# taz.de -- Radikalisierung von Jugendlichen: Eine Cola für den Dschihad
       
       > Auch in Deutschland werben Salafisten um junge Menschen. Beratungsstellen
       > versuchen, die Jugendlichen aufzufangen. Ein Besuch in Bochum.
       
 (IMG) Bild: Gemeinsam den Koran lesen: Durch das Erzeugen eines Gemeinschaftsgefühls werden die Jugendlichen für radikale Ideen empfänglich gemacht.
       
       BOCHUM taz | Ein Mann wartet am Eingang eines Jugendhauses. Eine kleine
       Gruppe Jugendlicher ist in ein Gespräch vertieft. Sie bemerken nicht, dass
       er sich ihnen nähert. Der Mann blickt sich um und spricht sie an: „Seid ihr
       Moslems?“ Die Jugendlichen nicken. „Ihr müsst euch fünf Minuten Zeit nehmen
       für euren Glauben.“ Der Mann wendet sich den Mädchen zu: „Ihr solltet nicht
       mehr in das Jugendzentrum gehen, es wäre besser, ihr würdet euch dem
       Glauben widmen.“ Er reicht ihnen kleine Heftchen, die Jugendlichen lehnen
       ab, gehen zur Aufsicht des Jugendhauses und melden den Vorfall.
       
       „Beim nächsten Mal stand er mit einer Kiste Cola vor dem Zentrum“, erinnert
       sich Friederike Müller. Sie ist Geschäftsführerin des Ifak, eines Vereins
       für multikulturelle Kinder- und Jugendhilfe in Bochum. Die Stadt hat ein
       Problem. In den Vierteln Querenburg-Hustadt und Stahlhausen breitet sich
       die Salafistenszene aus. Vor allem Jungen und Mädchen zwischen 13 und 15
       Jahren geraten in das Visier radikaler Salafisten, sagt Müller. „Sie wenden
       sich immer mehr ab und verändern ihr Verhalten.“
       
       Die terroristischen Anschläge in Paris vor zwei Wochen spielen nicht nur
       islam- und fremdenfeindlichen Gruppierungen in die Hände, sondern auch
       radikalen Salafisten. Wo Muslime sich pauschal als potenzielle Terroristen
       verurteilt sehen und ihren Glauben rechtfertigen müssen, finden
       Dschihadisten für ihre Ideologien den besten Nährboden. Die leichteste
       Beute: junge Menschen. „Gegen gewaltbereiten Salafismus können wir als
       Jugendhilfe erst mal gar nichts unternehmen. Wir können nur aufgeklärte
       Jugendliche und die Familien vor Radikalisierung und Ausgrenzung schützen“,
       sagt Friederike Müller.
       
       Nach Einschätzung des Verfassungsschutzes leben derzeit rund 7.000
       Salafisten in Deutschland, 1.800 davon in Nordrhein-Westfalen. Die meisten
       von ihnen sind nicht gewaltbereit, kleiden sich lediglich traditionell,
       halten einen strengen Ernährungsplan ein oder tragen einen Bart. Die größte
       Gefahr hierzulande sind die rund 600 gewaltbereiten Salafisten, die nach
       Syrien und in den Irak ausgereist sind, viele von ihnen sind jünger als 25.
       Fast jeder dritte ist mittlerweile wieder in der Bundesrepublik.
       
       ## Nährboden für Radikale
       
       Seit April vergangenen Jahres schickt das Ifak im Rahmen des Projekts
       Wegweiser zwei Mitarbeiter in die Bochumer Viertel. Ismael und Ibrahim, die
       in Wahrheit anders heißen, stehen noch am Anfang ihrer Arbeit. Sie wollen
       anonym bleiben, um Vertrauen zu Betroffenen aufzubauen und sich Zutritt zur
       Szene zu verschaffen. Zwei halbe Stellen gibt es in Bochum gegen die
       islamistische Radikalisierung. Bonn und Düsseldorf sind die beiden anderen
       Städte, die mit weiteren Sozialpädagogen an dem Präventionsprogramm gegen
       gewaltbereiten Salafismus teilnehmen.
       
       Ismael und Ibrahim treffen auf überforderte Erwachsene: auf Pädagogen, die
       nicht wissen, ob ein Schüler schon radikal ist, wenn er beten will oder
       wenn er Mädchen nicht mehr die Hand geben möchte. Sie sprechen mit Eltern
       von sich vermeintlich radikalisierenden Kindern, die nicht verstehen, warum
       sich ihr Sohn oder ihre Tochter verändert hat, die nicht einschätzen
       können, ob dies nur eine pubertäre Phase ist. Ismael und Ibrahim sind
       direkte Ansprechpartner an Schulen und in den Büros, die sie in den
       Stadtvierteln haben.
       
       Der Bedarf an Hilfsangeboten ist gigantisch, und auch das Interesse der
       Schüler ist groß. Bisher hätten sich 95 Prozent der Jugendlichen, die sie
       angesprochen hätten, für eine Zusammenarbeit entschieden, sagt Müller.
       
       Gegenüber dem Innenministerium, das ihr Auftraggeber ist, darf Wegweiser
       Auskünfte verweigern: Ein Jugendlicher soll nicht in Verbindung mit der
       Szene gebracht und stigmatisiert werden, wenn er sich nicht weiter
       radikalisiert oder nie ein Teil der radikalen Szene gewesen ist. Die Jungen
       und Mädchen sind formbar und einfach zu beeinflussen. Das Projekt Wegweiser
       nutzt diesen Ansatz- und Angriffspunkt bei Jugendlichen, Salafisten
       missbrauchen ihn für ihre Anwerbeversuche.
       
       ## Beratung im Stadtviertel
       
       Ahmad Mansour, der heute in Berlin lebt, war mit 13 Jahren so ein leicht
       beeinflussbar Jugendlicher: ein schüchterner Junge mit wilden Locken in
       einem Vorort von Tel Aviv, der gern Fußball spielte. Auf dem Schulweg hielt
       ihn sein Religionslehrer an, ein netter, selbstsicherer Herr. Aufmerksam
       lauschte der Teenager seinen Worten. „Ich war glücklich und geschmeichelt,
       dass mir jemand sagte, aus mir könne etwas Großes werden.“ Mansour wurde
       Islamist.
       
       Heute ist der 38-Jährige Berater bei Hayat, einem mit Wegweiser
       vergleichbaren Projekt in Berlin. Wenn Mansour mit Betroffenen spricht,
       findet er sich in ihren Geschichten wieder. Denn auch sie kommen meist über
       eine Vertrauensperson in radikale Kreise.
       
       Der Bochumer Stadtteil Querenburg liegt in Uninähe. Plattenbauten und
       Sozialwohnungen reihen sich aneinander, ein paar Straßen weiter stehen
       Einfamilienhäuser. Hier leben Professoren und Studenten neben Menschen mit
       Migrationsgeschichte. Die wenigsten Kinder machen Abitur, viele leben von
       Hartz IV. „Da wundert es, dass nicht mehr Menschen dieser Gesellschaft den
       Rücken zuwenden und Opfer radikaler Gruppen werden“, sagt Friederike Müller
       vom Bochumer Verein für multikulturelle Kinder- und Jugendhilfe.
       
       In Querenburg lebte einer der mutmaßlichen Attentäter des 11. September.
       „Radikale Organisationen nutzen die Nischen in den Stadtteilen“, sagt
       Müller. Die Nischen – das sind vor allem Frust und Hoffnungslosigkeit der
       Jugendlichen. Wer Mohammed heißt oder einen ähnlichen Namen hat, wird bei
       Bewerbungen häufiger abgelehnt.
       
       ## Die Welt teilte sich in wenige Gläubige und viele Ungläubige
       
       Auch Ahmad Mansour von der Berliner Beratungsstelle hatte sich als
       Jugendlicher schleichend radikalisiert. Er fand sich in einer kleinen
       Gruppe wieder, neben charismatischen älteren Männern und vielen
       Jugendlichen. Sie trafen sich in Moscheen, lasen den Koran. Er isolierte
       sich zunehmend, fand in der Gemeinschaft die Bestätigung, die er lange
       vergeblich gesucht hatte. Die Gruppe legte die Feindbilder fest: Juden,
       Amerikaner, Europäer. Die Welt teilte sich in wenige Gläubige und viele
       Ungläubige.
       
       „Ich sympathisierte mit radikalen Gruppierungen wie den Taliban und der
       Hamas, habe selbst aber nie Gewalt ausgeübt“, sagt Mansour. Dass er sich
       Islamisten angeschlossen hatte, ahnten seine Eltern nicht. Erst später
       erfuhren sie es. „Sie waren nicht religiös und hatten Angst um mich“, sagt
       er.
       
       Die wenigsten der Jugendlichen kommen aus einem radikalen oder religiösen
       Elternhaus. „Viele von ihnen sind aus Kriegssituationen geflohen. Ihr Kind
       in den Heiligen Krieg ziehen zu sehen, das ist das Letzte, was sie wollen“,
       sagt Ibrahim vom Projekt Wegweiser, der vor Jahren selbst vor dem Krieg
       geflohen ist. Seine Arbeit bei Ifak ist keine Kampfansage an den Islam oder
       den Salafismus. „Wir lassen den Jugendlichen ihren Glauben. Wir wollen
       verhindern, dass sie in den Krieg ziehen.“
       
       Irgendwann waren auch Ahmad Mansour Zweifel gekommen. Sechs Jahre war er da
       schon Islamist gewesen. Das glänzende Image des Imams fing an zu bröckeln:
       Nach dem Tod der Eltern hatte der seiner Schwester den Erbteil verweigert.
       Mansour fing an, sein Leben zu hinterfragen. Und er vermisste den
       westlichen Lebensstil in Tel Aviv.
       
       ## Zweifel an der Ideologie
       
       Er brach mit seinen Freunden, die sich später den Muslimbrüdern oder den
       radikalen Salafisten anschlossen. „Ein paar dieser Freunde reden nach 15
       Jahren wieder mit mir, aber das Verhältnis ist sehr distanziert“, sagt er.
       Seit zehn Jahren lebt Mansour nun in Deutschland. Als Diplom-Psychologe war
       er bis 2013 Mitglied der Deutschen Islamkonferenz.
       
       Ahmad Mansour fordert, dass politische Islamverbände auf das Problem des
       radikalen Salafismus reagieren, dass sie sich mit den Inhalten der
       Salafisten auseinandersetzen und sich von radikalen Ideologien abgrenzen.
       Sonst bestehe die Gefahr, dass Islam und Salafismus für ein und dasselbe
       gehalten würden. „Wir brauchen islamische Vorbilder“, sagt Mansour.
       
       Bisher führt Wegweiser in Bochum einen stillen Kampf im Kleinen, abseits
       der politischen Bühne. Noch ist es, als würde man mit einer Pinzette in
       einem verwilderten Garten Unkraut jäten. Auch Ifak-Geschäftsführerin Müller
       hört das oft: „Was wollt ihr mit euren paar Mitarbeitern schon verhindern?“
       Sie weiß, dass die am Limit arbeiten. „Aber das Konzept an sich ist sehr
       erfolgreich und müsste auf alle Städte übertragen werden.“ In den Köpfen
       der Menschen hätten sie mit wenigen Mitteln schon eine Menge bewegt.
       
       21 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dalia Antar
       
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