# taz.de -- Bundestag debattiert Sterbehilfe: Wer am Ende helfen darf
       
       > Alle wollen mehr Hospize. Aber wie weit dürfen Ärzte gehen, wenn ihre
       > Patienten sterben wollen? Ein Gesetz soll 2015 kommen.
       
 (IMG) Bild: Katharina Reiche (CDU) während der Debatte im Bundestag.
       
       BERLIN taz | Vielleicht wird man Roger Kusch eines Tages doch noch dankbar
       sein müssen. Der Exchristdemokrat und ehemalige Hamburger Justizsenator war
       in den Jahren nach seinem Amtsrauswurf 2006 öffentlich vor allem durch
       Provokationen aufgefallen: Kusch wollte Menschen gegen Geld oder
       Mitgliedsbeiträge bei ihrer Selbsttötung behilflich sein dürfen.
       
       Kuschs Versuche, in Deutschland Sterbehilfevereine aufzubauen, hatten
       zuletzt viele seiner ehemaligen Parteifreunde aus der Union so sehr
       schockiert, dass der Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) es zu
       Jahresanfang mit einem Machtwort versuchte: Geschäfte mit dem Tod gehörten
       unterbunden, forderte er, jegliche organisierte Form der Beihilfe zur
       Selbsttötung verboten und der assistierte Suizid, derzeit in Deutschland
       straffrei, gesetzlich neu geregelt.
       
       Als dann aber am Donnerstag im Deutschen Bundestag erstmals die
       Abgeordneten in einer viereinhalbstündigen Sonderdebatte ohne
       Fraktionszwang sich zu Sterbehilfe und Sterbebegleitung „orientierten“,
       wurde klar, dass Vereine nach Kusch’schem Vorbild von den Politikern zwar
       mehrheitlich als gesetzlich abzuschaffendes Ärgernis angesehen werden.
       
       Tatsächlich aber, das zeigte die Debatte, sind sie nur Teil eines sehr viel
       drängenderen Problems, dessen sich das Parlament ohne Kusch möglicherweise
       nicht in dieser Intensität und nicht zum jetzigen Zeitpunkt angenommen
       hätte: Der Frage, wie hierzulande mit Menschen am Lebensende umgegangen
       wird. Was ein Sterben in Würde eigentlich sein soll. Welche Rolle Ärzte
       dabei spielen dürfen. Und ob die Beihilfe zum Suizid weiterhin
       grundsätzlich oder nur eingeschränkt straffrei bleiben soll.
       
       ## Einig über Palliativmedizin
       
       Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sprach von dem „vielleicht
       anspruchsvollsten Gesetzgebungsprojekt dieser Legislaturperiode“. Es gehe
       um die Frage, „wie der Staat seiner Verpflichtung zum Schutz des Lebens und
       der Menschenwürde auch und gerade gegenüber dem sterbenden Menschen sichern
       kann“.
       
       Überraschend einig waren sich die knapp 50 Redner von CDU, CSU, SPD,
       Linkspartei und Grünen darin, dass die Palliativmedizin, die
       Schmerztherapie und die Hospizarbeit in Deutschland flächendeckend
       ausgebaut und mit mehr Geld ausgestattet werden müssten. Begründet wurde
       dies auch mit – wie bei medizinethischen Debatten im Bundestag üblich –
       sehr persönlichen Erlebnissen.
       
       ## Beruhigende Gewissheit
       
       Der Linken-Abgeordnete Matthias Birkwald erzählte von seinem 2010 an einem
       Hirntumor verstorbenen Bruder; dieser habe „das Privileg“ gehabt, bis zum
       Schluss von seiner Familie gepflegt zu werden. Für viele andere
       Schwerstkranke gelte das leider nicht, „und wenn diese Menschen dann ihrem
       Leben ein Ende setzen wollen, dann sollen sie dies tun dürfen, auch in
       Deutschland und auch mit Hilfe“, forderte Birkwald.
       
       Die grüne Abgeordnete Lisa Paus berichtete unter Tränen, wie wichtig es für
       ihren an Lungenkrebs erkrankten Lebensgefährten gewesen sei, in den Jahren
       vor seinem Tod die Gewissheit gehabt zu haben, dass er im Zweifel auf ein
       tödliches Medikament hätte zurückgreifen können, um sein Leiden
       selbstbestimmt zu beenden. Allein dieses Wissen, sagte Paus, habe seinen
       Suizid schlussendlich verhindert. Es müsse weiterhin erlaubt sein,
       Sterbenskranken solche Hilfe zu ermöglichen.
       
       Tatsächlich stellte keiner der Redner die Straflosigkeit von Beihilfe zum
       Suizid in Einzelfällen infrage. Selbst der CDU-Abgeordnete Hubert Hüppe,
       der vor „Verhältnissen“ wie in Belgien oder den Niederlanden warnte, wo
       seit Jahren auch die Tötung auf Verlangen erlaubt sei, schloss nicht aus,
       dass es vereinzelt nachvollziehbar sein könne, wenn ein Mensch sein Leben
       beenden wolle und er hierbei auf Hilfe, etwa seiner Angehörigen, setze.
       
       ## Rechtssicherheit wird angestrebt
       
       Strittig dagegen blieb, welche Rolle Ärzte bei der Beihilfe zur
       Selbsttötung spielen sollen. Derzeit ist sie ihnen strafrechtlich erlaubt,
       standesrechtlich dagegen – paradoxerweise – in der einen Hälfte aller
       Landesärztekammerbezirke verboten und in der anderen möglich. „Über eine so
       wichtige Frage der Gesellschaft aber kann nicht das Ärzteparlament
       entscheiden“, stellte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach klar. Wer
       Sterbehilfevereine verbieten wolle, müsse Rechtssicherheit für Ärzte
       schaffen. Nur diese könnten schwerstkranke Menschen mit Sterbewunsch dann
       noch kompetent beraten und ihnen helfen.
       
       „Wir dürfen diesen Menschen nicht die Tür verschließen“, warnte Lauterbach.
       Ärzte könnten zudem viele Suizide verhindern, etwa, wenn sie Depressionen
       entdeckten und behandelten. Erreichen will er die Rechtssicherheit für
       Ärzte zusammen mit seiner Fraktionskollegin Carola Reimann und dem
       CDU-Bundestagsvizepräsidenten Peter Hintze durch eine explizite Regelung im
       Bürgerlichen Gesetzbuch.
       
       Eine große Gruppe im Parlament kann sich dagegen auch vorstellen, den
       ärztlich assistierten Suizid im Einzelfall zwar zu billigen, aber dies
       nicht explizit im Gesetz zu verankern. „Wir haben hierzu keine
       Gesetzgebungskompetenz“, behauptete etwa die SPD-Abgeordnete Eva Högl.
       Weder das Strafrecht noch das Bürgerliche Gesetzbuch könnten das ärztliche
       Standesrecht aushebeln. Diese Einschätzung freilich hat mit juristischer
       Wirklichkeit nichts zu tun – mehrfach mussten die Ärzte in der
       Vergangenheit ihre Musterberufsordnung ändern, weil das Parlament
       entsprechende (sozial-)rechtliche Gesetze verabschiedet hatte.
       
       Die Abgeordneten wollen bis Anfang nächsten Jahres ihre Ideen in konkrete,
       fraktionsübergreifende Gesetzentwürfe fassen. Endgültig abgestimmt über die
       Neuregelung der Beihilfe zur Selbsttötung wird erst Ende 2015.
       
       13 Nov 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Heike Haarhoff
       
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