visum mehr bekommen. Die US-Botschaft in Budapest hatte
       Berichte bestätigt, wonach die Obama-Regierung diese Leute wegen
       Korruptionsverdachts auf die Watchlist gesetzt hat. Es soll um ein
       Steuerkarussell gehen, eine beliebte Art der Umsatzsteuerhinterziehung, bei
       der Waren virtuell durch mehrere Länder geschickt werden und so die
       Mehrwertsteuer schließlich an einem Unternehmen hängen bleibt, das sich
       dann in Luft auflöst. Einem Geschäftspartner aus den USA soll die
       Beteiligung an solchen Transaktionen angeboten worden sein.
       
       ## Orbáns Schusekurs gegenüber Putin
       
       Washington ist freilich auch über den Schmusekurs Orbáns gegenüber Wladimir
       Putin verstimmt, und Obama hat Ungarn wegen seiner autoritären Tendenzen
       und Repression der Zivilgesellschaft in einem Atemzug mit Ägypten genannt.
       
       Bisher hat Viktor Orbán alle Proteste ausgesessen. Mit der Internetsteuer
       könnte er sich aber verkalkuliert haben, meint die Betreiberin des
       kritischen Internetportals Pusztaranger: „Während die Themen der verpufften
       Massenproteste von 2012 – Mediengesetz, Pressefreiheit – vor allem
       Budapester Intellektuelle interessierten, sind von der geplanten
       Internetsteuer alle ungarischen Internetnutzer, unabhängig von ihrer
       politischen Einstellung, unmittelbar persönlich betroffen.“ Sie sieht das
       als Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte: „In den Protesten
       artikuliert sich aufgestauter Unmut über die Regierung allgemein.“
       
       29 Oct 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Leonhard
       
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