# taz.de -- Film aus Äthiopien: Die Braut trifft in den Bauch
       
       > Das Ringen von Tradition und Moderne ist entschieden: Zeresenay Berhane
       > Mehari erzählt in „Das Mädchen Hirut“ eine erbauliche Geschichte.
       
 (IMG) Bild: Solidarische Gesten: Die Anwältin Meaza Ashenafi (Meron Getnet) tröstet ihre Mandantin Hirut (Tizita Hagere, rechts).
       
       Sobald es um billige, auf Video gedrehte Komödien und Actionfilme geht, hat
       Äthiopien eine reiche Filmproduktion. In der Hauptstadt Addis Abeba gibt es
       mehr als zehn Kinos, zum Teil haben sie mehrere Säle, was in einem
       Entwicklungsland alles andere als selbstverständlich ist. Diese Säle werden
       zuverlässig mit einheimischen Produktionen bespielt; fast nimmt es Wunder,
       dass sich, obwohl der Hunger nach neuem, exotischem Trash unter den
       Programmgestaltern gewaltig ist, noch keines der internationalen
       Filmfestivals eine Addiswood-Retrospektive einverleibt hat.
       
       Jenseits der Videoproduktion sieht es weniger gut aus. Der einzige
       äthiopische Regisseur, der im Ausland Bekanntheit genießt und halbwegs
       kontinuierlich hat filmen können, ist Haile Gerima. Seit 1967 lebt er in
       den USA, wo er wesentlich an der Los Angeles School of Black Filmmakers
       beteiligt war. Zugleich hat er mit „Harvest: 3.000 Years“ (1976) oder
       „Teza“ (2008) spezifisch äthiopische Stoffe fürs Kino aufgegriffen, die zum
       Beispiel von der Zeit nach dem Sturz des Kaisers Haile Selassie, auch „Zeit
       des roten Terrors“ genannt, erzählen.
       
       Allein deshalb ist es bemerkenswert, wenn nun ein vergleichsweise
       aufwändiger, auf 35mm gedrehter Film aus Äthiopien ins Kino kommt, nachdem
       er 2014 von Festival zu Festival (Sundance, Berlinale u. a.) getourt ist:
       Zeresenay Berhane Meharis Debüt „Das Mädchen Hirut“ („Difret“ im
       amharischen Original). Der Karriere des Films hat es sicherlich nicht
       geschadet, dass Angelina Jolie ausführende Produzentin ist. Als Regisseurin
       wie als UN-Sonderbotschafterin engagiert sich Jolie für Menschenrechte;
       besonders die missliche Situation von Frauen treibt sie um. An dieses
       Engagement schließt „Das Mädchen Hirut“ nahtlos an.
       
       Der Film geht auf eine tatsächliche Begebenheit aus den 90er Jahren zurück.
       Ein 14 Jahre altes Mädchen, das auf dem Land lebt, wird auf dem Schulweg
       von sieben Männern verschleppt und von einem vergewaltigt. Das gilt nicht
       als Verbrechen, sondern als legitim, da der Brautraub Teil der Sitten und
       Traditionen ist. Solange der Mann das Mädchen heiratet, ist die Gewalt eine
       Quantité négligeable.
       
       ## Ein Todesurteil droht
       
       Das Besondere an diesem Fall nun ist, dass es dem Mädchen gelingt, einer
       Flinte habhaft zu werden und sich zu befreien. Als die Männer im Begriff
       sind, die Fliehende erneut einzufangen, schießt sie auf den Mann, der sie
       vergewaltigt hat. Sie wird daraufhin überwältigt, verprügelt und wegen Mord
       im örtlichen Gefängnis festgehalten, obwohl sie so schwer verletzt ist,
       dass sie im Krankenhaus versorgt werden müsste. Ein Todesurteil wäre Hirut
       (Tizita Hagere) sicher, würde sich nicht die Anwältin Meaza Ashenafi (Meron
       Getnet) dazu entschließen, sie kostenlos zu verteidigen.
       
       Das ist die Ausgangssituation des Films. Was nun folgt, ist die Verhandlung
       der Frage, wem es am Ende gelingt, sich durchzusetzen: der Familie des
       toten Mannes, den Verteidigern der Tradition, dem opportunistischen
       Staatsanwalt oder der Lichtgestalt von einer Rechtsanwältin? Zwei Instanzen
       der Rechtsprechung, der Rat der Dorfältesten und das Gericht, konkurrieren
       miteinander.
       
       „Das Mädchen Hirut“ nimmt einige Umwege, mäandert zwischen den Instanzen,
       folgt der Anwältin bei ihren Versuchen, die richtigen Strippen zu ziehen.
       Auf welcher Seite der Film steht, ist dabei von Anfang an klar. In jeder
       Szene, in jedem Dialog, in jeder Interaktion der Figuren ist offenkundig,
       dass die patriarchale, ländliche Tradition fürchterlich und das Recht der
       Mädchen und Frauen auf Selbstbestimmung unbedingt zu unterstützen ist.
       
       ## Das Ringen ist entschieden
       
       Das ist in der Sache ohne Zweifel richtig, im Kino aber ist es meistens
       unergiebig, wenn die Fronten so klar verlaufen und die Einschätzungen so
       sauber ausfallen. Trotz der hübschen Landschaftspanoramen – im frischen
       Grünschimmer der Regenzeit sieht Äthiopien wirklich gut aus – und der
       Diskretion in der Darstellung von Gewalt und Armut bleibt „Das Mädchen
       Hirut“ eine Erbauungsfiktion.
       
       Der Film macht sich nicht die Mühe, Nuancen auszuloten oder eine
       Perspektive zuzulassen, die eine westlich-liberale Weltwahrnehmung auf die
       Probe stellte. Für Zeresenay Berhane Mehari ist das Ringen von Tradition
       und Moderne entschieden. Dass die unterlegene Tradition fiese Wiedergänger
       aussenden könnte, gerät aus dem Blick.
       
       12 Mar 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Cristina Nord
       
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