# taz.de -- Synthesizerpionier Richard Pinhas: Neues vom elektronischen Guerillero
       
       > Richard Pinhas war Schüler von Jean-François Lyotard und arbeitete mit
       > Synthesizern. Die Alben seiner Band werden erstmals in Deutschland
       > veröffentlicht.
       
 (IMG) Bild: Legendäre Typen: Richard Pinhas (Mitte) im Kreise von Heldon
       
       Richard Pinhas erinnert sich gern daran, wie er 1976 den beiden
       Gründungsmitgliedern von Kraftwerk begegnete. „Ralf Hütter und Florian
       Schneider-Esleben waren zu Besuch in Paris, hatten ein Konzert von mir
       gesehen und fragten, ob wir uns mal treffen können“, erzählt der
       französische Musiker im Gespräch mit der taz. Zur Verabredung mit Kraftwerk
       brachte Pinhas ein Geschenk mit: „Un rêve sans conséquence spéciale“ (Ein
       folgenloser Traum), das fünfte Album seiner Band Heldon, die sich 1973
       gegründet hatte.
       
       Damals galten Heldon als Avantgarde, inzwischen werden ihre Alben
       Meilensteine der elektronischen Musik genannt. Junge US-Houseproduzenten
       wie Jamal Moss führen sie als Referenz an. Insgesamt sieben Werke
       veröffentlichten Heldon bis zur Auflösung 1979. Nun werden alle ihre Alben
       vom Hamburger Label Bureau B erstmals in Deutschland veröffentlicht.
       Bereits erschienen ist Pinhas’ fast im Alleingang eingespieltes Debütalbum
       „Electronique Guerilla“, und der viel beachtete Zweitling „Allez-Teia“ mit
       Georges Grunblatt an Gitarre und Mellotron.
       
       „Mitte der Siebziger setzten nur wenige Künstler Synthesizer beim
       Musizieren ein“, erzählt Pinhas. „Yellow Magic Orchestra in Japan, Larry
       Fast und Herbie Hancock in den USA, Brian Eno in England, Tangerine Dream,
       Can und Kraftwerk in Deutschland“, listet er spontan auf. Ihrer
       Pioniertaten seien sie sich alle bewusst gewusst gewesen, erklärt Pinhas,
       der bis heute als Musiker aktiv ist, und dementsprechend habe man sich auch
       sehr füreinander interessiert.
       
       Als er den Düsseldorfer Künstlern sein Geschenk überreichen wollte, erntete
       er Gelächter: „Ralf und Florian wedelten mit einer Tüte. Darin war mein
       Album, das sie sich kurz vor unserem Treffen gekauft hatten“, lacht Pinhas.
       „Die LP war nicht leicht zu finden!“
       
       ## Prägende Einflüsse
       
       Auf die westdeutschen Krautrocker und Elektronik-Pioniere wurde Pinhas erst
       in den Siebzigern aufmerksam. „Zunächst war ich mehr Anglo als Sachse“,
       witzelt er. Als er anfing, erste Stücke zu komponieren, zählten vor allem
       Brian Eno und Robert Fripp, der Gitarrist der Progressive-Rock-Band King
       Crimson, zu seinen prägenden Einflüssen. Pinhas Begeisterung für die beiden
       Briten brachte ihn auch dazu, ein Demotape an ihr Label E. G. Records zu
       schicken. Der Traum, auf dem Label seiner Vorbilder zu veröffentlichen,
       wäre beinah in Erfüllung gegangen: „E.G.-Manager Mark Fenwick war bereit,
       mich unter Vertrag zu nehmen, allerdings hätte es ein Jahr gedauert“,
       erzählt Pinhas. „Ich war da gerade 22 geworden – und ein Jahr fühlte sich
       damals an wie eine halbe Ewigkeit“, erzählt Pinhas.
       
       Zu diesem Zeitpunkt war er voller Tatendrang und hatte bereits zum Thema
       „Das Unbewusste, Science-Fiction und weitere Maschinen“ beim Theoretiker
       der Postmoderne, Jean-François Lyotard, promoviert. Warten auf einen
       Plattenvertrag wollte er keineswegs. So blieb ihm nichts anderes übrig, als
       das Projekt der Albumveröffentlichung selbst in die Hand zu nehmen. „Mich
       hat sowieso der gesamte Prozess interessiert, von der Aufnahme bis zum
       Vertrieb“, meint er ganz pragmatisch, und war damit der erste französische
       Musiker überhaupt, der sich völlig selbstständig produzierte und
       vermarktete.
       
       Ganz nebenbei stellte er fest, dass er sein Album „Electronique Guerilla“
       zur Hälfte des üblichen, von ihm als zu teuer empfundenen Handelspreises
       anbieten konnte und am Ende trotzdem doppelt so viel wie seine
       Musikerkollegen daran verdiente. Do it yourself avant la lettre. Das von
       der ungewöhnlichen Fusion einer Gitarre mit einem EMS-Synthesizer AKS
       getriebene Debüt verkaufte sich in kurzer Zeit mehr als 19.000-mal. Auch
       die Kritik war von der innovativen Kraft seines eigenwilligen
       Space-Rock-Sounds begeistert: Kultsendungen wie „Pop-Club“ bei Radio France
       Inter luden Pinhas zum Interview und er kam aufs Cover des hippen Magazins
       Actuel. „Man war damals froh, dass Musik der Zukunft endlich auch in
       Frankreich angekommen war“, resümiert der Künstler den Rummel um seine
       Person.
       
       ## Energie und Haltung
       
       Pinhas’ Aktivitäten blieben jedenfalls nicht unbemerkt und fanden bald
       zahlreiche Nachahmer – nicht von ungefähr verlangte die französische
       Punkband Métal Urbain nach Pinhas als Produzenten. Weniger interessiert an
       ihrer Musik als an ihrer Energie und Haltung, ließ sich Pinhas sofort vom
       Punk begeistern und verstand es, im Geiste der Bewegung mitzuwirken: „Die
       Aufnahme vom Schlagzeug war derartig dreckig“, freut er sich, „dass das
       Tonstudio meine namentliche Erwähnung auf dem Cover untersagte!“
       
       Seine eigene Musik erweist sich jedoch als leichter vermarktbar, als er
       befürchtet hatte. Und, sie hat den Zeittest erstaunlich gut bestanden. Die
       durch synthetische Filter gewanderten Gitarrenloops wirken hypnotisch,
       außerordentlich beruhigend und beschwören Bilder unbekannter Planeten und
       fremder Welten herauf. Das klingt nach wie vor futuristisch.
       
       Der im Mai 1951 geborene Sohn einer polnisch-deutschen Mutter und eines
       türkischen Vaters verschlang schon als Kind mit Begeisterung die
       Science-Fiction-Romane von Philip K. Dick und Norman Spinrad. Auch der
       titelspendende Bandname Heldon entstammt einem Klassiker des Genres:
       Spinrads Roman „Der stählerne Traum“, dessen Hauptfigur Adolf Hitler in die
       USA auswandert und SF-Autor wird.
       
       Der Roman wurde 1973, ein Jahr nach seinem Erscheinen in den USA, ins
       Französische übersetzt. Die deutsche Fassung folgte erst 1981 und landete
       prompt fünf Jahre auf dem Index. „Warum?“, fragt Richard Pinhas, der davon
       nichts wusste, um gleich darauf zu mutmaßen: „Da hat wohl einer das Buch
       nicht richtig verstanden oder gar nicht erst gelesen.“
       
       ## Reaktion auf die RAF
       
       Ob sein Projekt Heldon aufgrund des Namens je Interesse aus dem rechten
       Lager erweckt habe? Nein, versichert Pinhas. Sein Ruf als Linksradikaler
       hat ihn wohl davor bewahrt. „1973 wandte ich mich zwar vom politischen
       Aktionismus ab, meine Ideen wanderten aber deswegen noch lange nicht nach
       rechts.“ Da fällt ihm wieder ein, wie er doch tatsächlich einmal einen
       Brief von einem Kommandanten der britischen Luftwaffe Royal Air Force bekam
       – als Dank für seine Single „Soutien à la RAF“ (Unterstützung der RAF).
       Natürlich meinte Pinhas mit der Abkürzung die Rote Armee Fraktion. Auch
       wenn er deren Gesinnung nicht teilte, reagierte er mit dem Titel auf die
       Haftbedingungen der bewaffneten linken Gruppe.
       
       Mit seinem Sound als Heldon wollte Richard Pinhas die Welt verändern. Seine
       Debütsingle aus dem Jahr 1972, „Ouais, Marchais, Mieux qu’en 68“ hieß
       ursprünglich schlicht „Le voyageur“ (Der Wanderer). Benannt war sie nach
       einem Auszug aus Nietzsches „Menschliches, Allzumenschliches“. Vor
       psychedelisch orchestralem Hintergrund wird der Text von niemand Geringerem
       als Gilles Deleuze eingesprochen. Pinhas studierte zwar nicht bei dem
       berühmten Philosophen, besuchte jedoch mehrere seiner Kurse an der
       Universität von Vincennes und befreundete sich später mit ihm, nicht
       zuletzt weil er den Klang seiner Stimme so liebte.
       
       ## Distanziertheit und Neugierde
       
       Der Text evoziert eine dem Wanderer eigene Distanziertheit und Neugierde
       und erzählt von den Möglichkeiten einer am Rande der Gesellschaft gelebten
       Existenz. Die Single verteilte Pinhas damals gratis auf dem Campus der
       Universität – „ein militanter Akt“.
       
       Jeweils ein Song auf „Electronique Guerilla“ und „Allez-Teia“ würdigen
       ermordete Aktivisten der Siebziger: den katalanischen Anarchisten Salvador
       Puig i Antich und den senegalesischen Intellektuellen Omar Blondin Diop,
       der 1969 zeitgleich mit Daniel Cohn-Bendit aus Frankreich verwiesen wurde.
       Auch das Cover von „Allez-Teia“, ein berühmtes, im Mai 1968 in Paris
       aufgenommenes Bild des Fotografen Gilles Caron, beschwört jene bewegten
       Jahre: Es zeigt einen vor einem mit Schlagstock bewaffneten Polizisten
       fliehenden jungen Demonstranten.
       
       Angesprochen auf die Jubiläumsfeierlichkeiten zum Mai 68, antwortet Pinhas:
       „Meinen 17. Geburtstag habe ich auf den Barrikaden gefeiert, das war super.
       Der Mai 68 trug zu unserer Befreiung bei. Auch wenn ich angesichts der
       aktuellen Weltlage keinen Grund zum Jubeln habe, mir bedeutet diese Zeit
       sehr viel und ich sehe sie immer noch positiv.“
       
       1 Apr 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Elise Graton
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Musik
 (DIR) Popmusik
 (DIR) Schwerpunkt Emmanuel Macron
       
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