# taz.de -- Demonstrationen in New York: Eine Stadt hält den Atem an
       
       > Die Empörung über die Grand-Jury-Entscheidung entwickelt sich zur
       > politischen Blockade. Daran ändert auch ein gigantisches Polizeiaufgebot
       > nichts.
       
 (IMG) Bild: Die Demonstranten wollen an diesem Abend New York stilllegen. Sie haben Erfolg
       
       NEW YORK taz | „Wir werden nicht aufhören, bis das geheilt ist“, sagt
       Stacey Robinson. „Es war eindeutig Mord.“ Auf sein Transparent hat er die
       Namen von acht afro-amerikanischen Teenagern geschrieben, die von der
       Polizei getötet worden sind. Überschrieben mit: „RIP“ – Ruhe in Frieden.
       
       Rund um ihn skandieren tausende Menschen auf dem Foley Square neben dem New
       Yorker Rathaus: „Ohne Gerechtigkeit – kein Frieden“. Und „Schutz für
       schwarze Jungen“. Immer wieder tauchen auch die letzten Worte auf, die Eric
       Garner elf Mal wiederholt hat, bevor er im Würgegriff eines Polizisten
       starb: „I can't breathe“ - Ich kann nicht atmen.
       
       Die Menge ist ein Vielfaches größer als am Mittwoch - dem Tag, an dem die
       Grand Jury im Bezirk Staten Island entschieden hat, dass der Polizist, der
       den 47-jährigen Garner erwürgt hat, nichts Verbotenes tat und nicht
       angeklagt wird. An diesem zweiten Abend sind sowohl junge, als auch alte
       Demonstranten gekommen. Langjährige Aktivisten und Jugendliche aus
       Vorstädten. Afroamerikaner, Latinos und Asiaten und eine große Mehrheit von
       Weißen. „Es tut gut, dass wir nicht mehr allein sind“, freut sich
       mittendrin die 25-jährige Soziologiestudentin Raquel: „Diese Weißen schauen
       nicht weg“.
       
       Die Empörung über die Grand Jury Entscheidung ist unverändert. Aber die
       Slogans der Demonstranten sind über Nacht politischer geworden. Sie richten
       sich jetzt auch an die Adresse des demokratischen Bürgermeisters von New
       York, den viele Demonstranten vor einem Jahr Jahr gewählt haben. „De Blasio
       hat Blut an den Händen“, ist auf einem Transparent zu lesen. Viele wollen
       den Bürgermeister daran erinnern, dass er seinen knappen Vorsprung in den
       Vorwahlen dank der Afroamerikaner und Latinos in New York bekommen hat.
       
       ## Staatsanwälte im Interessenskonflikt
       
       Auf dem Foley Square verlangen viele auch, dass eine unabhängige Stelle
       eingerichtet wird, die Verbrechen von Polizisten ermittelt. Denn die
       Staatsanwälte die Grand Jurys organisieren, wie zuletzt der in Staten
       Island und eineinhalb Wochen vor ihm jener in Ferguson, stehen in einem
       Interessenkonflikt. Sie sind im Alltag auf die Zusammenarbeit mit just
       jenen Polizisten angewiesen, gegen die sie im Konfliktfall ermitteln
       müssen.
       
       Die von New Yorks Bürgermeister De Blasio angekündigte Reform der
       Polizeiausbildung in den kommenden Wochen und Monaten stößt auf dem Foley
       Square auf Skepsis. Und von den Kameras, mit denen jetzt New York und
       andere US-amerikanische Städte ihre Polizisten ausstatten wollen um
       mögliche Gewalttaten zu dokumentieren, halten die Demonstranten wenig.
       „Statt neuer Kameras sollten sie sich darauf konzentrieren, andere Waffen
       zu entwickeln“, schlägt eine junge Frau vor, „Waffen, die Verdächtige ruhig
       stellen, ohne sie zu töten.“
       
       „Der Umgang mit Eric Garner ist Teil des systemischen Rassismus“, sagt
       Stacey Robinson unter seinem Transparent. Der 51-jährige Beschäftigte der
       Riverside Kirche in Harlem kennt - „wie jeder schwarze Mann in diesem Land“
       - die misstrauischen Blicke, die Angst vor einer Polizeikontrolle und die
       hässlichen Bemerkungen. Er ist in South Carolina geboren, im Süden, der
       allgemein als rückständiger und rassistischer gilt. Aber als „Nigger“ ist
       er zum ersten Mal in New York beschimpft worden. Im trendigen Greenwich
       Village.
       
       ## New York wird still gelegt
       
       „Zerschlagt die weiße Vorherrschaft“, hat Liz Roberts auf ihr Transparent
       geschrieben. Für die weiße Demonstrantin gehört die „White Supremacy“ zum
       „Gewebe“ der USA: „vom Raub des Landes, über die Deportation von Afrikanern
       bis hin zur weltweiten militärischen Gewalt“.
       
       New York hat an diesem zweiten Abend große Mengen von Polizisten
       mobilisiert. Vor den U-Bahn-Stationen quer durch die Stadt stehen Dutzende
       Polizisten. Hunderte bewachen Brückenauffahrten und Tunneleingänge. Und
       rund um den Foley Square, der an diesem Donnerstag Abend für die
       Demonstranten nur der erste Treffpunkt ist, sind dichte Reihen von
       Polizisten aufmarschiert. In der benachbarten Chinatown parken sie weiße
       Gefängnisbussen.
       
       Die Demonstranten wollen an diesem Abend New York still legen. Und sie
       schaffen das trotz des gigantischen Polizeiaufgebotes an vielen Orten der
       Stadt. Aus der Menge auf dem Foley Square setzen sich immer wieder kleinere
       – jeweils mehrere hundert Personen starke – Gruppen in Bewegung. Eine
       Gruppe zieht nach Osten. Wohin? „Wir gehen erst mal auf die Brooklyn
       Bridge“, sagt ein Demonstrant, „dann sehen wir weiter“.
       
       ## Ein historischer Moment
       
       Auf der anderen Seite des East Rivers blockieren diese Demonstranten
       mehrere Straßen im Zentrum von Brooklyn. Eine andere mobile
       Demonstrantengruppe schafft es, wie schon am Vorabend die Hauptverkehrsader
       längs des Hudson River - den West Side Highway – zu sperren. Wieder andere
       legen den Hafen der Fähre nach Staten Island vorübergehend still. Auf dem
       Times Square im Zentrum von Midtown empfängt gegen Mitternacht ein großes
       Polizeiaufgebot die Demonstration. Inmitten der Leuchtreklamen drängen
       Polizisten die Demonstranten zurück. Spalten die große in mehrere kleinere
       Gruppen. Und nehmen Dutzende von Personen fest.
       
       Alteingesessene New Yorker Linke können sich am späten Abend nicht daran
       erinnern, jemals so erfolgreiche politische Blockaden an so vielen
       verschiedenen Orten in der Stadt erlebt zu haben. Und noch bevor die Nacht
       vorbei ist, steht fest, dass die Proteste weiter gehen werden. Sowohl in
       New York. Als auch auf Bundesebene. Für den 13. Dezember haben
       Bürgerrechtler eine nationale Demonstration in Washington angekündigt.
       
       „Dies ist ein historischer Moment“, sagt der 50-jährige Justin Martin auf
       dem Foley Square: „Polizeigewalt gegen afroamerikanische Männer ist nicht
       neu. Aber dieses Mal haben wir ein Video.“
       
       5 Dec 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dorothea Hahn
       
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