# taz.de -- Dialog der Religionen: Ein Haus für alle
       
       > In Berlin wollen Christen, Juden und Muslime einen Sakralbau errichten.
       > Auch Andersgläubige und Nichtgläubige sollen ihn nutzen können.
       
 (IMG) Bild: Pfarrer Gregor Hohberg, Rabbiner Tovia Ben Chorin und Imam Kadir Sanci.
       
       BERLIN taz | Gregor Hohberg steht vor der St.-Marien-Kirche in Berlin.
       Dicke schwarze Brille, weißes Hemd, schwarzer Cardigan - so sehen
       Art-Direktoren oder Architekten aus. Ganz falsch ist der Eindruck nicht,
       dass es sich bei Pfarrer Hohberg um einen Kreativen handelt, der mit Ideen
       spielt und räumlich denkt.
       
       Mitten in Berlin will er ein Haus bauen, das eine Synagoge, eine Kirche und
       eine Moschee beherbergt, die durch einen zentralen Begegnungsraum
       miteinander verbunden sind. Es ist eine so einfache wie auch naheliegende
       Idee. Warum bloß kam vorher niemand darauf?
       
       Bei der Idee blieb es nicht. Ein Verein wurde gegründet, ein
       Architekturwettbewerb ausgelobt. Nun versuchen Hohberg und seine
       Mitstreiter die nötigen Mittel zu sammeln, um diesen weltweit neuen Typus
       eines Sakralbaus zu realisieren. „House of One“ soll das Haus heißen. Der
       Name sagt das Wesentliche: Es ist ein Haus für den einen Gott von Juden,
       Christen und Muslimen. Dem Frieden und der einen Menschheitsfamilie soll es
       gewidmet sein.
       
       An einem nasskalten Wintermorgen wollen sich einige Touristen die
       St.-Marien-Kirche auf dem Alexanderplatz ansehen. Gregor Hohberg lässt sie
       ein. Kurz darauf sitzt er an einem großen Holztisch in der Sakristei. „Das
       sind die ältesten Steine in ganz Berlin-Mitte. Die Sakristei gibt es seit
       über 600 Jahren“, sagt Hohberg.
       
       In der Uckermark, wo er in einem Pfarrhaus aufwuchs, sind viele Kirchen so
       alt wie die Christianisierung des Landstrichs. „Gedächtnisspeicher“ nennt
       Hohberg die bis zu 800 Jahre alten Gebäude. Als er Kind war, gingen in
       seinem Dorf noch alle zum Gottesdienst, erzählt er. „Selbst die Männer. Das
       ebbte erst ab in den Achtzigern.“ Auch Angela Merkel stammt aus einem
       Pfarrhaus in der Uckermark.
       
       Heute ist Gregor Hohberg Pfarrer in der evangelischen Kirchengemeinde St.
       Petri - St. Marien, die sich über das Gebiet der historischen Altstadt
       erstreckt. Um die 3.000 Gemeindemitglieder verzeichnet die Kartei. „Wir
       machen Aufgaben, die weit über die klassischen Gemeindearbeit hinausgehen“,
       sagt Hohberg. „Alle zwei Wochen findet im Kirchenraum eine Suppenküche
       statt. Dann werden Tische aufgestellt für bis zu 150 Menschen. Darunter
       viele Frauen, die oft versteckter unter Obdachlosigkeit und Armut leiden
       als Männer, weil sie sich mehr schämen. Man isst, betet und singt
       gemeinsam.“
       
       Über hundert Ehrenamtliche sorgen dafür, dass die Gemeinde solche Arbeit
       leisten kann und das Wahrzeichen St. Marien täglich offen ist.
       
       Seit über zwölf Jahren ist Georg Hohberg Pfarrer in St. Marien. Die
       innerstädtischen Kirchen wurden von den Gemeinden lange Zeit nur als Last
       empfunden, erzählt er. Doch allmählich entdeckte man sie als Orte, die es
       den Kirchengemeinden ermöglichen, ihre Aufgaben neu zu definieren.
       „Citykirchenarbeit“ heißt der Ansatz. „Wir haben Schätze mitten in der
       Stadt, die wir nutzen müssen.“ Aber wie? „Wir müssen die Themen der Stadt
       finden und mit unserer Botschaft darauf reagieren“, antwortet der Pfarrer.
       
       Gregor Hohberg kann sich genau erinnern, wann ihm die Idee für das „House
       of One“ kam. Sie hat etwas mit dem Ort zu tun, an dem die Geschichte von
       Cölln begann, dem Dorf auf der Fischerinsel, um das herum das heutige
       Berlin entstand. Denn das „House of One“ soll auf den Fundamenten der alten
       Petrikriche, die 1237 erstmals urkundlich erwähnt wurde, errichtet werden.
       Heute lebt sie nur im Namen von Pfarrer Hohbergs Gemeinde fort.
       
       ## Gedächtnisspeicher
       
       Bei einer Grabungskampagne, die im Zuge des Wiederaufbaus des Berliner
       Schlosses durchgeführt wurde, fand man die Fundamente des Cöllnschen
       Rathauses, der Lateinschule und von vier nacheinander am selben Ort
       erbauten Petrikirchen. Die letzte wurde von der DDR-Regierung für die
       Erweiterung der Leipziger Straße gesprengt.
       
       Der 1962 beschlossene „Plan zum Aufbau des Zentrums der Hauptstadt der DDR“
       sah vor allem industriellen, typisierten Wohnungsbau für die Fischerinsel
       vor. Das jahrhundertealte Straßennetz des historischen Berlin wurde
       größtenteils zerstört. Wo sich einst das Zentrum Cöllns befand und schon
       frühe Siedler der Spreeinsel ihre Toten begraben hatten, blickt man nun auf
       eine sechsspurige Straße, ein Novotel und Investorenarchitektur aus den
       Neunzigern. Nur westlich und nördlich des Petriplatzes ließen die
       Stadtplaner der DDR noch ein paar ältere Gebäude übrig.
       
       Um Platz für das Novotel zu schaffen, wurde das 1973 erbaute Ahornblatt,
       eine Großgaststätte, abgerissen. Nach der Wende hatten sich dort Raver
       getummelt, wenn DJ Tanith harten Techno spielte.
       
       Der Petriplatz ist eine zugige Brachfläche an der Leipziger Straße, von
       schütterem Gras bewachsen. Tafeln und Bodenmarkierungen weisen auf die
       Geschichte des Ortes hin. Mit seinem Mentor, dem Hamburger Theologen
       Wolfgang Grünberg, flanierte Hohberg eines Tages durch diese Gegend. Früher
       konnte man von der Petrikirche zum Schloss schauen. Nun verstellt das
       ehemalige Staatsratsgebäude den Blick.
       
       Dort drinnen fanden sich Grünberg und Hohberg vor einem Kunstwerk des
       sozialistischen Realismus wieder. „Auf diesem Glaskunstwerk sieht man, wie
       die Menschen den Himmel auf die Erde holen. Wir liefen weiter und kamen zum
       Schluss, der Ort, an dem die Petrikriche stand, ist der Ort für die
       Gegenbewegung“, sagt Hohberg.
       
       Denn es gehe eben nicht darum, den Himmel auf die Erde zu holen, sondern
       sich an den Himmel als die Vision einer gerechten, friedlichen Welt zu
       erinnern: „Der Mensch soll sich auf den Weg machen, aber nicht in einen
       Herrschergestus verfallen. Dann haben wir ein bisschen fantasiert und vor
       uns eine Tafel gesehen, an der Menschen unterschiedlicher Religionen,
       Ungläubige und auch Zweifler zusammen ein Festmahl halten und diskutieren.
       Das war unser Bild. Später überlegten wir, dass diese Tafel ein Dach haben
       muss.“
       
       Eine Gemeindeversammlung wurde einberufen. Vorschläge wurden gesammelt, was
       man sich unter dieser überdachten Tafel auf den Fundamenten der Petrikirche
       konkret vorstellen könnte. Eine Probeabstimmung zeigte, dass die Idee,
       einen Sakralbau zu errichten, der von Angehörigen der drei monotheistischen
       und anderen Religionsgemeinschaften gemeinsam genutzt werden kann, den
       meisten Zuspruch findet.
       
       ## Glaubenstradition
       
       „Getrennte Gottesdiensträume soll es dort geben, in der jeder in seiner
       Glaubenstradition betet und diese auch nicht verwässern muss. In einem
       gemeinsamen Zentralraum der Begegnung kann man miteinander ins Gespräch
       kommen, voneinander lernen und das Gespräch mit der säkularen
       Mehrheitsgesellschaft und Gläubigen weiterer Religionen suchen“, fasst
       Hohberg das Ergebnis zusammen.
       
       „Die Mehrheitsgesellschaft trägt die große Sehnsucht in sich, dass Gläubige
       untereinander, aber auch Gläubige mit Nichtgläubigen vernünftig miteinander
       umgehen. Wir spüren immer wieder, dass das ein großes Thema ist, weil die
       Welt kleiner wird, weil es sich mischt.“
       
       Hohberg spricht leise und konzentriert, während er in seiner Sakristei
       sitzt, in die das Rauschen der Welt nur sachte hereindringt. Es ist Mitte
       November, die Nachrichten sind voller Horrormeldungen über den Vormarsch
       des Islamischen Staats in Irak und Syrien. Von Michel Houellebecqs neuem
       Buch „Unterwerfung“ ist noch nicht die Rede. Auch nicht vom Mord an den
       Redakteuren von Charlie Hebdo in Paris. Die Idee, dass sich die großen
       Religionsgemeinschaften in einen Dialog mit Andersgläubigen und der
       säkularen Mehrheit begeben müssen, wird durch die Ereignisse bestätigt.
       
       Hohberg hat beobachtet, dass in die Marienkirche oft Muslime kommen und
       beten. „Die Mehrheit kommt, weil die Kirche ein ruhiger Ort ist und weil es
       in Mitte keine Moschee gibt. Auch das führte dazu, dass wir sagten, wenn
       wir hier was machen, machen wir etwas Interreligiöses.“
       
       Im Petriplatz sieht Hohberg einen „geprägten heiligen Ort“, an dem Religion
       und Stadtgesellschaft immer schon verknüpft waren. Diese Idee wollen er und
       seine Mitstreiter fortschreiben. „Und zwar mit den Gruppen, die mit der
       Stadtgeschichte verknüpft sind und noch heute Prägekraft haben: Das
       Judentum ist seit dem 13. Jahrhundert in der Stadt. Der erste Muslim war im
       18. Jahrhundert hier zu finden.“
       
       Die Suche nach den geeigneten Partnern für das "House of One" hat fast zwei
       Jahre gedauert. „Wenn man zusammen baut, ist das Konfliktpotenzial groß“,
       sagt Hohberg. Das Judentum umfasst ein breites Spektrum von liberalen bis
       orthodoxen Strömungen, ist aber als Einheitsgemeinde organisiert. Deren
       Vorstand wurde Partner des Projekts. Hinzu kam das Abraham-Geiger-Kolleg,
       das Rabbinerinnen und Kantoren ausbildet.
       
       ## Herausforderung
       
       Komplizierter war es mit islamischen Organisationen, deren Vereinsstruktur
       disparater ist. „Wir haben mit vielen gesprochen, alle fanden es sehr
       spannend, auch den Gedanken, in Berlin-Mitte eine Moschee zu haben, die es
       jetzt nicht gibt“, sagt Hohberg. „Wir hatten aber einige Voraussetzungen
       formuliert. Ein Punkt war: Ihr müsst euch im Klaren sein, ihr steht dann
       öffentlich an der Seite auch der jüdischen Gemeinde. Wenn es antisemitische
       Tendenzen gibt, seid ihr gefordert, sie öffentlich zu bearbeiten.“
       
       Für eine weitere Herausforderung hält Hohberg, dass viele muslimische
       Gemeinden klein sind und nicht über das nötige Personal verfügen. „Denn die
       andere Voraussetzung bestand darin, dass wir sagten: Wir kommen heraus aus
       den Hinterhöfen, wir gehen auf den Platz und stellen uns der Diskussion.
       Jeder darf uns kritisieren, wir setzen uns damit auseinander. Fühlt ihr
       euch dem gewachsen?“
       
       Als Partner wurde schließlich das Forum für interkulturellen Dialog
       gefunden, ein Verein, der in mehreren muslimischen Gemeinden verortet ist
       und bereits mit der jüdischen Gemeinde zusammenarbeitet. 2011 wurde der
       Verein Bet- und Lehrhaus Petriplatz Berlin gegründet, dessen Vorstand
       paritätisch mit zwei Muslimen, zwei Juden, zwei Christen, besetzt ist,
       darunter Pfarrer Gregor Hohberg, Rabbiner Tovia Ben-Chorin und Imam Kadir
       Sanci.
       
       ## Spiritualität
       
       Ein Jahr später wurde ein internationaler Wettbewerb ausgelobt. Über 200
       Büros aus der ganzen Welt bewarben sich, 40 Büros beteiligen sich
       schließlich. „Es gibt auf der ganzen Welt noch kein Sakralgebäude für
       mehrere Religionen, das von Anfang an von drei Glaubensgemeinschaften
       gemeinsam konzipiert wurde“, sagt Pfarrer Hohberg.
       
       In dem neuen Haus am Petriplatz sollen Geschlechtertrennung und
       konservative Rituale praktiziert werden können. Unter den zentralen
       Gutachtern für den Bau waren auf christlicher Seite katholische Professoren
       dabei. „Auch Navid Kermani, der von Haus aus Schiit ist, hat die einzelnen
       Ideen begutachtet, so dass das Projekt von Anfang an auch mit anderen
       Traditionen verknüpft ist“, sagt Hohberg.
       
       Die Initiatoren des „House of One“ haben sich eine Charta gegeben. Sie
       begreifen sich als "Erstbewohner" und erheben keinerlei
       Alleinvertretungsanspruch für ihre Religionen. „Wir verpflichten uns dazu,
       alle anderen Gruppen, die hier mitarbeiten und Gottesdienste feiern wollen,
       einzuladen. In unserem Kirchenraum können Katholiken, Orthodoxe, Baptisten
       Gottesdienste feiern. In der Moschee können neben Sunniten auch Schiiten
       ihren Platz finden, Progressive und Konservative.“
       
       Schon jetzt lädt der Verein zu Diskussionen ein, bei denen es etwa um die
       Frage geht, was ein auserwähltes Volk oder was die Scharia ist. „Wir
       merken, dass der Prozess genauso wichtig ist wie das Gebäude“, sagt
       Hohberg.
       
       Seit die Idee in der Welt sei, könnten sich die Initiatoren kaum vor
       Anfragen retten. „Für viele ist es ein hoffnungsvolles Zeichen. Und auch
       wenn es im fernen Berlin ist, unterstützen sie es, weil sie sich sagen:
       Wenn es einmal gelingt, kann es eine gute Wirkung haben.“ Es melden sich
       Gruppen von überallher, die Ähnliches machen wollen. Zuletzt aus Peru, aus
       Bosnien, aus Jerusalem.
       
       An der im Juli des vergangenen Jahres lancierten Crowdfundingkampagne soll
       sich jeder beteiligen können. Inzwischen sind Hunderte Kleinstspenden aus
       39 Ländern eingetroffen. Es zeigte sich aber schnell, dass so kaum die
       notwendigen Millionen gesammelt werden können. Inzwischen arbeiten
       ehrenamtliche Fundraiser an der Neuausrichtung der Finanzierungsstrategie.
       Nun sollen auch Sponsoren, Spender und Mäzene gesucht und die
       Zusammenarbeit mit der Politik entwickelt werden.
       
       Hat Hohberg bei aller Zuversicht keine Angst vor Kontroversen mit eher
       strengeren Strömungen der jeweiligen Religionsgemeinschaften? „Die drei
       Gruppen, die hier zusammen arbeiten, sind von ihrer Theologie her sehr
       liberal, aber von ihrer Frömmigkeitsstruktur konservativ. Sowohl ich als
       auch Imam Sanci und Rabbiner Ben-Chorin sind sehr verwurzelt in unseren
       Glaubenstradionen, in Gebetsritualen, in gottesdienstlichen Liturgien, die
       man eher als konservativ bezeichnen könnte.“
       
       ## Transzendenz
       
       Aber natürlich würden sich die liberalen Kräfte mit der Idee leichter tun,
       unter einem gemeinsamen Dach zu beten, während orthodoxere Kräfte Ängste
       hätten, sagt Pfarrer Hohberg. Mit ihnen müsse man ins Gespräch kommen. „Wir
       halten an unserer jeweiligen Glaubenswahrheit fest, sagen aber, dass wir
       die Wahrheit des anderen respektieren, weil wir erkennen müssen, dass die
       Wahrheit aber bei Gott liegt und wir das hier auf Erden nicht aushandeln
       können.“ Diese Grenze zögen Judentum, Christentum und Islam. „Wir bewegen
       uns immer im Vorletzten. Wir bewegen uns demütig und können deswegen
       respektvoll mit dem anderen umgehen und sogar von ihm lernen.“
       
       Pfarrer Hohberg hat jetzt den nächsten Termin. Er bittet die Touristen, St.
       Marien zu verlassen; noch sind keine Ehrenamtlichen da, die dafür sorgen,
       dass die Kirche offen ist.
       
       25 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Gutmair
       
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