# taz.de -- Haasenburg-Mütter über verlorenes Vertrauen: „Heute glaube ich meinem Sohn“
       
       > Eva Lobermeyer und Regina Schunk zeigten Mitarbeiter der Haasenburg-Heime
       > an. Hamburger Behörden hatten ihre Söhne dorthingeschickt.
       
 (IMG) Bild: Ehemaliges Haasenburg-Heim in Müncheberg (Brandenburg): Hier waren die Söhne von Eva Lobermeyer und Regina Schunk untergebracht
       
       taz: Frau Lobermeyer, Frau Schunk, Ihre Söhne waren in den Heimen der
       Haasenburg, die vor einem Jahr geschlossen wurden. Wie denken Sie heute
       darüber? 
       
       Eva Lobermeyer: Mein Eindruck ist, das Erlebte geht nie wieder aus den
       Kindern raus. Mein Sohn kam 2009 mit zwölf dorthin. Heute ist er 18 Jahre
       und hat große Probleme. Er wirft mir vor, dass ich zugelassen habe, dass er
       in dieses schreckliche Heim musste. Heute sehen das auch Experten so. Die
       Leiterin einer Jugendhilfeeinrichtung, der ich davon erzählte, war empört
       und sagte, es war nicht nötig, dass mein Sohn in ein geschlossenes Heim
       kommt.
       
       Frau Schunk, wie war das mit Ihrem Kind? 
       
       Regina Schunk: Mein Sohn war schon mit elf in einem Heim. Er galt schon im
       Kindergarten als schwierig, aber nach der Trennung vom Vater ist er mir
       richtig entglitten. Ich hatte eine Teilzeitstelle. Da hat das Jobcenter
       viel Druck gemacht, dass ich ganztags arbeite. Dass ich ein problematisches
       Kind habe, hat die nicht interessiert.
       
       Lobermeyer: Das ist typisch Hamburg. Du kriegst so viel Druck als
       alleinerziehende Mutter. Ich denke heute: Hätte man doch mehr Verständnis
       für uns.
       
       Schunk: Präventiv braucht man Hilfe, nicht erst hinterher. Ich finde auch,
       dass das Jugendamt nach wie vor zu wenig Geld hat und das
       Familieninterventionsteam (Spezialamt für delinquente Jugendliche, Anm. d.
       Red.) damit rumschmeißt. Ich hatte für meinen Sohn um einen Schulbegleiter
       gebeten. Das lehnte das Jugendamt ab: zu teuer. Als dann das
       Familieninterventionsteam unseren Fall übernahm, kam er relativ schnell in
       die Haasenburg. Ich hab die Rechnung gesehen. Über 260.000 Euro haben die
       anderthalb Jahre dort gekostet.
       
       Sie haben nach einer Hilfe gefragt und sie nicht bekommen? 
       
       Schunk: Ja. Damals war mein Sohn schon in zwei Heimen gewesen. Auch die
       haben sich nicht mit Ruhm bekleckert. In dem ersten war eine Leiterin, die
       wirkte taff. Neulich habe ich mit meinem Sohn einen Film geguckt, da schrie
       eine Person jemanden ganz doll an. Da sagte er: „Oh, wie Frau G., da hatten
       wir immer alle Herzklopfen, wenn die geschrien hat.“ Da dachte ich: Würde
       ich mein Kind so anschreien, wird die Polizei geholt. Mein Sohn war da
       jedenfalls todunglücklich und lief immer wieder weg. Im zweiten Heim haben
       die Erzieher ihn „Spasti“ und „Arschloch“ beschimpft und das mir gegenüber
       auch noch zugegeben.
       
       Und dann? 
       
       Schunk: Mein Sohn begann sich zu verletzen und kam in die Psychiatrie. Dort
       rieten Ärzte, wir sollen es zu Hause versuchen. Aber ich arbeitete Vollzeit
       und konnte mich kaum kümmern, deshalb wollte ich diesen Schulbegleiter. Das
       Jugendamt lehnte das ab. Später sagte die Dame zu mir: „Wir wollten, dass
       sie scheitern.“ Aber ich denke, hätte ich die Hilfe gehabt, hätte es sich
       vielleicht anders entwickelt. Ich bedauere das sehr. Dass mein Sohn in die
       Haasenburg kam, war ein schlimmer Bruch. Das prägt unser Verhältnis bis
       heute.
       
       Lobermeyer: Unsere Kinder hassen uns dafür. Sie sagen: Du, Mama, hast uns
       da reingesteckt. Ich war gezwungen. Es hieß, gebe ich ihn nicht weg, nehmen
       sie mir die anderen drei Kinder.
       
       Schunk: Ich dachte damals, mein Sohn ist so ein schwerer Fall, da müssen
       die Profis ran. Heute würde ich mein Kind nicht weggeben. Mein Vertrauen in
       diese Profis ist nicht mehr da.
       
       Sie beide haben Strafanzeige gegen Mitarbeiter der Haasenburg gestellt.
       Weswegen? 
       
       Lobermeyer: Wegen Freiheitsberaubung. Wegen Körperverletzung. Das waren
       viele Punkte. Die haben meinen Sohn vom ersten Tag an gedemütigt,
       manipuliert, niedergemacht, verletzt, sowohl psychisch wie physisch.
       
       Und wird ermittelt? 
       
       Lobermeyer: Ja. Die Vernehmung bei der Kripo war anstrengend und verlief
       über Tage. Wir saßen Stunden da, jedes Mal. Ehrlich gesagt, wurde das ein
       bisschen zu viel für meinen Sohn.
       
       Ist es denn überhaupt gut, dass dieses Thema hochkommt? 
       
       Lobermeyer: Definitiv ja. Mein Sohn ist erleichtert, dass die Heime dicht
       sind. Und es ist leider wichtig, dass die Strafanzeigen laufen. Dadurch
       merkt er, die Leute, die Macht über ihn hatten, kommen nicht so davon. Aber
       es ist ein harter Prozess.
       
       Frau Schunk, wie ist das bei Ihnen? 
       
       Schunk: Mein Sohn war erst ganz euphorisch. Er wollte aussagen und hat das
       Thema auch auf Facebook thematisiert. Später hat er das bedauert. Er ist
       ein Junge, er ist in der Pubertät. Da ist man cool und nicht ein Opfer. Das
       hat ihn überrollt. Diese erste Euphorie, die kriegen ihre Strafe, endlich
       passiert was, ist verflogen.
       
       Lobermeyer: Die Ermittlungen dauern zu lange. Das hatte alles zack, zack
       gehen müssen.
       
       Es beginnen doch jetzt Prozesse. 
       
       Schunk: Unsere noch nicht.
       
       Wollte Ihr Sohn nicht im Heim Anzeige erstatten? 
       
       Schunk: Stimmt. Und das ging nicht, weil ich das damals nicht unterstütze.
       Ich konnte nicht glauben, dass alle Erzieher auf einen Jungen draufgehen.
       Und ich wurde auch vom Jugendamt gewarnt, die Kinder würden Missstände
       erfinden. Heute glaube ich meinem Sohn.
       
       Wissen Sie, ob die Jugendlichen vor Gericht aussagen müssen? 
       
       Lobermeyer: Unsere Kripobeamte sagte, die Vorwürfe seien so schwerwiegend,
       dass wir vor Gericht aussagen müssten.
       
       Schunk: Unsere Kripobeamtin war wirklich erschüttert.
       
       Und wann kommt Ihr Prozess? 
       
       Lobermeyer: Die Staatsanwaltschaft in Cottbus sagt, es dauert noch. Unsere
       Vernehmung ist schon über ein Jahr her.
       
       Schunk: Bei uns auch. Es waren viele Termine. Mal sollte ich auch alleine
       kommen, mal Mike.
       
       Hilft es Ihren Söhnen, dass Sie ihnen zur Seite stehen? 
       
       Lobermeyer: Jein. Eigentlich schon. Mein Sohn macht mir eben immer wieder
       zum Vorwurf: Du hast mich da reingebracht. Meinst du, du kannst es wieder
       gutmachen? Er ist froh, dass ich ihn unterstütze. Trotzdem ist er wütend.
       
       Schunk: Auch meinen Sohn haben die Vernehmungen zugesetzt. Man muss sich
       erinnern, da kommt alles wieder hoch.
       
       Gibt es von staatlicher Seite eine Begleitung der Opfer? 
       
       Schunk: Nein. Die Jungs sind jetzt 18. Da sieht sich das Jugendamt nicht
       mehr zuständig.
       
       Lobermeyer: Da kommt nichts. Nicht mal eine Entschuldigung.
       
       Schunk: Auch von den Parteien der Bürgerschaft hören wir nichts. Dabei
       hatten die unsere Akten angefordert, wozu wir extra zustimmen mussten.
       
       Lobermeyer: Die Politiker haben die Vorgänge nicht weiter untersucht.
       Obwohl über 50 Hamburger Kinder dort waren.
       
       Sie haben im April 2009 die Heimaufsicht eingeschaltet. 
       
       Lobermeyer: Ich bin damals in die Hamburger Straße und hab Terz gemacht.
       Hab erzählt, dass die Kinder begrenzt werden, dass Telefon- und
       Briefgeheimnis missachtet werden. Dass meinem Kind seine Sachen genommen
       wurden.
       
       Und dann fuhr die Hamburger Aufsicht nach Brandenburg? 
       
       Lobermeyer: Das hat Wochen gedauert. Die haben das immer auf Brandenburg
       geschoben, dass dort die Behörden zuständig seien. Ich hab denen gesagt:
       Das sind Hamburger Kinder, macht was! Zufällig war unser Familienhelfer an
       dem Tag vor Ort, als die Kontrolle aus Hamburg kam, und hat mir berichtet.
       Da sind die mit mehreren Autos hin. Da wurden auch die Fixierbetten
       abgebaut, die Riemen rausgemacht. Das hatte ich auch bemängelt. Dass
       Fixierbetten da waren, dass die Kinder große Angst davor hatten. Ich hab
       gesagt: Mein Kind muss keine Angst haben, irgendetwas falsch zu machen, mit
       dem Gedanken im Hinterkopf: Ich werde dann festgemacht auf dieser Liege mit
       einer Windel um.
       
       Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) hat 2013 erklärt, nach seiner Kenntnis
       seien keine Hamburger misshandelt worden. 
       
       Schunk: Das ist ja leicht nach Aktenlage zu behaupten, wenn man die
       Betroffenen nicht fragt. Mit uns hat keiner gesprochen.
       
       Lobermeyer: Die hätten dort keinen mehr hinschicken dürfen.
       
       Was erwarten Sie von der Stadt? 
       
       Lobermeyer: Das, was passiert ist, können sie nicht wieder gut machen. Die
       Jugendlichen, die da waren vor Ort, die kannst du nicht in eine Therapie
       schicken. Die machen das nicht freiwillig. Weil Haasenburg hieß offiziell
       auch Therapeutisches Zentrum. Schickt sie besser in den Urlaub, mit Leuten,
       die ihnen gut tun.
       
       Brandenburgs Ministerin Martina Münch (SPD) hat sich bei den Jugendlichen
       entschuldigt. 
       
       Lobermeyer: Stimmt. Aber hier in Hamburg kam nichts dergleichen. Die sind
       zu feige dafür.
       
       Schunk: Als ich beim Familieninterventionsteam bekanntgab, dass ich
       Strafanzeige stelle, wurde mir gesagt: „Machen Sie das, vielleicht fühlen
       Sie sich dann besser.“ Das fand ich unpassend. Es geht ja nicht um mein
       Befinden, sondern darum, dass mein Sohn misshandelt wurde. Die Mitarbeiter
       waren so feindselig und ohne Mitgefühl. Dabei sind sie mitverantwortlich.
       Das, was in der Haasenburg passierte, hat gegen Kinderrechte verstoßen.
       
       Lobermeyer: Vielleicht haben wir doch was bewirkt. In der Haasenburg waren
       über 50 Hamburger Kinder. Ich habe gehört, inzwischen sind gar keine mehr
       in geschlossenen Heimen.
       
       Es gibt die Ankündigung für ein neues geschlossenes Heim. 
       
       Lobermeyer: Das wäre erbärmlich. Die sollten für die Kinder, die, die jetzt
       geboren werden, sich was Besseres einfallen lassen. Wir Alleinerziehenden
       brauchen mehr Unterstützung.
       
       Schunk: Ich finde es beschämend, wie sich der zuständige Senator verhielt.
       Zumindest als der Bericht der Untersuchungskommission vorlag, der ja
       Missstände benennt, hätte er ein Wort des Bedauerns äußern können.
       
       Lobermeyer: Der wollte sich mit uns Müttern nicht abgeben. Eigentlich
       könnte er seinen Posten verlassen. Oder einen Fonds gründen für die jungen
       Menschen, die jetzt echt Schwierigkeiten haben. Ich habe über 20 aus
       Hamburg kennengelernt. Es geht allen schlecht.
       
       Wie finden die es, dass das Heim geschlossen ist? 
       
       Lobermeyer: Genial. Aber sie fragen: Warum passierte das nicht, als wir
       drin waren?
       
       11 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kaija Kutter
       
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