# taz.de -- Tarifverhandlungen bei der BVG: Tempo, Tempo, Herr Kaya!
       
       > Bei den BVG-Tarifverhandlungen geht es auch um die Wendezeiten für
       > Busfahrer*innen. Die reicht allzu häufig kaum aus, um auf Toilette zu
       > gehen.
       
 (IMG) Bild: „Die Arbeitsbedingungen sind Stück für Stück schlechter geworden. Man macht sich kaputt“, sagt Busfahrer Erdogan Kaya
       
       Berlin taz | Die Straßenlaternen am Kurt-Schumacher-Platz in Reinickendorf
       gehen aus. Eine zierliche Frau mit roten Haaren zieht an ihrer E-Zigarette
       und bläst süßen Dampf in die Luft. Der M21 kommt zu spät. Busfahrer Erdogan
       Kaya öffnet die vordere Tür, die Frau steigt ein. Sein graues Haar hat er
       zu einem Zopf gebunden. Ein schneller Blick auf die Uhr, und er fährt los.
       Die Busspur musste einem Fahrradstreifen weichen. Bei seinen ausgedehnten
       Sonntags-Radtouren profitiert Kaya davon, bei der Arbeit bremst es ihn aus.
       
       Die Gewerkschaft Verdi und die BVG verhandeln nach wie vor über einen
       Manteltarifvertrag. „Es geht um alles außer Geld. Wir fordern Entlastung“,
       sagt Gordon Günther, Gewerkschaftssekretär für den Fachbereich Busse und
       Bahnen bei Verdi. Die Regelung zur Wendezeit ist dabei ein zentrales
       Element. Schließlich sind die Busfahrer*innen die größte Berufsgruppe
       innerhalb des Unternehmens. [1][An der Endhaltestelle angekommen, haben sie
       im kürzesten Fall vier Minuten Zeit,] um den Bus zu wenden und zur ersten
       Haltestelle zu fahren. Verdi fordert zehn Minuten, damit die
       Busfahrer*innen „einmal kurz durchatmen können“.
       
       Eine Frau mit Rollator steigt bei Erdogan Kaya ein. Sie geht langsam, setzt
       sich vorsichtig hin, zieht die Bremse am Rollator an. Sie kennt den
       Zeitplan nicht. Klapp, Knall, dann Geschrei – ein kleiner Junge ist von den
       hochklappbaren Sitzen auf den Boden gefallen. Kaya fragt, ob etwas passiert
       sei. Die Mutter winkt ab.
       
       Die Fahrt geht weiter. Hier sind die Straßen eng. „Für den Job braucht man
       Konzentration, man muss fit sein“, sagt Kaya. An dieser Kreuzung hätten
       sich einmal zwei Busse beim Abbiegen ineinander verkeilt.
       
       ## Acht Minuten Wendezeit
       
       Der letzte Fahrgast ist ausgestiegen. Kaya fährt zur Wendeschleife. Er
       schaltet den Motor aus, nimmt einen Kugelschreiber und ein kleines Blatt
       Papier zur Hand. Wendezeit sind hier acht Minuten. Die Ankunftszeit ist
       sechs Minuten hinter Plan. Bleiben ihm noch zwei Minuten bis zur geplanten
       Abfahrt. Kaya steht auf, läuft von vorn nach hinten durch den Bus und
       schaut, ob alles in Ordnung ist. Danach wendet er den Bus und beginnt eine
       neue Fahrt.
       
       Ende Februar stand Kaya in gelber Warnweste vor der BVG-Zentrale an der
       Holzmarktstraße in Mitte. [2][Verdi hatte zum Streik aufgerufen, die
       Tarifverhandlungen waren nicht vorangekommen.] Hier ein Händeschütteln, da
       eine Umarmung: „Wie geht es dir? Was machst du?“ Seit 35 Jahren arbeitet er
       als Busfahrer.
       
       Kaya ist Teil der Koffergeneration: Jahrelang reiste er in den Sommerferien
       aus der Türkei nach Deutschland. Erst mit 14 zog er aus der Obhut seines
       Onkels nach Berlin zu seinen Eltern. Im Juni 1989 fing er bei der BVG an,
       im November fiel die Mauer. „Das war eine tolle Zeit. Auf einmal war die
       Stadt voller Menschen“, sagt er. „Mir wurde gesagt, ich solle nicht die
       Fahrkarten kontrollieren und alle Menschen mitfahren lassen. Das habe ich
       getan.“
       
       ## Acht Jahre bis zur Rente
       
       Damals hatte Kaya zwischen den Touren Zeit, um sich mit seinen
       Kollegen*innen zu unterhalten. Heute ist die Wendezeit für Kaya ein
       Problem. „Du kommst schon zu spät an und hast dann Stress, den Bus zu
       wenden und eine pünktliche Abfahrt zu schaffen.“ Kaya bleiben noch acht
       Jahre bis zur Rente. Er überlegt, seine Arbeitszeit zu reduzieren. „Die
       Arbeitsbedingungen sind Stück für Stück schlechter geworden. [3][Man macht
       sich kaputt.“]
       
       Laut BVG waren 1990 bei der BVG (West) und den Berliner Verkehrsbetrieben
       BVB (Ost) zusammen 27.400 Angestellte beschäftigt. Nachdem das Personal bis
       2010 auf 12.650 geschrumpft war, stieg die Zahl bis Ende 2023 auf immerhin
       16.100 Mitarbeitende wieder an. Der Altersdurchschnitt der
       Busfahrer*innen liegt bei 48 Jahren. In den kommenden Jahren werden
       viele Babyboomer in Rente gehen. Die Bundesagentur für Arbeit listet den
       Beruf der Bus- und Tramfahrer*innen in einer Analyse für das Jahr 2022
       als Engpassberuf.
       
       Nach eigener Aussage hat die BVG im vergangenen Jahr rund 650
       Busfahrer*innen eingestellt. „Das Problem ist nicht, dass keine neuen
       Busfahrer eingestellt werden. Das Problem ist, dass sie sofort wieder
       kündigen“, berichtet Kaya.
       
       ## Fachkräftemangel ist bereits deutlich zu spüren
       
       „Die Akzeptanz für die Streiks ist da, auch gerade angesichts der
       Inflation“, sagt der Gewerkschaftsexperte Bernhard Ebbinghaus von der
       Universität Mannheim. „Was sich natürlich ändern könnte, wenn die Streiks
       zu lange dauern.“ Während der Coronapandemie habe es einen „angestauten
       Bedarf“ nach Tarifverhandlungen gegeben. „Der Fachkräftemangel ist bereits
       deutlich zu spüren, das stärkt die Arbeitnehmerseite. Andererseits ist es
       dadurch aber auch schwer, die Arbeitszeit für die bestehenden Angestellten
       zu verkürzen“, beschreibt er das Dilemma.
       
       Für Kaya geht es weiter auf der Linie 125. Noch weiter raus aus der Stadt.
       Die Haltestellen heißen Jägerstieg und Am Amseltal. Hohe Bäume säumen die
       frei stehenden Häuser mit ihren großzügigen Grundstücken. Am S-Bahnhof
       Frohnau gibt es eine Umleitung. Das bedeutet zwei Minuten Umweg, die im
       Zeitplan nicht berücksichtigt sind.
       
       Nach der letzten Station biegt Kaya zur Wendeschleife in einen Waldweg ab.
       Er parkt den Bus und steigt aus. Die Wipfel der Kiefern bewegen sich im
       Wind. Die Luft ist klar. Die Vögel zwitschern. Er stapft eilig durch
       schlammige dunkle Erde zum grünen Toilettenhäuschen. Viel Zeit hat er
       nicht: Die Wendezeit reicht eigentlich nicht aus, um auf die Toilette zu
       gehen.
       
       19 Mar 2024
       
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