# taz.de -- Staatssekretär über Hilfe für arme Länder: „Wir haben uns alle verschätzt“
       
       > Umwelt-Staatssekretär Jochen Flasbarth hat einen brisanten Bericht
       > erstellt. Dort erklärt er, warum Industrieländer zu wenig Klimahilfen
       > auftreiben.
       
 (IMG) Bild: Wenn Klimahilfen ausbleiben: Indien nach dem Zyklon Amphan 2020
       
       taz: Herr Flasbarth, Ihr Bericht zeigt: [1][Die Industrieländer haben die
       Zusage, ab 2020 mindestens 100 Milliarden Dollar jährlich an Hilfen für die
       armen Länder zu beschaffen, nicht eingehalten]. Wie fühlt es sich an,
       schwarz auf weiß zu schreiben, dass wir Industrieländer unser Versprechen
       gebrochen haben? 
       
       Jochen Flasbarth: Wir sind in diesem Report nicht die Pressesprecher der
       Industrieländer. Sondern wir haben uns bemüht, unparteiische Vertreter für
       den gesamten Prozess zu sein. Wir sollten darstellen, wo wir stehen, wo
       kurz vor Glasgow noch zusätzliche Finanzmittel herkommen können und wie
       sich das bis 2025 entwickelt. Das haben wir ganz gut hinbekommen, wir haben
       zusätzliche Zusagen und wir werden von 2021 bis 2025 im Durchschnitt bei
       100 Milliarden Dollar jährlich liegen.
       
       Die Entwicklungsländer werden sagen: Wir können euch nicht vertrauen. Ihr
       habt 100 Milliarden versprochen und liefert nur 80. 
       
       Das könnte passieren, wäre aber nicht ganz in Ordnung. 80 Milliarden sind
       nicht nichts. Schon Ende 2022 werden wir nah am Ziel sein, danach werden
       wir die 100 Milliarden übersteigen. In der Gesamtbilanz verstehe ich, dass
       Entwicklungsländer laut ihren Ärger äußern. Ich würde es aber nicht
       verstehen, wenn sie das als fundamentalen Vertrauensbruch interpretieren.
       
       Woran lag es, dass die 100 Milliarden nicht erreicht wurden? 
       
       Es gibt ja keine klaren Verantwortlichkeiten, wer wie viel zahlen soll. Das
       macht es nicht einfach. Dann haben wir uns alle verschätzt beim sogenannten
       Hebelfaktor für privates Kapital …
       
       … dem Anreiz für Privatinvestoren, sich Geld zu leihen, um es zu
       investieren. 
       
       Dieser war schwächer, als wir angenommen haben. Das liegt auch daran, dass
       wir nur mit einem Teil der öffentlichen Gelder überhaupt private Mittel
       anziehen können.
       
       Warum wurde das so überschätzt? 
       
       Ein Grund dafür ist positiv: [2][Die Erneuerbaren sind so billig geworden],
       dass sie häufig gar keinen öffentlichen Anschub mehr brauchen. Das sind
       Geschäftsmodelle, die von selbst funktionieren. Wenn also kein staatliches
       Geld fließt, zahlt das nicht auf das Versprechen mit den 100 Milliarden
       ein. Ein anderer Grund sind hohe Hürden bei den Empfängerländern, wenn
       private Investitionen mit öffentlichem Geld gehebelt werden. Da müssen
       manche Entwicklungsländer etwa die Rechtssicherheit verbessern.
       
       Sie sagen, das Problem liegt bei den armen Ländern? 
       
       Ich will da keine Verantwortung abschieben. Es gibt auch Hürden bei uns.
       Ich habe zum Beispiel gelernt, dass der Einsatz privater Mittel von Banken
       oder Unternehmen eigentlich am besten durch staatliche Garantien
       abgesichert werden könnte. Aber wenn wir nur Garantien geben und die
       Unternehmen letztlich nicht in Anspruch nehmen, kann man das nicht auf
       [3][die offizielle Quote für Entwicklungshilfe] anrechnen. Aber weil für
       alle Industriestaaten diese Quote politisch wichtig ist, wird dieses gute
       Instrument kaum genutzt. Da stellen wir uns selbst ein Bein. Es gibt also
       keinen Grund, die Schuld bei anderen zu suchen, wir müssen dafür sorgen,
       dass private Investitionen mit öffentlichen Mitteln besser in Gang kommen.
       
       Kommen die jetzt erreichten 80 Milliarden eher aus privaten oder aus
       staatlichen Töpfen? 
       
       62,9 Milliarden davon sind öffentliches Geld, also etwa drei Viertel, der
       Rest ist privat.
       
       Wo sollen die zusätzlichen Mittel herkommen? Wo findet man 20 Milliarden? 
       
       [4][Die USA haben angekündigt, ihre internationale Klimafinanzierung auf
       11,4 Milliarden zu vervierfachen], Italien hat fast verdreifacht. Auch
       Schweden will seinen Beitrag verdoppeln. Deutschland ist mit 7,8 Milliarden
       dabei, die öffentliche Finanzierung aus Haushaltsmitteln beläuft sich
       hierbei auf über 5 Milliarden. Hiervon sind 95 Prozent Zuschüsse. Dann
       vergeben wir für 2,5 Milliarden Kredite und hebeln mit unserer
       Klimafinanzierung insgesamt auch nur 192 private Millionen. 2025 werden wir
       unsere öffentlichen Ausgaben dafür auf 6 Milliarden erhöhen.
       
       Hilfskredite können die armen Länder immer tiefer in die Schulden treiben.
       Sie müssen sich gegen die Klimakrise absichern, die sie selbst nicht
       verursachen. 
       
       Ja, das ist eine große Ungerechtigkeit. Wir empfehlen in unserem Bericht
       eine neue Politik: Wir brauchen echte Zuschüsse für die am wenigsten
       entwickelten Länder. Für viele von denen ergeben Kredite keinen Sinn, weil
       sie vorher schon so hoch verschuldet sind. Ich will aber Kredite für andere
       Länder gar nicht schlechtreden. Darüber kann man im Zweifel mehr privates
       Kapital mobilisieren, und die Bereitschaft bei den Gebern ist natürlich
       viel höher, wenn sie das Geld zurückbekommen. Und in einem Schwellenland
       wie Indien braucht man häufig keine Zuschüsse, da reicht die
       Wirtschaftskraft für Kredite.
       
       Ihr Bericht spart ein explosives Thema aus: Hilfen für Schäden, die bereits
       jetzt durch den Klimawandel entstehen, genannt „Loss and Damage“. Ist das
       Thema zu heiß für einen solchen Bericht? 
       
       Das Thema ist für die Industriestaaten sehr heikel. Aber jenseits der
       Frage von juristischer Verantwortung sollten wir uns weiter vorwagen. Wir
       müssen dieses Problem ernsthaft angehen. Menschen verlieren ihr Hab und Gut
       im Klimawandel, darauf muss die Weltgemeinschaft Antworten geben. Was wir
       brauchen ist ein Prozess, der das Thema außerhalb der Klimaverhandlungen
       anspricht und alle Beteiligten zu Lösungen zusammenführt. Das ist eine
       übergeordnete Frage, für die bisher weder die Klimarahmenkonvention noch
       das Pariser Abkommen ausreichen.
       
       Was schlagen Sie vor? 
       
       Die Behandlung von Klimaschäden, wie wir sie gerade [5][im Ahrtal] erleben
       und die uns 30 Milliarden Euro kosten, sollte einen eigenen UN-Prozess
       bekommen. Das könnte einen Anker in der Klimarahmenkonvention haben, geht
       aber weit darüber hinaus, etwa bei Flüchtlingsströmen und
       Katastrophenhilfe. Das braucht einen übergeordneten Rahmen, und wir müssen
       es viel entschlossener angehen.
       
       4 Nov 2021
       
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