# taz.de -- Kolumne Unter Schmerzen: Das Kapital des Schreibenden
       
       > Eine Modekrankheit zu haben ist schlimm, aber es gibt da draußen
       > natürlich Schlimmeres. Immerhin legt diese Kolumne einen fulminanten
       > Start hin.
       
 (IMG) Bild: Very Ape. Bild von einer vergangenen Loveparade.
       
       Die Welt ist ganz schön krank. Aber bevor ich auch nur darüber nachdenken
       kann, wie es dazu kommen konnte, dass die Hauptstadtredaktionen heute
       allesamt unter Polizeischutz stehen, muss ich von mir sprechen. Ganz à la
       Niklas Luhmann, der einmal ungefähr geschrieben hat, dass das Kapital des
       Künstlers an erster Stelle sein Körper ist. Und mit Künstler sind hier alle
       gemeint – nicht nur Stuntmen und Artisten, Akrobaten und Sportler.
       
       Die Berufskrankheit unter uns Schreibenden ist das Rückenleiden, und die
       Modekrankheit ist der Bandscheibenvorfall im Halswirbelbereich, etwas, was
       laut meiner Physiotherapeutin vor 10 bis 20 Jahren noch eine höchst seltene
       Diagnose war, inzwischen aber allerorten um sich greift, unter
       Webdesignern, Doktoranden, Programmierern, Journalisten, Schriftstellern
       und Studierenden im Masterarbeitsstress. „Zervikaler NPP“, so das
       offizielle Kürzel für diese Plage der Neuzeit, die mit Fehlhaltung und
       Abnutzungserscheinungen aufgrund zu exzessiver Bildschirmarbeit
       zusammenhängt. Not-so-Fun Fact am Rande: Die andere Berufsgruppe, mit der
       wir dieses Leiden teilen, sind die Fernfahrer.
       
       Wäre es also jetzt angesagt, mir als jüngerem Betroffenen (fünfte Woche)
       ein riesiges Namensschild unter den Monitor zu klemmen? Soll ich rausgehen
       und nach symbolischer Unterstützung schreien, nach der Halskrause, die sich
       aus Solidarität nun alle anlegen sollten? Nein, nein. Es ist schlimm, ja,
       aber es gibt da draußen natürlich weitaus Schlimmeres.
       
       Und so ein Bandscheibenvorfall hat ja eine günstige Prognose. Geht also
       wieder weg, ist nicht, wie man medizinisch so sagt, progredient. Helfen tut
       da in der akuten Phase erst mal nichts, oder nur wenig, nämlich Ruhe und
       Geduld, Wärme und Betäubung und eine sanfte Behandlung durch die liebenden
       Hände der Krankengymnastin, mit der sich nebenher vortrefflich über
       Kinderfilme und Serien reden lässt. Sie hat zwei Kinder, mit denen sie eine
       Vorliebe für die Formate aus ihrer eigenen Kindheit teilt. Wie praktisch!
       Also eher „Hallo Spencer“ als „Guardians of the Galaxy“. Der sehr schöne
       Animationsfilm „Wall-E“ – der übrigens auch den Aspekt der Bildschirmarbeit
       und des dafür eigentlich nicht geschaffenen Körperbaus des Menschen
       behandelt – ist ihren Kids tatsächlich zu schnell geschnitten; die müssen
       sich erst mal ans Tempo herantasten. Schon „E.T.“ hat zu viel Tempo, meint
       sie.
       
       Apropos Tempo. Geht natürlich alles langsamer gerade, aber immerhin legt
       diese Kolumne einen fulminanten Start hin, geschrieben unter Schmerzen. Was
       hatte ich mir eigentlich bloß bei diesem Titel gedacht? Ich muss doch
       masochistisch veranlagt sein oder über die ungute Gabe der unbewussten
       Hellseherei verfügen.
       
       Dabei sollte es in dieser Kolumne gar nicht primär um die Leiden des
       Schreibens gehen, schon gar nicht um den Körper des Schreibers, sondern
       ganz allgemein um die, na ja, Leiden der Zivilisation, die menschlichen,
       allzumenschlichen Leiden an den Verhältnissen, am tagesaktuellen Geschehen.
       
       Na, kann ja noch kommen.
       
       17 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rene Hamann
       
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