# taz.de -- Dokumentarfilme über Heimat: Irgendwo Zuhause
       
       > Auf der gerade gestarteten Dokfilmwoche in Hamburg laufen eigentlich
       > keine Heimatfilme. Aber in diesem Jahr kreisen doch viele der Filme um
       > die Frage, was einen Ort für wen zur Heimat macht
       
 (IMG) Bild: Die Kamera ganz nah dabei: Fünf Jahre hing Fiston Massamba in Marokko fest, bis er sich auf den Weg nach Süden machte.
       
       HAMBURG taz | Migration ist nicht nur tagespolitisch ein zentrales Thema.
       Gleich drei Filme, die bei der Dokumentarfilmwoche in Hamburg gezeigt
       werden, erzählen von solch existenziellen Reisen. Einer dieser Filme ist
       „Zurück in den Süden“ von Steffen Weber, der heute um 21 Uhr im Lichtmess
       läuft. Weber erzählt die Geschichte von Fiston Massamba, der aus dem Kongo
       nach Europa auswandern will und zu Beginn des Films schon fünf Jahre in
       Marokko festhängt.
       
       Massambas Versuche, das nur 14 Kilometer entfernte Spanien zu erreichen,
       waren allesamt gescheitert und als illegal Eingereister lebt er in
       ständiger Furcht vor der Abschiebung. Irgendwann verlässt er Marokko gen
       Süden, weil er gehört hat, dass es im Senegal leichter sein soll, ein Visum
       für Europa bekommen. Er besorgt sich falsche Papiere und mit ihnen eine
       neue Identität.
       
       Die Kamera begleitet ihn auf seiner verwegenen Reise, bleibt immer ganz nah
       bei ihm. So kann man sich in brenzligen Situationen wie Überprüfungen
       seines falschen Passes an Grenzkontrollen gut in ihn als den Helden des
       Films einfühlen. Da aber nie thematisiert wird, dass immer mindestens ein
       Europäer mit einer Kamera mitreist, hat der Film einen großen blinden Fleck
       und lässt viele Fragen offen.
       
       „Himmelverbot“ (Sa, 16.30 Uhr, Metropolis) hat nur am Rande mit Migration
       zu tun. Der in Hamburg lebende Filmemacher Andrei Schwartz hat eine
       Fortsetzung seiner Dokumentation „Jailbirds – Geschlossene Gesellschaft“
       gedreht, in dem er 2005 Insassen eines rumänischen
       Hochsicherheitsgefängnisses porträtierte. Einer von ihnen war der Mörder
       Gavriel Hrieb. Als der nach 21 Jahren aus dem Knast entlassen wurde,
       begleitete Schwartz ihn wieder mit der Kamera.
       
       ## Schwieriger Neuanfang
       
       Schwartz zeigt, wie schwierig ein Neuanfang für den durchaus sympathischen
       Ex-Häftling ist. Freunde und Verwandte stehen zu ihm, seine Exfrau kommt
       sogar wegen ihm aus Frankreich nach Rumänien zurück. Aber Hrieb findet
       keine Arbeit und die Nachbarn wollen nicht neben einem Mörder leben.
       Schließlich findet er (durch Vermittlung des Filmemachers) Arbeit als
       ungelernter Arbeiter in Bayern, wo er zwar unter Demütigungen von den
       deutschen Arbeitskollegen leidet, aber zumindest materiell abgesichert
       leben kann.
       
       All dies behandelt Schwartz eher nebenbei, denn ihm geht es mehr darum, wie
       Hrieb heute zu seinem Verbrechen steht. Dabei gibt es eine Wendung, die den
       Film unerwartet zu einem Krimi werden lässt und die den Protagonisten zum
       Schluss in ein ganz anderes Licht rückt.
       
       Wenn Heiko Volkmer bei seinem 66 Minuten langen Film „Buchbiografien“ (Fr,
       20 Uhr, B-Movie) für „Buch und Regie“ verantwortlich zeichnet, ist das fast
       schon ein Kalauer, denn er hat nicht nur das Drehbuch geschrieben, sondern
       auch das Buch, dessen Entstehungsgeschichte hier dokumentiert wird. Vom
       gefällten Baum im Wald über die Schaffensängste des Autoren, das Lektorat,
       den Druck, das Marketing, den Verkauf und schließlich das Antiquariat
       werden alle Arbeitsstadien erfreulich klar und detailliert dargestellt.
       
       Aber es ging Volkmer um mehr als um eine Art Sachgeschichte für Erwachsene.
       So wie das von ihm geschriebene Buch mit dem Untertitel eine „Expedition in
       die Abgründe der Entfremdung“ aus Reflexionen über die Arbeitswelt besteht,
       lässt er in seinem Film auch die jeweils Arbeitenden von ihre
       Lebensbedingungen und über ihr Selbstverständnis reden. Wenn ein
       Facharbeiter, ein Korrektor, eine Verlagsvertreterin oder ein Buchbinder
       dann auch noch zu ihren Aussagen passende Passagen aus Volkmers Buch
       vorlesen, ist das eine der Doppelungen, die der Autor ein wenig zu
       selbstverliebt präsentiert.
       
       ## Hang zur Konstruktion
       
       Auch im letzten Drittel des Films kommt ihm sein Hang zur mathematischen
       Konstruktion in die Quere. Bei den letzten Schritten zur Fertigstellung des
       Buches teilt sich der Erzählstrang in eine lange, wenig effektive
       Parallelmontage. Auf einer Ebene wird jede sorgfältige Handbewegung
       gezeigt, mit der das Buch zusammengefügt gebunden und geklebt wird.
       
       Auf der zweiten Ebene zeigt der Film alle Arbeitsprozesse nach der
       Fertigstellung des Buches, also Verkaufsgespräche einer Verlagsvertreterin,
       die Arbeit einer Verkäuferin in einem Call Center und das müßige Warten des
       Besitzers eines Antiquariats auf Kundschaft. So kann Volkmer zugleich mit
       dem Ende der Verwertungskette enden – wobei ein Grabbeltisch oder
       Altpapiercontainer noch schlüssiger gewesen wären – und mit seiner Hand,
       die zum ersten Mal das eigene Buch aufschlägt. Es sei ihm gegönnt.
       
       In einem Programm mit kürzeren Filme, die heute Abend um 18.30 Uhr im
       Hamburger Lichtmess gezeigt werden, fallen zwei Filme durch ihre ähnliche
       Gestaltungsart auf. In „Hochbrücke Brunsbüttel“ hat Karsten Wiesel die
       Überführung des Nord-Ostsee-Kanals mit seiner Kamera wie einen fremden
       Körper untersucht. An, auf, unter und in der Brücke zeigt er in ruhigen
       Einstellungen, wie sie konstruiert ist, wie sie funktioniert und sich
       bewegt.
       
       Schon minimale Veränderungen, die durch den Verkehr, das Wetter und die
       Wartung ausgelöst werden, bringen die Brücke zum Klingen. Diese
       Originaltöne hat Wiesel durch ein raffiniertes Sounddesign so verstärkt,
       dass das Singen der Reifen, Knacken im Beton oder Pfeifen des Windes in den
       Stahltrossen dem Film eine dichte, manchmal bedrohliche Atmosphäre gibt, zu
       der die sachlich, nüchternen Bilder einen reizvollen Kontrast bilden.
       
       Ebenfalls ganz ohne Text kommt Steffen Goldkamps „Wallenhorst“ aus. Er
       zeigt Straßenansichten und Alltagsszenen aus einer Gemeinde mit etwa 20.000
       Einwohnern: Einfamilienhäuser mit adretten Auffahrten und pedantisch
       gepflegte Gärten. Wirklich zu leben scheinen in dieser norddeutschen
       Provinz nur die Jugendlichen, die mit ihren Mofas herumknattern und sich im
       Freibad oder beim Osterfeuer treffen. Es ist langweilig, aber friedlich.
       Für Fisson Massamba wäre dieser Ort sicherlich das Paradies.
       
       ## Die Sektion „Dokland Hamburg“ läuft im Rahmen der Dokumentarfilmwoche
       noch bis zum 12. April. Alle Filme und Spielorte gibt es im Netz:
       
       9 Apr 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Wilfried Hippen
       
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