# taz.de -- Wintermarkt mit „Die Feuerzangenbowle“: Touri-Niemandsland im Berliner Nikolaiviertel
       
       > Im Berliner Nikolaiviertel spricht man winterlich der Feuerzangenbowle
       > zu. Der gleichnamige Film lockt in den trubelfreien Nostalgiekiez.
       
 (IMG) Bild: Heinz Rühmann ist in der „Feuerzangenbowle“ der Pfeiffer mit den drei f
       
       Das Nikolaiviertel, die historische Mitte von Berlin, liegt direkt im
       touristischen Laufrevier Ost, unweit von Dom und Hackeschem Markt. Trotzdem
       wirkt es im Weihnachtsmärktetrubel ringsum fast wie ein
       Touri-Niemandsland. Aber es gibt ein winterliches Public Viewing dort.
       Mehrmals täglich, und das noch bis 1. Januar, wird direkt neben der
       Nikolaikirche „Die Feuerzangenbowle“ aus dem Jahr 1944 mit Heinz Rühmann
       gezeigt.
       
       Das Viertel hat eine Vergangenheit als sozialistischer Nostalgiekiez. Vor
       der 750-Jahr-Feier Berlins 1987 wurde das im Krieg zerstörte Viertel
       restauriert. Während die DDR-Architekturkritik den Mix aus Restauration,
       Neubau und Theaterkulisse grenzwertig fand, stiftete interessanterweise die
       Westberliner Presse überwiegend Lob für das puppenstubenhafte Stück
       Altberlin.
       
       Nach der Wende ist es in Uncoolness versunken. Kein Technoklub, keine
       illegale Kneipe, kein Arm-aber-sexy-Flair. Eigentlich hätte es schon damals
       keinen besseren Ort für ein Außengastroevent mit einem UFA-Filmklassiker
       geben können. Warum man sich ausgerechnet „Die Feuerzangenbowle“ ausgesucht
       hat und nicht den „Aschenbrödel“-Film oder „Der kleine Lord“, die ebenfalls
       seit Jahren durchs Adventsfernsehprogramm schlingern, könnte am
       saisonaffinen Filmtitel liegen. Und in gewisser Hinsicht passt es sogar zur
       städtebaulichen Restauration um das Nikolaiviertel. Nebenan erhebt sich das
       wieder errichtete Stadtschloss, das dort schon um 1900 stand – in der Zeit,
       in der die Verfilmung des Buchs von Heinrich Spoerl spielt. Und auch noch
       1943, als der Film in Babelsberg gedreht wurde.
       
       Über die Ränke um seine Zulassung in der nicht mehr so siegestrunkenen
       Kriegszeit wird eine Anekdote auf Wikipedia erzählt. Der
       Reichserziehungsminister Rust habe die Freigabe der Komödie zu verhindern
       versucht, da sie die Autorität der Schule gefährde, woraufhin Heinz Rühmann
       mit einer Filmkopie zum Führerhauptquartier Wolfsschanze gefahren sei, um
       die Meinung von Adolf Hitler einzuholen. „Ist dieser Film zum Lachen?“,
       soll der Führer den Reichsmarschall Göring gefragt haben. Als der
       versichert habe, selbst mehrmals habe lachen zu müssen, hätte Hitler
       geantwortet: [1][„Dann ist dieser Film sofort für das deutsche Volk
       freizugeben.“] Eigentlich eine Topvorlage für einen gespielten Sketch, den
       man immer vor der Sendung des Films bringen könnte. Natürlich mit
       Triggerwarnung: Der Film zeichnet mitten im Krieg ein Bild unschuldiger,
       sympathischer Deutscher.
       
       Jedenfalls geschah, wie der Führer geheißen, und so kam es zur Premiere am
       28. Januar 1944 in zwei Berliner Filmpalästen. Aufgrund eines für abends
       angekündigten Fliegeralarms fand die am Vormittag statt.
       
       ## Den ganzen Tag Winter-Film-Fest
       
       Im Nikolaiviertel läuft der Film den ganzen Tag, ohne Ton, weil eine
       Anwohnerin mal geklagt hatte. Dreimal am Tag ist der Ton an, was der
       Großteil der Gäste nicht mitkriegt. Die als Winter-Film-Fest beworbene
       Veranstaltung wirkt auch nicht ganz so, wie es der Name suggeriert. Von den
       behaglichen Sesseln gibt es in dem kleinen Büdchenareal nur sehr, sehr
       wenige. Und die Schwarzweißbilder flimmern nicht auf einer Leinwand, wie
       man denken könnte, sondern auf einem eher kleinen Flatscreen. Das scheint
       den allermeisten Besuchern an den Stehtischen einigermaßen egal. Die eher
       älteren Semester plaudern in kleineren Runden, manchmal hört man Englisch
       heraus, und interessieren sich meist nur für die Feuerzangenbowle als
       Getränk.
       
       Zwei Frauen sind jedoch eigens aus dem Brandenburger Umland gekommen,
       nachdem sie von der Sache gelesen hatten. Das Ambiente enttäuscht sie
       etwas, aber nach einigen Glühweinen mit dem Verfasser sind auch sie in
       Plauderlaune. Auf den Film müssen sie kaum achten, die
       Herz-Schmerz-Pennäler-Story vom verkleideten Gymnasiasten Pfeiffer kennen
       sie eh auswendig. Am Ende fahren sie mit einem leichten Schwipps und der
       festen Idee nach Hause. Nächstes Jahr wollen sie selbst so eine
       „Feuerzangenbowle“-Vorführung mit ihren Familien und Freunden daheim unterm
       Caport machen.
       
       21 Dec 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Feuerzangenbowle_(1944)
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gunnar Leue
       
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