# taz.de -- Grundgesetzänderung im Bildungsbereich: Verbünden ist nicht mehr illegal
       
       > Das Kooperationsverbot von Bund und Ländern für die Wissenschaft ist
       > abgeschafft. Das Großexperiment KATRIN zeigt, was das bringt.
       
 (IMG) Bild: Das ist KATRIN
       
       BERLIN taz | KATRIN ist riesig. KATRIN ist weltweit einzigartig. Und KATRIN
       kostet. Mehrere Millionen Euro pro Jahr verschlingt das Großexperiment, das
       ausgeschrieben „Karlsruhe Tritium Neutrino“ heißt. Es läuft am Karlsruher
       Institut für Technologie, KIT genannt.
       
       Um Projekte wie KATRIN zu stemmen, hat sich das Land Baden-Württemberg mit
       dem Bund verbündet. Vor fünf Jahren schlossen sich die Universität
       Karlsruhe und das nationale Helmholtz-Forschungszentrum zum KIT zusammen.
       Aber: das KIT war bis zu diesem Freitag etwas, was es laut Grundgesetz gar
       nicht geben dürfte. Und auch KATRIN als gemeinsames Experiment eines
       Bundesforschungszentrums und einer Landesuni war eigentlich illegal.
       
       Das ist vorbei. Am Freitag stimmten die Vertreter der Bundesländer im
       Bundesrat endgültig einer Änderung des Grundgesetzes zu und räumten den Weg
       frei, damit Bund und Länder bei den Hochschulen wieder dauerhaft
       zusammenarbeiten dürfen.
       
       Bisher war das fast unmöglich. Denn mit der Föderalismusreform von 2006
       grenzten sich Bund und Länder im Bereich der Bildung voneinander ab. Die
       Länder bekamen die alleinige Hoheit über Schulen und Hochschulen, der Bund
       kümmerte sich um die außeruniversitäre Forschung an den Helmholtz-Zentren
       und Fraunhofer-Instituten, an den Leibniz- und Max-Planck-Instituten.
       Gegenseitige Einmischung: verboten.
       
       „Aber ein Bundesland oder eine Universität allein hätte sich KATRIN niemals
       leisten können“, sagt der Astroteilchenphysiker Guido Drexlin, der das
       KATRIN-Experiment leitet. „Und ohne meine Studierenden und Doktoranden aus
       dem universitären Bereich könnte ich die Anlage nicht betreiben.“
       
       ## Geisterteilchen unterwegs
       
       „Die Anlage“ wird im Endausbau 70 Meter lang sein und mehrere Stockwerke
       hoch. Sie misst die Energie beim Zerfall des Wasserstoffisotops Tritium.
       Die 140 Wissenschaftler aus fünf Ländern, die seit mehreren Jahren um
       KATRIN herumschwirren, wollen auf diesem Weg die leichtesten Teile des
       Universums wiegen – Neutrinos, auch Geisterteilchen genannt.
       
       Sie entstehen auch, wenn Tritium zerfällt, und sind so leicht und
       elektrisch neutral, dass sie durch alles hindurchfallen: durch menschliche
       Haut – 60 Milliarden von ihnen durchschlagen jede Sekunde einen
       Quadratzentimeter Haut – durch feste Körper, durch Galaxien.
       
       Und dabei so mächtig. „Neutrinos haben die Strukturen des Universums
       mitgeformt. Wenn wir die Eigenschaften von Neutrinos untersuchen, dann
       fragen wir uns auch: Was hält die Welt im Innersten zusammen?“, sagt
       Drexlin. Durch die riesigen Spulen KATRINs können die Forscher genauer
       eingrenzen denn je, ob denn die Neutrinos eine Masse haben.
       
       Es sind große Fragen wie die nach dem Ursprung des Universums, aber auch
       nach der Zukunft der Energieversorgung und der Sicherheit der Atomenergie,
       die künftig von Hochschulen und außeruniversitären Forschungszentren
       gemeinsam untersucht werden können.
       
       ## Nationale Großforschung
       
       „Außeruniversitäre Forschung und Universitäten können nun auf Augenhöhe
       sprechen“, drückte es Johanna Wanka (CDU) am Freitag aus. Bei den Schulen
       hat die Bundesbildungsministerin weiterhin nichts zu sagen, doch werden sie
       und ihre Länderkollegen sich künftig zusammen Gedanken darüber machen, wo
       nationale Großforschung stattfindet. KATRIN macht vor, wie das in der
       Praxis aussehen kann.
       
       Zahlreiche Abschluss- und Doktorarbeiten sind bereits um das Experiment
       herum entstanden, Studierende und Promovierende untersuchen KATRINs Daten.
       Drexlin bezeichnet sich selbst als Grenzgänger, einen, der die Barrieren
       zwischen Universitätsbetrieb und außeruniversitärer Forschung ständig
       überschreitet.
       
       Bis ein Uhr mittags steht der vom Land Baden-Württemberg besoldete
       Professor Drexlin vor Physikstudenten im Hörsaal und weiht sie in die
       Geheimnisse des Universums ein. Dann fährt er los zu KATRIN und forscht
       keine zwanzig Minuten später an der zum größten Teil mit Bundesgeldern
       bezahlten Anlage.
       
       Die Fusion einer Landesuni und eines Bundesinstituts war vor fünf Jahren
       noch etwas so Unerhörtes, dass die damalige Bundesbildungsministerin
       Annette Schavan das Wort Fusion gar nicht in den Mund nahm. Sie sprach von
       „merger“, was das Gleiche bedeutet, aber eben auf Englisch.
       
       ## Gemeinsamer Haushalt
       
       Und obwohl die Menschen vom Campus Nord – dem Forschungsgelände – und vom
       Campus Süd – dem Universitätsgelände – seit einem halben Jahrzehnt in einem
       KIT arbeiten, musste man bisher weiter so tun, als ob es zwei getrennte
       Bereiche wären.
       
       Die eine Hälfte der KIT-Mitarbeiter stand auf der Gehaltsliste des Landes
       und wurde nach Landestarif bezahlt, die andere auf der Gehaltsliste der
       Helmholtz-Gemeinschaft. Für sie galten die Regeln und Tarife des restlichen
       öffentlichen Dienstes. Beide Bereiche mussten zumindest auf dem Papier
       getrennt bleiben, kein Geld durfte vom Campus Nord zum Campus Süd fließen
       und umgekehrt.
       
       Das gilt allerdings nicht für die Wissenschaftler. „Da kam es schon zu
       kuriosen Situationen, wenn Mitarbeiterinnen vom Campus Nord in Campus Süd
       eingesetzt wurden und das dann intern umständlich verrechnet werden
       musste“, sagt Detlef Löhe, Prorektor für Forschung und Information am KIT.
       
       Der Werkstoffforscher hat die Verschmelzung von Helmholtz-Zentrum und Uni
       von Anfang an begleitet. „Ohne das Kooperationsverbot hätten wir es
       einfacher haben können“, sagt er.
       
       Mit dem Wegfall können die Karlsruher nun erstmals einen gemeinsamen
       Haushalt aufstellen, gemeinsam einkaufen und viel mehr Professoren
       einstellen, die sowohl am Forschungszentrum als auch in der universitären
       Forschung und Lehre tätig sind. Einfach so, ohne bürokratische Umwege.
       
       ## Geld in Forschungszentren stecken
       
       „Ein Riesenschritt“, meinte der einstige KIT-Präsident Horst Hippler und
       derzeitige Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) schon im Oktober,
       als die Bildungspolitiker im Bundestag ihn und andere Experten zur
       Grundgesetzänderung anhörten.
       
       Nun, da nach dem Bundestag auch der Bundesrat dafür gestimmt hat, hat der
       HRK-Präsident seine Wunschliste noch erweitert. Nötig wäre auch ein
       Sanierungsprogramm für die Hochschulbauten, sagte Hippler der taz. Ein
       Bundesprogramm, um Nachwuchswissenschaftlern verlässlichere Perspektiven zu
       bieten, hält Hippler ebenfalls für geboten. Mit Bundesgeld könnten 7.000
       bis 10.000 zusätzliche feste Stellen geschaffen werden. „Das sollten
       Professuren und Stellen im Mittelbau sein“, meint Hippler.
       
       In die gleiche Richtung plant auch die SPD. Sie will den Koalitionspartner
       CDU und Ministerin Wanka von einer Nachwuchsförderung im Umfang von 140
       Millionen Euro überzeugen.
       
       Was in den nächsten Jahren tatsächlich vom Bund bezahlt wird, werden nun
       Vertreter von Bund und Ländern aushandeln. Der Wissenschaftsrat – ein
       Expertengremium, das Politiker in den Ländern und im Bund berät – hatte
       bereits im vergangenen Jahr erste Vorschläge unterbreitet, wie die beiden
       künftig kooperieren könnten.
       
       Die Wissenschaftler regten an, Geld in Forschungszentren überregionaler
       Bedeutung zu stecken, die an Hochschulen entstünden. Das KIT als Prototyp
       dieser Idee käme durchaus in die engere Wahl, falls die Politiker auf den
       Rat des Expertengremiums hörten.
       
       Löhe wüsste jedenfalls schon, was man mit frischem Bundesgeld machen
       könnte: „Wir würden unser Profil schärfen, Wissenschaftler aus dem Campus
       Nord noch deutlich intensiver in die Lehre mit einbeziehen und die
       Angehörigen von Campus Süd viel stärker in die Forschung an
       Großforschungsgeräte wie KATRIN aufnehmen.“ Denn KATRIN sei einfach
       fantastisch.
       
       19 Dec 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anna Lehmann
       
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