# taz.de -- Kommentar Auschwitz-Gedenken: Vom Dunkel der Diktatur ins Helle
       
       > Die NS-Geschichte ist in Deutschland kein Kampfgebiet mehr. Doch über den
       > NS-Vernichtskrieg in der Sowjetunion hat auch Gauck kein Wort verloren.
       
 (IMG) Bild: 22. Juni 1941: Deutsche Soldaten überqueren die Grenze zur Sowjetunion.
       
       BERLIN taz | Erinnerungspolitisch hat sich in der Bundesrepublik ein
       vernünftiger Konsens herausgebildet. Auch in offiziellen Gedenkreden wird
       mitunter in gedämpften Worten erwähnt, dass Nazifunktionäre in
       Westdeutschland nichts zu fürchten hatten. Die NS-Geschichte ist
       historisiert und kein Kampfgebiet mehr.
       
       Die Rede von Joachim Gauck fügt sich in dieses Bild. Auschwitz ist
       offiziell als negativer Kern der Bundesrepublik anerkannt, ohne den es
       „keine deutsche Identität gibt“.
       
       Der Bundespräsident hat viel Bedenkenswertes vorgetragen. Etwa, dass der
       Antifaschismus in der DDR ein Herrschaftsmittel war, das den Staat gegen
       Kritik imprägnierte. Oder dass Gedenken zum Ritual erstarren kann –
       allerdings ist dies selbst Teil jedes selbstreflexiven Gedenkrituals.
       
       Das bundesdeutsche Erinnerungswesen neigt allerdings zu einer allzu
       bequemen Erzählung – bei Gauck führt der Weg am Ende recht pastoral aus dem
       Dunkel der Diktatur zur taghellen Empathie mit den Opfern.
       
       Doch diese Strecke war mehr als nur kurvenreich. Zwangsarbeiter wurden
       knapp und spät entschädigt, andere, wie der griechische Staat, bis heute
       nicht. Es gibt keinen Grund für Selbstzufriedenheit, auch nicht für leise.
       
       Geschichtspolitik ist hierzulande eingefriedet. In Warschau, Kiew und
       Moskau ist sie jedoch hart und rüde umkämpft. Polens Außenminister
       verkündete kürzlich fälschlicherweise, dass ukrainische, nicht russische
       Soldaten Auschwitz befreiten. Der Moralbonus des Sieges über Hitler sollte
       so Putin entwendet werden. Die russische Propaganda hingegen überzeichnet
       die Regierung in Kiew grotesk zu Wiedergängern der Nazis.
       
       Hat das etwas mit uns zu tun? Allerdings. Gauck hat am 1. September in
       Polen kaum ein Wort über den NS-Vernichtungskrieg in der Sowjetunion
       verloren. Im Bundestag hat er nun den Rotarmisten gedankt, die Auschwitz
       befreiten. In knappen, sehr knappen Worten.
       
       Die Wehrmacht hat drei Millionen Rotarmisten grausam verhungern lassen. Das
       ist seit Langem bekannt, aber nicht Teil des viel gelobten bundesdeutschen
       Erinnerungskonsenses. Stalins Soldaten eignen sich nicht so richtig als
       Opfer.
       
       Gauck wird sich daran messen lassen müssen, ob er dafür Worte findet. So
       laut, dass sie in Moskau gehört werden. Seine Rede im Bundestag hat das
       Bundespräsidialamt ins Polnische, Hebräische und Englische übersetzt. Nicht
       ins Russische. Das ist das falsche Zeichen.
       
       27 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Reinecke
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Sowjetunion
 (DIR) Joachim Gauck
 (DIR) Bundestag
 (DIR) Auschwitz
 (DIR) Auschwitz
 (DIR) 8. Mai 1945
 (DIR) Joachim Gauck
 (DIR) Konzentrationslager
 (DIR) Gedenken
 (DIR) NS-Verbrechen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Neues Buch über Vernichtungslager: Effiziente Ausbeutung in Auschwitz
       
       Susanne Willems' neue Geschichte über Auschwitz zeigt, wie effizient
       Menschen in diesem Vernichtungslager ausgebeutet und verwertet wurden.
       
 (DIR) Berliner Konferenz zur Holocaustforschung: Der verwüstete Kontinent
       
       Auf der 5. Internationalen Konferenz zur Holocaustforschung wurde vor allem
       über die Zeit nach der Befreiung debattiert.
       
 (DIR) 70 Jahre nach der Auschwitz-Befreiung: Marian Turskis Tag im Bundestag
       
       „Es gibt keine deutsche Identität ohne Auschwitz“. Joachim Gauck erinnert
       daran, wie beschämend Deutsche nach der Schoah mit den Opfern umgingen.
       
 (DIR) Neue Verfahren gegen Auschwitz-Täter: Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen
       
       Die Ermittlungen gegen weitere Täter des KZ stehen vor dem Abschluss. Im
       April beginnt ein Prozess. Dort suchen Überlebende die Konfrontation.
       
 (DIR) Gauck zum Gedenken an Auschwitz: „Bewahrt die Mitmenschlichkeit“
       
       Es gibt keine deutsche Identität ohne Auschwitz: Mit persönlichen Worten
       erinnert der Bundespräsident an die Befreiung. Und mahnt, nicht zu
       vergessen.
       
 (DIR) Polnischer Skisportler im KZ Auschwitz: Der traurige Tod des Bronislaw Czech
       
       Czech starb kurz vor der Befreiung des KZ Auschwitz. Sein Schicksal
       verweist auf die Bedeutung, die der Sport für den Widerstand in Polen
       hatte.