# taz.de -- Besuch beim „Schwulen Heidekönig“: „Ich war ein Mäuschen“
       
       > Dirk Ahrens ist als Dirk I. „Schwuler Heidekönig“. Mit dem Titel will er
       > Männer unterstützen, die sich nicht zu ihrem Schwulsein bekennen.
       
 (IMG) Bild: Mit Schärpe vor Zimmerpalme: Dirk I., schwuler Heidekönig.
       
       Lüneburg, eine Wohnsiedlung am Rande eines Industriegebiets: zu Hause bei
       Dirk Ahrens (47).
       
       Draußen: ein Mehrfamilienhaus aus rotem Klinker. Alles sehr ordentlich,
       weiße Gardinen an den Fenstern, kurz geschorener Rasen. Dirk Ahrens ist
       nebenan zur Grundschule gegangen, seine Mutter wohnt nur zwei Kilometer
       entfernt. Jeder kennt hier jeden, sagt er. „Ich bin nicht weit gekommen.“
       
       Drin: Einige neue Möbel, ein schwarzes Ledersofa im Wohnzimmer, darüber das
       Foto eines japanischen Tempels, ein Glastisch davor. Ein paar Grünpflanzen,
       pflegeleichte; Dirk Ahrens hat als Gärtner keine Lust, sich Arbeit mit nach
       Hause zu nehmen. Dazwischen Altes: eine Pendeluhr, ein goldgeprägtes
       Lexikon und ein schnörkeliger Bilderrahmen, in den eine Freundin Fotos von
       Dirk Ahrens als schwulem Heidekönig geklebt hat.
       
       Gesicht zeigen: Dirk Ahrens holt die Postkarte, die SVEN, das
       Präventionsnetzwerk „Schwule Vielfalt erregt Niedersachsen“ hat drucken
       lassen: Rechts steht er, mit Brille und grauem Hemd, links ein blonder Mann
       im blauen Poloshirt, um sie beide ist eine Schärpe gewickelt, darunter
       steht: „Dennis I. & Dirk I. Schwule Lüneburger Heidekönige“. Den schwulen
       Heidekönig gibt es seit 2000, als Pendant zu heterosexuellen Heidekönigen
       und -königinnen. Dirk Ahrens hat sich aufstellen lassen, weil er nach wie
       vor Männer kennt, die sich nicht zu ihrem Schwulsein bekennen, die
       Scheinfreundinnen haben aus Furcht, als Homosexuelle anzuecken. „Mein
       Vorteil war, dass man mich kannte, ich war auf jeder Party.“
       
       Das Amt: Als schwuler Heidekönig kommt Dirk Ahrens rum. Im September war er
       in Aurich in Ostfriesland. Dort sollte ein Platz nach Karl Heinrich Ulrichs
       benannt werden, dem wohl ersten Schwulenaktivisten überhaupt. Schon vor 150
       Jahren forderte der Jurist und Sexualforscher die Abschaffung
       homosexuellenfeindlicher Gesetze und verschwieg nicht, dass er Männer
       liebte – seine Kindheit verbrachte er in Aurich. Begleitet wurde die
       Platzbenennung von der ersten ostfriesischen Christopher-Street-Day-Parade.
       Die Ostfriesen-Zeitung titelte: „Der schwule Heidekönig führt den Korso
       an“.
       
       Graue Maus: Dirk Ahrens hat sich spät geoutet, mit 31 Jahren. „Ich habe
       Jahre verschenkt“, sagt er. Bloß nicht den Mund aufmachen, habe er davor
       gedacht. „Ich war ein kleines graues Mäuschen.“ Fast wirkt er immer noch
       überrascht über sich: Jetzt ist er es, der einen Spaßwagen für das
       Lüneburger Volksfest vorschlägt, damit der schwule Heidekönig in seinem
       Cabrio ein Gefolge hat. Ahrens ist ein zurückhaltender, freundlicher Mann,
       aber und gerade deshalb glaubt man ihm sofort, dass es ihm Spaß macht, auf
       den Umzügen auch mal Lollies an die Männer am Straßenrand zu verteilen, um
       sie in Verlegenheit zu bringen.
       
       Japan: Vor drei Jahren hat er einen japanischen Studenten in Lüneburg
       getroffen, der sein Hotel nicht fand. Sie haben sich angefreundet, letztes
       Jahr hat er ihn in Japan besucht. Der Student ist schwul, aber seine
       Familie ist sehr traditionell und er wagt es nicht, sich ihnen zu
       offenbaren. Auf der Reise ist Dirk Ahrens auch nach Südjapan zu den
       Naturteichen gefahren, in denen die Kois gezüchtet werden, die sein Chef
       als Liebhaberei in Lüneburg verkauft. Das Foto über seinem Sofa hat Ahrens
       auf dieser Reise gemacht, der Tempel mit seinen hohen Toren hat ihn
       beeindruckt, weil da unvermittelt mitten in der Großstadt ein so ruhiger
       Ort auftauchte. Der Tempel zwischen hohen Bäumen, Dirk Ahrens im Ornat als
       Heidekönig: Die Fotos zeigen, dass er immer wieder herauskommt aus Neu
       Hagen, Lüneburg.
       
       Alltag: Er geht gern zur Arbeit in der Gärtnerei, er mag die Kollegin sehr
       – „wir sind wie Arsch und Pott und kaspern rum“. Angefangen hat er in der
       Produktion, nun arbeitet er im Verkauf, weil er Spaß am Umgang mit den
       Kunden hat. In der Hochsaison fängt er um 7.30 Uhr an und kommt um 18 Uhr
       nach Hause. „Ich bin nicht so ein Szenegänger“, sagt er, „das ist nicht
       meine Welt.“ Aber ab und zu bricht er aus dem ruhigen Leben aus und reist
       zu den CSDs nach Oldenburg, Berlin oder Hannover. Neulich hat er sich das
       erste Mal als „Fummeltrine“ kostümiert. „Man darf dann alles“, sagt er,
       „man ist jemand anderes, Frecheres“.
       
       Liebe: Seit drei Jahren ist er allein. Seinen Exfreund hat er kurz nach dem
       Outing kennengelernt, über ihn hat er auch den Kontakt zu SVEN gefunden. Es
       war eine gute Zeit, sie sind viel gereist, bis in die USA, der Freund kam
       auch mit zu den Familienfesten. Sie haben nach wie vor guten Kontakt. Dirk
       Ahrens fällt die Decke nicht auf den Kopf, er hat einen engen
       Freundeskreis, Leute, die er seit 30 Jahren kennt, schwul und
       heterosexuell, mit denen er sich zu Spieleabenden oder zum Essen trifft.
       Eine Beziehung wäre trotzdem schön: „Wenn jemand auftauchte, dann würde ich
       nicht Nein sagen.“
       
       Familie: Dirk Ahrens hat vier Brüder. Die Angst vor blöden Sprüchen und
       davor, die Familie zu verlieren, hat ihn lange mit dem Coming-out zögern
       lassen. Unterm Strich ist es glimpflich gelaufen. Dem Bruder, der sich den
       Zeugen Jehovas angeschlossen hat, hat er gesagt: „Nerv uns nicht mit
       Jehova, dann nerven wir dich nicht mit schwulen Sachen.“ Die Mutter hat
       damals gesagt: „Das ist kein Problem“, aber anschließend brach sie in
       Tränen aus. Sie ist zu einem Arzt gegangen, ob man nicht etwas gegen das
       Schwulsein tun könne? „Finden Sie sich damit ab“, hat der Arzt geantwortet.
       Schließlich hat sie den Sohn mit dem Freund zum Abendessen eingeladen.
       
       Die Mutter: Sie hat nachts Zeitungen ausgetragen, um etwas zum
       Familieneinkommen beizutragen, der Vater war bei der Bahn. Trotzdem ist sie
       frühmorgens aufgestanden, um Frühstück für die Kinder zu machen. Es sollte
       etwas aus ihnen werden, aus allen ist etwas geworden. Heute fährt Dirk
       Ahrens mit ihr einkaufen und sortiert ihr die Tabletten in den
       Tablettenkasten. Er fragt sich manchmal, wer das einmal für ihn tun wird.
       Sehnsucht nach einer eigenen Familie hat er nicht, dazu ist es ihm auch zu
       wichtig, unabhängig zu sein. Vielleicht, hat er sich überlegt, findet er
       später einmal eine schwule Alten-WG.
       
       Wie finden Sie Merkel? Sein Bauchgefühl: „Nicht meine Lieblingspolitikerin:
       Wie ihr Ziehvater sitzt sie alles aus.“ Ob andere Politiker es besser
       machen würden – „da bin ich unsicher“.
       
       14 Mar 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Friederike Gräff
       
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