# taz.de -- 40 Jahre Goldene Zitronen: Wenn schon nicht ewig jung, dann halt in Würde alt
       
       > Es ist die Band, die einfach immer weitermacht, mit immer neuen
       > Strategien: Die Goldenen Zitronen feiern ihr 40-Jähriges auf Tour.
       
 (IMG) Bild: Wie stets natürlich flott unterwegs: die Goldenen Zitronen
       
       Der Spruch „Man ist so jung, wie man sich fühlt“, „gefühltes Alter“, alles
       Quatsch, hat Max Goldt einst dekretiert, zurecht. Besser: Man nimmt die
       durchschnittliche Lebenswartung, teilt sie durch zwei, wenn die Anzahl der
       Lebensjahre in die erste Hälfte fällt, ist man jung, und in der zweiten ist
       man alt. Bei Männern liegt der Kipppunkt bei 39,1 Jahren. Eine Band, die
       ihren 40. Geburtstag feiert, ist also alt. Und fühlt sich heute zumindest
       für die, die Jahrgang 1980 oder jünger sind, so an, als wäre sie schon
       immer da gewesen.
       
       Man kann die große Rolle, die die Goldenen Zitronen für die, die in den
       Achtzigern und Neunzigern hierzulande popkulturell sozialisiert wurden,
       eigentlich nicht überschätzen, politisch wie musikalisch. Die immense
       Bedeutung, die diese Musik für das Publikum hat, ist bei der Berliner Gala
       [1][zum vierzigsten Bandjubiläum] im ausverkauften Festsaal Kreuzberg zu
       spüren. Die Goldenen Zitronen haben als
       Funpunk-Rockabilly-Schlagerparodie-Band angefangen und sich nach zehn
       Jahren lustigem Saufen aus der musikalischen Enge ins musikalisch Offene
       bewegt.
       
       Die Lust am Theaterhaften aber war von Anfang an da, authentisch wollten
       Die Goldenen Zitronen nie sein, und auch deswegen ist das Frühwerk noch
       immer lustiger und cleverer als der deutsche, ansonsten ja sehr
       marschmusikverliebte Funpunk sonst. Bei der Gala werden auf der Bühne dann
       auch wieder schön bunte Kostüme, Kleider und bescheuerte Sex-Guru-Tanktops
       aufgetragen.
       
       Spätestens seit dem Album „Das bisschen Totschlag“ 1994 floss einiges mehr
       in den Songs zusammen als im deutschen Pop sonst üblich. LoFi-Punk wurde
       mit Sprechgesang kombiniert, die Musik quietschte lustig. Auf „Economy
       Class“ spielten die Zitronen dann 1996 mit Free-Jazz-Versatzstücken rum.
       Mit den Goldenen Zitronen konnte man lernen, was musikalisch alles möglich
       war, wenn einem Genregrenzen egal sind. Der Weg ging vom Punk über
       Experimente bis hin zu den Stadttheatern, [2][an denen Zitronen-Sänger
       Schorsch Kamerun heute tätig ist].
       
       ## Die Goldenen Zitronen haben alle Amtszeiten überdauert
       
       Auf der Bühne des Festsaals bildet sich dieses Machen-was-man-will in einer
       großen musikalischen Vielfalt ab, die zum ersten Mal seit Langem das von
       der Band inzwischen eher kritisch gesehene Frühwerk einschloss. Schön, wenn
       Menschen, die die Lebensmitte hinter sich haben, zu einem Lied wie „Die
       chinesische Schubkarre“ rumspringen, als wäre wieder 1987. Und weil das
       eine Gala ist, kamen eine ganze Reihe von Gästen auf die Bühne, die in
       einem Fall ein sehr altes Stück live sozusagen umschreiben. Camille O
       verwandelte das vor 37 Jahren bereits ironisch gemeinte „Für immer Punk“
       auf der Harfe in eine queere Ballade.
       
       40 Jahre sind eine lange Zeit, Kohl (von der Band einst als „großer, dicker
       König“ besungen), Merkel, die Goldenen Zitronen haben alle Amtszeiten
       überdauert, und man spürt im Saal die Freude darüber, dass alle immer noch
       da sind, mit dieser Band, seit einer Ewigkeit, also eigentlich das ganze
       Leben von der Adoleszenz an.
       
       Und wie viel man als junger Mensch von ihr, ganz didaktisch, lernen konnte,
       kann man an dem Abend auch noch einmal nachvollziehen. Die Goldenen
       Zitronen haben eine neue Sprache für das, was man einst Protestlied nannte,
       entwickelt. Eine Sprache, die in einer Verabschiedung von Parolenförmigkeit
       versucht, das Geschehen in seiner Komplexität abzubilden.
       
       Jedenfalls leben Die Goldenen Zitronen auf der Bühne vor, wie man auch als
       Popdödel und ehemalige Spex-Leser:in in Würde alt werden kann. Was auch
       deswegen gelingt, weil die Band schon seit Jahren näher am Pol Sun Ra
       Arkestra als Pol Die Toten Hosen vor sich hin werkelt, und das unbeirrt.
       Daher wird auch die Nostalgie rühren, die den Festsaal Kreuzberg an diesem
       Abend immer wieder leise durchweht – bei wahrscheinlich allen, die sich vom
       Subkulturleben, das primär in Kneipen und vor Bühnen stattfand, in eine
       Büro- oder Agenturensohnexistenz verabschiedet haben. Die Goldenen Zitronen
       machen dagegen einfach immer weiter, und das ist schön.
       
       6 Dec 2024
       
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 (DIR) Benjamin Moldenhauer
       
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