# taz.de -- Wallraff über Undercover-Journalismus: „Ich bin kein Provokateur“
       
       > Günter Wallraff ist mittlerweile im Auftrag von RTL als verdeckter
       > Reporter unterwegs. Problematisch sei das nicht, sagt er.
       
 (IMG) Bild: Seit Juni 2013 sendet RTL das Format „Team Wallraff – Undercover-Reporter decken auf“.
       
       taz: Herr Wallraff, es gibt diesen berühmten Satz von Hanns Joachim
       Friedrichs, den heute noch junge Journalisten lernen: „Mach dich niemals
       mit einer Sache gemein, auch nicht mit einer guten.“ 
       
       Günter Wallraff: Das ist der am häufigsten missbrauchte Satz im
       Journalismus, vor allem von denen benutzt, die einen soften und angepassten
       Journalismus vertreten. Man muss zu Friedrichs’ Ehrenrettung sagen, dass er
       sich auch selbst immer wieder mit einer guten Sache „gemein gemacht“ hat.
       Zum Beispiel als er als Sportreporter des ZDF anlässlich der
       Fußball-Weltmeisterschaft über die Menschenrechtsverletzungen des
       argentinischen Militärregimes sehr engagiert und parteiisch berichtete.
       Meine Meinung ist: Als Journalist hat man die Pflicht, sich auf Seiten der
       jeweils Schwächeren zu stellen, aber ohne sich instrumentalisieren zu
       lassen. Leider gibt es immer mehr Journalisten oder Exjournalisten, die das
       Gegenteil tun und zum Beispiel in PR-Abteilungen arbeiten, egal für wen und
       was.
       
       … weil sie häufig in prekären Arbeitsverhältnissen stehen. 
       
       Stimmt. Früher waren viele Lokalredaktionen konservativ gefärbt, heute
       haben die dort arbeitenden Journalisten oft ein größeres Gespür für soziale
       Themen, weil sich viele von ihnen in immer unsichereren
       Arbeitsverhältnissen befinden.
       
       Vielen Journalisten fehlt deshalb heute auch die Zeit für
       Undercover-Recherchen. Sie sind am Schreibtisch gefangen. 
       
       Das ist tatsächlich ein Problem. Sie leben allzu oft in ihrem eigenen
       Soziotop, verkehren vor allem unter ihresgleichen. Aber auch
       Korrespondenten, die sich nur im Tross von Politikern bewegen, leben in
       einer Scheinwelt …
       
       … und verkaufen das als Realität? 
       
       Sie tun so, als würden sie mitten im realen Geschehen sein. Deshalb braucht
       es ja auch Undercover-Recherchen.
       
       In Ihrem neuen Buch „Die Lastenträger“ veröffentlichen Sie
       Undercover-Reportagen von jungen Journalistinnen und Journalisten, viele
       finanziert durch Ihre Stiftung. Sind Sie heute vor allem Mentor? 
       
       Natürlich will ich auch Nachfolger animieren. Es gibt geschlechts- und
       altersbedingte Bereiche, da komme ich als Undercover-Reporter nicht rein.
       Ich habe zwar eine gute Maskenbildnerin und halte mich fit, aber für
       bestimmte Jobs reicht es nicht mehr, da müssen Jüngere ran. Dennoch bereite
       ich auch selbst weitere Rollen-Reportagen vor.
       
       Zuletzt haben Sie bei Burger King für Aufsehen gesorgt und in den Filialen
       des größten Franchise-Nehmers schlechte Arbeitsbedingungen und
       Hygienemängel aufdeckt. Burger King hat daraufhin dem Betreiber der 90
       Filialen die Lizenz entzogen, sodass die 3.000 Beschäftigten zurzeit unter
       Leitung eines Insolvenzverwalters arbeiten. Ist das ein journalistischer
       Erfolg? 
       
       Ein wirklicher Erfolg ist es erst dann, wenn sich die Arbeits- und
       Hygienebedingungen dort grundlegend verbessern. Burger King ist hier in der
       Pflicht, seine Verantwortung zu übernehmen und die Filialen in eigener
       Regie zu führen. Dann könnte der Konzern endlich mal unter Beweis stellen,
       ob er seine eigenen Standards in Sachen Hygiene und Wertschätzung der
       Mitarbeiter auch selber ernst nimmt.
       
       Ihnen wurde vorgehalten, vor einigen Jahren für zwei Vorträge Geld von
       McDonald’s angenommen zu haben. Das Geld haben Sie Ihrer Stiftung spenden
       und einer gekündigten Betriebsrätin überweisen lassen, die Vorwürfe wurden
       entkräftet. Trotzdem bleibt etwas hängen. 
       
       Die das lanciert haben, wussten, dass es keine Abhängigkeit gab und gibt.
       Es war der Versuch eines gezielten Rufmords. Ich habe mir absolut nichts
       vorzuwerfen.
       
       Müssen Sie sich die Zusammenarbeit mit RTL vorwerfen lassen? 
       
       Nein. Ich bin ja auf sie zugegangen, als ich merkte, wie schwierig es bei
       den öffentlich-rechtlichen Sendern ist, bestimmte Themen mit dem
       entsprechenden Zeitaufwand durchzusetzen. Zudem habe ich die jüngere
       Zielgruppe bei öffentlich-rechtlichen Sendern nicht mehr erreicht. Sie sind
       aber die eigentlichen Adressaten meiner Recherchen in der prekären
       Arbeitswelt.
       
       Bei RTL läuft seit 2013 „Team Wallraff“, wo Sie junge Reporter bei
       Undercover-Recherchen unterstützen. Haben Sie keine Bauchschmerzen bei der
       Zusammenarbeit? 
       
       Natürlich schmecken mir bei den Privaten und zunehmend auch bei den
       Öffentlich-Rechtlichen die ganzen Verblödungs-Formate nicht. Aber bei RTL
       arbeite ich in meinem Team mit hochmotivierten und sozial verantwortlichen
       jungen KollegInnen zusammen, die bereit sind, für längere Zeit ihre
       gewohnte Umgebung zu verlassen, um sich widrigsten Arbeitsbedingungen
       auszusetzen. Immerhin wurden wir für unsere Reportagen Ende des Jahres mit
       dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet.
       
       Hatte der RTL-Reporter auf der Dresdner Pegida-Demo etwas mit Ihrem „Team
       Wallraff“ zu tun? 
       
       Nein! Er war bei der dortigen Regionalredaktion beschäftigt.
       
       Wie bewerten Sie seinen Undercover-Einsatz bis zum Schluss, also die
       Tatsache, dass er verdeckt einem anderen Reporter ein fragwürdiges
       Interview gegeben hat? 
       
       Der Journalist muss von allen guten Geistern verlassen gewesen sein, als er
       sich auf das Interview einließ, wohl um seine Legende zu schützen. Fehler
       sind menschlich, aber so viel ich weiß, ist er inzwischen nicht mehr bei
       RTL beschäftigt.
       
       Sind da die Grenzen der Undercover-Recherche überschritten? Ja, ohne Wenn
       und Aber. Auf solchen Großdemos erübrigen sich in der Regel verdeckte
       Recherchen, schließlich protestierten die Leute dort auch mit offenem
       Visier.
       
       Vieles bei der Sendung wirkt inszeniert. Dramatische Hintergrundmusik, Sie
       als großer Mentor in Szene gesetzt, nach der Logik des Privatfernsehens. 
       
       Die Musik ist auch nicht mein Ding. Aber Kompromisse gehören dazu. Es ist
       aber erstaunlich, dass trotz manch verwackelter Undercover-Szenen so viele
       Menschen – über vier Millionen – dranbleiben und im besten Fall ihr eigenes
       Arbeitsleben reflektieren.
       
       Sie dramatisieren, Sie provozieren, um aus Menschen bestimmte Reaktionen
       hervorzukitzeln. Ist diese Inszenierung notwendig, wenn Sie doch eigentlich
       die Realität abbilden wollen? 
       
       Ich stehe nicht gerne im Mittelpunkt, es ist immer wieder eine Überwindung.
       Das ist keine Koketterie. Ich bin auch kein Provokateur, bin eher
       zurückhaltend. Deshalb prallt solche Kritik an mir ab. Häufig wird sie auch
       vorgebracht, um die Inhalte nicht an sich ranzulassen. Ich bin in den
       jeweiligen Rollen auch immer ein Stück weit ich selbst. Als Ali etwa oder
       als ich als Schwarzer durchs Land gereist bin. Wenn überhaupt, inszeniere
       ich – besser locke ich das hervor –, was zum Beispiel Schwarze im Alltag
       erleben.
       
       Denken Sie jemals über ethische Grenzen Ihrer Undercover-Recherchen nach? 
       
       Für mich ist es ein zutiefst wahrhaftiges und ethisches Prinzip, eine
       andere Identität anzunehmen, um Missstände aufzudecken. Allerdings muss
       dabei vor allem der Privatbereich selbst des mächtigsten Gegners geschützt
       bleiben. In einem Fall habe ich über einen Konzernchef, der gegen mich
       prozessierte, gravierende Verfehlungen aus seinem Privatleben zur Kenntnis
       bekommen. Ich habe das nicht veröffentlicht. Ich lege nach meinen
       Recherchen außerdem alles offen und finde es berechtigt, wenn man darüber
       diskutiert, falls ich zu weit gegangen bin.
       
       Und, sind Sie mal zu weit gegangen? 
       
       Ich bin häufig nicht weit genug gegangen, war oft zu zurückhaltend. Ich bin
       manchmal zu versöhnlich und habe ein ausgeprägtes Harmoniebedürfnis.
       
       7 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Paul Wrusch
       
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