# taz.de -- Kolumne Zumutung: Sagt Herr Spießer zu Frau Spießer
       
       > Wenn es um Flüchtlinge geht, muss man manchmal barsch solidarisch sein.
       > Bis einem ein Supermarktbesuch die ganzen braven Vorurteile pulverisiert.
       
 (IMG) Bild: Es war nicht schlimm. Es war sauber und hatte die Anmutung einer kargen Jugendherberge.
       
       Dort, wo ich wohne, in meinem kleinen Vorort, leben seit ein paar Wochen
       auch Flüchtlinge. 150 Menschen in einer renovierten Kaserne, hinter einem
       hohen Zaun. Wir Dörfler sehen sie, wenn wir sie mit unseren Autos auf dem
       Weg zum Supermarkt überholen. Dann sehen wir sie im Supermarkt. Und dann
       noch einmal, wenn wir sie auf dem Rückweg überholen.
       
       Das Heim heißt übrigens gar nicht Heim, sondern Flüchtlingsunterkunft. Und
       damit wir Eingeborenen mal gucken konnten, wie so was aussieht, durften wie
       uns die kurz vor der Eröffnung anschauen. Es hatte nämlich im Vorfeld üble
       Debatten gegeben, im Internet und an den Gartenzäunen. Von der befürchteten
       „Abwertung“ der Grundstücke über die „Gefahr für unsere Kinder“ bis zum
       „Abfackeln!“-Eintrag auf Facebook waren es nur wenige, gedanklich äußerst
       simple Schritte gewesen.
       
       Unsere künftigen Mitbürger warteten also noch in der
       Erstaufnahme-Einrichtung, da drängten wir uns schon durch ihre frisch
       renovierten Räume. Wir sahen ihre Eisenbetten, wir öffneten ihre
       Furnierschränke und begutachteten ihre Duschräume. Wir streiften durch die
       Waschräume und die Küchen mit den fünf Herden. Es war nicht schlimm. Es war
       sauber und hatte die Anmutung einer kargen Jugendherberge.
       
       Ein neben mir stehendes Ehepaar tauschte sich darüber aus. Wir waren gerade
       aus dem kargen Spielzimmer raus, da sagte Herr Spießer zu Frau Spießerin:
       „Spielzimmer und umsonst nutzbare Waschmaschinen – das ist ja nicht mal in
       Ferienresorts Standard.“ Vergleichbares fiel ihnen zum Klettergerüst und
       dem Waldblick aus den Heimfenstern ein.
       
       Entsprechend barsch solidarisch bin ich seither. Ich mache in einer
       Willkommensinitiative (ein trutschiges Wort, aber was soll’s) mit. Wenn ich
       im Supermarkt einen taschenschleppenden Neunachbarn sehe, fahre ich ihn
       beim Heim vorbei. Und als am Samstag im Wochenendeinkaufsgetöse sich
       niemand hinter der armselig und alles andere als witterungsgerecht
       gekleideten Flüchtlingsfamilie an der Kasse anstellte, warf ich mich direkt
       hinter die drei.
       
       Vater, Mutter und Kind trugen viel zu große Jacken. Um die Beine beulten
       Jogginghosen. Der Anorak des Kindes war in derart schreienden Farben
       gehalten, dass ich mich ein bisschen für uns Einheimische zu schämen begann
       – manche Klamotte sollte man nicht mal mehr in den Rotkreuz-Container tun.
       
       Der kleine Junge griff nun gierig ins Regal mit der Quengelware. Ich fragte
       mich gerade, wie Flüchtlingseltern ihrem Kind erklären, dass für diesen
       Luxus das knappe Geld einfach nicht reicht, als aus dem Mund der Mutter ein
       „Verjiss et, Rico!“ erschallte. Der grellbunte Rico protestierte: „Da steht
       aber ,Vitamin C‘ druff!“ – „Rico! Haste keene Ohren am Kopp?“, polterte
       daraufhin der Vater, der sich nun, bei genauerem Hinsehen, als untersetzte,
       stark gepiercte Frau mit tiefer Stimme herausstellte.
       
       Mir blieb vor Überraschung die Luft weg. Meine ganzen braven Vorurteile
       waren binnen Sekunden pulverisiert. Aber ein paar alte, besonders gut
       gepflegte schimmerten wieder wie frisch poliert.
       
       16 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anja Maier
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Spießer
 (DIR) Vorurteile
 (DIR) Flüchtlinge
 (DIR) Kinder
 (DIR) Krankheit
 (DIR) Wende
 (DIR) Hunde
 (DIR) Ausbildung
 (DIR) Kinder
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kolumne Zumutung: Mach das weg!
       
       Muss man wirklich Kinder und die nervigen Auswüchse ihrer Menschwerdung
       ertragen? Na, raten Sie mal!
       
 (DIR) Kolumne Unter Schmerzen: Das Kapital des Schreibenden
       
       Eine Modekrankheit zu haben ist schlimm, aber es gibt da draußen natürlich
       Schlimmeres. Immerhin legt diese Kolumne einen fulminanten Start hin.
       
 (DIR) Kolumne Zumutung: Und jetzt Ruhe, bitte!
       
       Pünktlich zum Mauerfall mussten Ostler erzählen, wie dankbar sie heute
       sind. Das hatte was von DDR. Nun sind die Gedenkwochen vorbei.
       
 (DIR) Kolumne Zumutung: Ein Beutelchen am Wegesrand
       
       Im Wald und auf der Heide: warme Haufen, geruchssicher verpackt in
       Plastiktüten als Installation im öffentlichen Raum.
       
 (DIR) Kolumne Zumutung: Fickt euch!
       
       Dass eine Ausbildung zum Hotelfachmann/-frau glücklich machen kann, können
       Akademikerkinder kaum glauben. Ihre Eltern auch.
       
 (DIR) Kolumne Zumutung: Wer rettet Maja?
       
       Küsschen, Mama! Satt und sauber ist das Kind der neuen Laubennachbarn. Aber
       sonst ist alles schrecklich.