# taz.de -- Der Aufstieg von Taylor Swift: Ein mehrdimensionaler Charakter
       
       > Die Sängerin kann mehr als Country: Sie steht für einen neuen Feminismus
       > und legt sich mit Plattenfirmenbossen und Konservativen an.
       
 (IMG) Bild: Der Pop-Star beim diesjährigen Jingle Ball in Los Angeles.
       
       Es war ein prima Jahr. Okay, nicht, wenn man im Irak lebt, in der
       Ostukraine, in Syrien oder Gaza. Auch keinen großen Spaß hatte, wer öfter
       mal mit der Deutschen Bahn fahren musste. Für die Diddl-Maus lief es sogar
       ganz beschissen: Sie musste sterben. Nein, stimmt: Eigentlich war 2014
       nicht so toll. Außer man heißt Taylor Swift. Denn die hatte ein richtig
       gutes Jahr.
       
       Eine Zusammenfassung: Am 13. Dezember feierte Swift ihren 25. Geburtstag
       und „Happy Birthday“ sang niemand Geringeres als Aretha Franklin. Ihr
       fünftes Album, „1989“, steht seit zwei Monaten an der Spitze der US-Charts
       und erreichte die Top-Platzierung in einem Dutzend weiterer Länder. Sie
       verdiente laut Forbes in diesem Jahr etwa 64 Millionen US-Dollar, und wurde
       vom Billboard Magazine, dem amerikanischen Zentralorgan der Musikindustrie,
       zum zweiten Mal nach 2011 zur „Woman of the Year“ gewählt. Der „Man of the
       Year“ fiel aus.
       
       Kurz: Taylor Swift ist aktuell der größte Popstar im bekannten Teil des
       Universums. Außerdem schwang sie sich auf zur Anwältin eines neuen
       Feminismus, legte sich mit dem konservativen Amerika an und löste ganz
       nebenbei auch noch eine substanzielle und weitreichende Diskussion aus über
       den Wert von Kunst, die Formen digitaler Distribution und die generelle
       Zukunft der Musikindustrie.
       
       ## Klatschspalten und Frauenrechte
       
       Denn Swift ist, auch wenn das ihre vielen Kritiker nicht wahrhaben wollen,
       eben kein eindimensionaler Charakter. Natürlich ist sie einerseits die
       Heldin der Klatschspalten, denen sie mit altersgerecht wechselnden Affären
       und einem publikumswirksamen Kleinkrieg mit Lieblingsfeindin Kate Perry
       beständig Futter liefert, aber auch immer noch der Teenager, der Fotos
       ihrer beiden nach Fernsehserienfiguren benannten Katzen Meredith Grey und
       Olivia Benson auf Instagram postet.
       
       Genau dafür wird sie von ihren jugendlichen, meist weiblichen Anhängerinnen
       geliebt, deren alltägliche Probleme sie in ihren Songs thematisiert. Die
       „Swifties“ suchen in ihren Texten, dokumentiert im Internet, nach
       verborgenen Botschaften wie versierte Dylanologen in den Reimen des großen
       Robert Zimmerman.
       
       Andererseits aber plädiert sie in Interviews für Frauensolidarität,
       verteidigt die Schauspielerin Emma Watson nach ihrer Rede für Frauenrechte
       vor der UNO gegen Kritik und lässt sich von Kollegin Lorde loben, dass sie
       ihre mittlerweile nicht unerhebliche Macht im Musikbusiness für Belange von
       Frauen einsetzt.
       
       Swift ist, wenn man so will, eine ebenso pragmatische und damit moderne
       Feministin wie die mit ihr befreundete Schauspielerin und Autorin Lena
       Dunham. Jemand, der sich seine Frauenrolle nicht diktieren lassen will,
       weder von einer von Männern dominierten Gesellschaft noch von
       feministischen Aktivistinnen. Wie wichtig so eine Vorbildfunktion in den
       USA immer noch ist, beweisen einzelne Kirchengemeinden, die gegen
       Swift-Konzerte protestieren und sie als „verhurtes Gesicht eines dem
       Untergang geweihten Amerika“ verunglimpfen.
       
       ## Vollständige künstlerische Kontrolle
       
       Ihre Haltung hat Swift entwickelt in einer denkbar harten Schule: Als
       14-Jährige ging sie nach Nashville und setzte sich in der traditionell
       konservativen „Music City USA“ gegen nicht zu unterschätzende Widerstände
       durch. Eine minderjährige Sängerin, die ihre Songs selbst schreibt, war in
       der Country-Hochburg Nashville auf keinen Fall vorgesehen, bis Swift
       auftauchte.
       
       Dass Swift sehr viel mehr ist als nur ein hübsches Gesicht mit blonden
       Locken und einer niedlichen Stimme, das hat sie spätestens dadurch
       nachgewiesen, dass sie sich behaupten konnte gegen altgediente Produzenten
       und Toningenieure, gegen bräsige Plattenfirmenbosse und die ungeschriebenen
       Gesetze einer Branche. Ein, wie Swift in einem Interview sagte, „täglicher
       Kampf für die Gleichberechtigung der Geschlechter“.
       
       Sie hätte auch den einfacheren Weg gehen können, hätte sich widerspruchslos
       fügen können in eine der wenigen, aber dafür umso rigideren Rollenvorlagen,
       die für Frauen bislang zur Verfügung standen – und sie hätte wohl trotzdem
       großen Erfolg gehabt. Stattdessen aber hat sich Swift eine vollständige
       künstlerische Kontrolle erkämpft, die so selbst altgedienten männlichen
       Kollegen in Nashville nicht immer zustand.
       
       Swift hat einen Kampf gewonnen, der jemanden wie Johnny Cash vor einem
       halben Jahrhundert beinahe die Karriere gekostet hätte. „Dieses Album ist
       komplett und allein nach meinen Vorstellungen entstanden, keine anderen
       Meinungen, keine fremde Agenda sind eingeflossen“, gab sie zu Protokoll
       über „1989“.
       
       ## Hier fehlt die Fiedel nicht
       
       Man kann den Pop-Entwurf des Albums oberflächlich finden, die Songs zu
       glatt produziert, die modischen 80ies-Einflüsse zu offensichtlich, aber
       „1989“ trägt nur die Handschrift von Starproduzent Max Martin, weil Swift
       es so gewollt hat. Gern erzählt sie, wie sie die flehentliche Bitte des
       Chefs ihrer Plattenfirma ablehnte, doch wenigstens den einen oder anderen
       Song mit einer Fiedel fit zu machen für den Country-Markt, auf dem sie bis
       dahin so immens erfolgreich agiert hatte.
       
       Auch ihr Image bestimmt Swift selbst. Als Kind des Internetzeitalters
       beherrscht Swift das virale Marketing wie kaum ein anderer Popstar und
       bestückt die diversen Social-Media-Kanäle bis heute selbst. Sogar das Wort
       „taylurking“, ein Kompositum aus Taylor und „lurking“, also belauschen oder
       herumschleichen, das die ihren Star im Internet kultisch verfolgenden Fans
       beschreiben soll, hat Swift selbst erfunden.
       
       Der Erfolg einer selbstbewussten Frau hat zumindest Nashville nachhaltig
       verändert: Nicht nur hat sie die Öffnung der Countrymusic für den Pop,
       begonnen von Vorgängerinnen wie Shania Twain, endgültig abgeschlossen. Sie
       hat auch die Produktionsbedingungen und den Status der Künstler
       grundsätzlich verändert. Unlängst zählte Billboard all jene jungen Sänger
       auf, die im Fahrwasser von Swift nun Plattenverträge bekommen haben. Und,
       ungleich wichtiger: denen nun auch erlaubt wird, ihre Songs selbst zu
       schreiben – und damit endlich auch am wirklich substanziellen Teil der
       Einnahmen, den Tantiemen, beteiligt zu sein.
       
       Ob der Einfluss von Swift darauf, wie wir demnächst Musik hören und wie
       Musiker für diese Musik entlohnt werden, dereinst über Nashville
       hinausreichen wird, das bleibt allerdings noch abzuwarten. Aber erst einmal
       hat Swift mit ihrer Entscheidung, Anfang November ihren gesamten
       Songkatalog aus dem Streamingdienst Spotify zurückzuziehen, eine
       Auseinandersetzung mit diesem Thema ausgelöst, die weit hinausgeht über die
       üblichen Kreise, die sich mit solchen Fragen beschäftigen.
       
       ## Kritik an Spotify
       
       Nun diskutieren eben nicht mehr nur Musikmanager und Messe-Panels,
       Songschreiber und Konzertveranstalter, was der digitale Wandel für die
       Musik, ihre Verwertung und den Musiker bedeutet, sondern auch die Fans von
       Taylor Swift.
       
       Man kann sich fragen, ob sich Swift den richtigen Gegner ausgesucht hat.
       Denn zwar ist Spotify das wichtigste offizielle Streamingportal, aber was
       Umsatz und Streams angeht, ist Youtube ungleich größer. Doch während
       Spotify ungefähr zwei Drittel seiner Einnahmen an die Rechteinhaber der
       gestreamten Songs ausgibt, ist das Businessmodell von Youtube weiterhin
       undurchschaubar, und die Ausschüttungen sind im Vergleich marginal.
       
       Vermutlich nutzt Swift ihre momentane Ausnahmestellung in erster Linie, um
       in Verhandlungen bessere Bedingungen für sich herauszuschlagen. Damit
       allerdings könnte sie auf lange Sicht die Position des Urhebers stärken in
       der Auseinandersetzung mit dem Kartell der Verwerter. Sind die großen
       Plattenfirmen doch längst an den einst zum Feind erklärten
       Streamingdiensten beteiligt.
       
       Es ist keine Frage mehr, ob die physischen Tonträger wie die CD vom
       Streaming abgelöst werden, sondern nur noch, wann dieser Übergang
       abgeschlossen sein wird. Und, noch entscheidender: Wie die Gewinne in der
       schönen neuen, modernen Musikwelt dann verteilt werden.
       
       In solch einer Situation ist es vielleicht nicht verkehrt, wenn der größte
       Popstar des Planeten selbstbewusst seine Vorstellungen davon, wie „die
       Musikindustrie in zwanzig, dreißig oder gar fünfzig Jahren aussehen wird“,
       in einem Beitrag im Wall Street Journal ausbreitet (wie bereits im Sommer
       geschehen) und seine Dankesrede bei der „Woman of the Year“-Preisverleihung
       in ein Plädoyer für die Wertschätzung von Kunst zu verwandeln: „Ich glaube,
       dass wir eine jüngere Generation dazu bringen können, in Musik zu
       investieren, anstatt sie nur schnell zu konsumieren.“
       
       Sollte sich Taylor Swift als ebenso talentierte Wahrsagerin wie Musikerin
       entpuppen, werden wir in der Rückschau vielleicht einmal sagen können: 2014
       war ein wirklich gutes Jahr, zumindest für die Popmusik.
       
       27 Dec 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Winkler
       
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