# taz.de -- Lehrer verweigern Klassenfahrten: Boykott macht Schule
       
       > Tausende SchülerInnen demonstrieren in Niedersachsen für Klassenfahrten.
       > Gymnasiallehrer boykottieren die Reisen – weil sie eine Stunde mehr
       > unterrichten müssen.
       
 (IMG) Bild: Wollen mal raus aus Niedersachsen: demonstrierende Schüler
       
       HANNOVER taz | Für mehr Klassenfahrten sind in Hannover und Stade rund
       4.000 GymnasiastInnen auf die Straße gegangen. Lehrer und Landesregierung
       müssten „Lösungen finden, die nicht auf dem Rücken der Schüler ausgetragen
       werden“, sagte Tjark Melchert vor 3.000 von ihnen auf dem zentralen
       Opernplatz in Hannover. „Boykott ist Schrott“, war auf Transparenten der
       Gymnasiasten zu lesen.
       
       Denn viele LehrerInnen boykottieren die Klassenfahrten. Auf Anweisung von
       Niedersachsens Kultusministerin Frauke Heiligenstadt müssen sie seit Beginn
       dieses Schuljahres im Sommer eine Stunde mehr unterrichten. Zwar liegt die
       Unterrichtsverpflichtung niedersächsischer Gymnasiallehrer mit 24,5
       Schulstunden im bundesweiten Vergleich nur im Mittelfeld (siehe Kasten).
       Trotzdem fühlen sich viele Pädagogen überlastet – die Lehrergewerkschaft
       GEW hat schon im September Berechnungen vorgestellt, nach denen sie
       inklusive Vorbereitungszeit regelmäßig knapp 50 Stunden in der Woche
       arbeiten.
       
       Mit Unterstützung des renommierten Berliner Verfassungsrechtlers Ulrich
       Battis klagen deshalb bereits sieben Lehrer vor dem Oberverwaltungsgericht
       Lüneburg auf eine bessere Fürsorge durch Heiligenstadts Kultusministerium –
       also auf eine geringere Unterrichtsverpflichtung.
       
       Außerdem weigern sich viele Gymnasiallehrer, mit ihren SchülerInnen auf
       Reisen zu gehen: Die sind wie etwa auch Theaterbesuche freiwillig. Nach
       einer Erhebung des NDR haben aktuell 50 der insgesamt 295 niedersächsischen
       Gymnasien und Kooperativen Gesamtschulen Klassenfahrten gestrichen. 36
       weitere Schulen fahren ein eingeschränktes Programm.
       
       Ministerin Heiligenstadt zeigte Verständnis für die Schülerproteste, blieb
       aber in der Sache hart. „Sehr schade“ sei es, den SchülerInnen mit den
       Fahrten eine „wichtige und schöne Erfahrung vorzuenthalten“, so die
       Sozialdemokratin.
       
       Allerdings stehe sie „voller Überzeugung“ hinter der Entscheidung, den
       Gymnasiallehrern eine Unterrichtsstunde Mehrarbeit zuzumuten: Nach
       Berechnungen der rot-grünen Landesregierung werden dadurch jährlich rund 80
       Millionen Euro eingespart, die in Ganztagsschulen, Krippen und die
       Inklusion, also den gemeinsamen Unterricht behinderter und nichtbehinderter
       Kinder fließen sollen.
       
       Außerdem werde an Integrierten Gesamtschulen, die ebenfalls zum Abitur
       führen, längst 24,5 Stunden in der Woche unterrichtet, argumentiert die
       Ministerin seit Monaten. Trotzdem sei eine Absage von Klassenfahrten dort
       kein Thema, betonte auch Heiligenstadts Sprecherin Susanne Schrammar am
       gestrigen Mittwoch – insgesamt gebe es über 3.000 Schulen in Niedersachsen.
       Boykottierten davon 86 Klassenfahrten ganz oder teilweise, sei dies längst
       noch „kein landesweites Phänomen“.
       
       Der Druck auf Niedersachsens Kultusministerin wächst trotzdem. Nur zwei
       Stunden nach Ende der Schüler-Demonstrationen legte auch die
       „Niedersächsische Direktorenvereinigung“ als Standesvertretung der
       Gymnasialleitungen eine weitere Studie vor, die belegen soll, dass gerade
       ihre Mitglieder schon heute eine unzumutbare Arbeitsbelastung tragen.
       
       Durch immer neue Aufgaben wie etwa die Führung des Schulgirokontos,
       Überwachung des Mensabetriebs, Mutterschutz und Gleichstellungsplan betrage
       die Arbeitszeit der Gymnasialdirektoren dauerhaft mindestens 50, teilweise
       sogar 60 Stunden, klagte Oberstudiendirektor Wolfgang Schimpf. „Das kann so
       nicht bleiben“, findet der Pädagoge – und präsentierte zur Unterstützung
       den Göttinger Staatsrechtler Alexander Thiele. Der nannte die
       „Selbstausbeutung“ der Direktoren prompt „verfassungswidrig“ – und drohte
       Heiligenstadt mit weiteren Klagen.
       
       14 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Wyputta
       
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