# taz.de -- Kolumne Globetrotter: Die Vielleicht-Koreanerin
       
       > „Je suis coréenne“ – „Ich bin Koreanerin“ – steht auf dem T-Shirt einer
       > Passantin.​ Anlass für unsere Autorin, über das Konstrukt Nation
       > nachzudenken.
       
 (IMG) Bild: Manches muss einfach mal gesagt werden
       
       Gleich am ersten Tag nach Ostern traute sich die Sonne heraus. Wenn jetzt
       das vietnamesische Restaurant an der Torstraße seinen Tisch nach draußen
       gestellt hat, esse ich dort zu Mittag, dachte ich mir.
       
       Bingo! Der Tisch war da – und frei. Ich sitze gern dort, es gibt immer so
       viel zu gucken. Tatsächlich ließen sich während der 20 Minuten, die ich
       dort mit Sommerrollen verweilte, überraschend vielfältige Kleidungsstile
       begutachten. Ich fühlte mich bestens unterhalten.
       
       Ins Grübeln brachte mich nur eine junge Frau, die vom Typ her aus Ostasien
       zu stammen schien. Als wolle sie über ihre Herkunft keinerlei Zweifel
       aufkommen lassen, trug sie demonstrativ einen hellgrauen Sweater, auf dem
       stand: „Je suis coréenne“ – Ich bin Koreanerin.
       
       Mein erster Gedanke: Was hat das mit „Je suis Charlie“ zu tun? Dann
       grübelte ich, ob sie es vielleicht einfach nur leid ist, ständig gefragt zu
       werden, ob sie aus China oder Japan kommt? Oder steckt ein politisches
       Statement dahinter? Ist sie tatsächlich Koreanerin? Und stolz?
       
       Da dachte ich an meinen kleinen Bruder, wie er mit etwa vier Jahren auf dem
       Rückweg von der Schule meine Mutter fragte: „Mama, was ist eigentlich
       Frankreich?“ Vermutlich war gerade Länderkunde das Thema in der Schule.
       Meine Mutter antwortete: „Frankreich ist der Ort, wo wir wohnen“, was mein
       Bruder zu einer zweiten Frage inspirierte: „Okay. Und wo wohnt dann mein
       Freund Julien?“
       
       ## Frankreich? Eine geografische Bezeichnung
       
       Damals lachten wir über die kindliche Logik und Vorstellung, ein ganzes
       Land auf die Fläche unseres Häuschens reduzieren zu können. Doch diese
       Begebenheit hat mich nachhaltig geprägt: Seitdem ist Frankreich für mich
       erst mal nichts anderes als eine geografische Bezeichnung. Wer mir jetzt
       nicht glaubt, hat wahrscheinlich recht: Französisch ist das einzige Idiom,
       das ich wirklich fließend spreche; und wenn ich überhaupt Kinderlieder
       kenne, dann solche, die „Meunier, tu dors“ heißen.
       
       Als ich wieder zu Hause war, rief meine alte Freundin A. aus Paris an.
       Während wir quatschten, musste ich noch die ganze Zeit an die
       Vielleicht-Koreanerin denken. Wäre ich ihr doch nur hinterhergerannt und
       hätte sie nach dem Sinn des Statements befragt!
       
       Also frage ich halt A.: „Sag mal, würdest du einen Pulli tragen, auf dem
       ‚Ich bin Französin‘ steht?“ – „Ach, eher nein, weiß nicht.“ Dann sagt sie:
       „Also es gibt schon Tage, an denen ich stolz oder besser: glücklich bin,
       Französin zu sein. Aber das hat für mich kein T-Shirt-Potenzial. Warum?“
       
       Ich erzählte ihr von meiner Begegnung. „Verstehe. Aber vielleicht meint sie
       einfach nur, sie sei weder Süd- noch Nordkoreanerin. Auf die Trennung hat
       sie einfach keine Lust.“ Das machte Sinn. „Stell dir vor“, fuhr sie fort,
       „ein Westdeutscher hätte während des Kalten Krieges so ein gesamtdeutsches
       T-Shirt getragen, um seine Solidarität zu den Ostdeutschen zu bekunden. Das
       hätte doch ein Zeichen für den Weltfrieden gesetzt?“
       
       Ich fürchte, das wäre so nicht gut gegangen, antwortete ich. Damals kam es
       eher vor, dass deutsche Tourist*innen im Ausland – vor allem im
       europäischen – schlicht als Nazis beschimpft wurden, egal wie sie drauf
       sind. „Stimmt“, gibt A. zu „Und wie geht’s bei euch gerade mit dem
       Nationalismus?“, fragte sie hinterher. „Geht so, und bei euch?“, fragte ich
       zurück.
       
       „Hast du mitbekommen, dass Macron die in der Kolonialzeit gestohlene Kunst
       an afrikanische Länder zurückgeben will?“, fragte A. nun. Klar, hatte ich
       gehört. Wir waren uns einig: Dass das Projekt den Anfang einer aufrichtigen
       Auseinandersetzung mit der eigenen Historie ankündigt, ist eher
       unwahrscheinlich.
       
       Denn Macrons Ankündigungen folgten nicht immer entsprechende Taten. Nachdem
       er erklärt hatte, kein Mensch solle mehr draußen schlafen, wurden kurze
       Zeit später Zeltlager von Migrant*innen mit Gewalt geräumt und
       Papierkontrollen in den Aufnahmezentren durchgeführt.
       
       „Kommst du im Sommer wieder vorbei?“, fragte A. noch zum Abschied. Ich
       glaube schon. Mein Westküsten-Meersalz-Vorrat ist fast aufgebraucht, und
       ich will unbedingt mal wieder meine kleine Oma besuchen.
       
       Elise Graton ist Übersetzerin und Autorin in Berlin
       
       17 Apr 2018
       
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