# taz.de -- Sprachenpolitik in der Ukraine: Ohren auf am Karpatenrand
       
       > In Iwano-Frankiwsk schickt der Bürgermeister „Sprachinspektoren“ auf die
       > Straße. Sie sollen prüfen, wie viel Russisch in der Stadt gesprochen
       > wird.
       
 (IMG) Bild: Die Allee des Ruhmes für gefallene Helden im Zentrum von Iwano-Frankiwsk, 2022
       
       Iwano-Frankiwsk und Kyjiw taz | Auch drei Jahre nach Beginn des russischen
       Angriffskrieges gegen die Ukraine schaffen es russische Propagandanarrative
       in die internationale Öffentlichkeit – und sogar in höchste Kreise
       US-amerikanischer Diplomatie. Eines davon ist die Behauptung, dass die
       russische Sprache in der Ukraine unterdrückt würde und die Regionen mit
       russischsprachiger Bevölkerungsmehrheit doch eigentlich zu Moskaus Reich
       gehörten.
       
       Der von US-Präsident Trump beauftragte Chefunterhändler sorgte kürzlich mit
       einer Einlassung dazu für einen Aufschrei in der Ukraine: [1][Steve
       Witkoff] sprach in einen Interview mit dem russlandfreundlichen
       Ex-Fox-News-Moderator Tucker Carlson über die teilweise von russischen
       Truppen besetzten Regionen Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson
       sowie die seit 2014 annektierte Krim. „Sie sind russischsprachig, und bei
       den Referenden 2022 brachte die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung zum
       Ausdruck, dass sie unter russischer Herrschaft bleiben möchte“, so Witkoff.
       
       In der Ukraine kam das nicht gut an. „Die Gleichsetzung ukrainischer
       Russischsprecher mit Russen, die den Krieg unterstützen, und die Verwendung
       der Sprache als Rechtfertigung für den Krieg gegen die Ukraine ist ein
       häufiges Thema der russischen Propaganda“, schrieb der Kyiv Independent.
       
       ## Sprache als Kriegsvorwand
       
       Witkoff hatte bei seinem Bezug auf die Fake-Referenden auch unterschlagen,
       dass ein Großteil der Bewohner ohnehin nicht hätte teilnehmen können, weil
       sie geflüchtet waren oder tot sind. Und dass der nördliche Teil der Region
       Saporischschja mit der Bevölkerungsmehrheit unter ukrainischer Kontrolle
       steht. Die Sprache sei nur ein Vorwand für Russlands Krieg, kommentierte
       die Parlamentsabgeordnete Jewhenia Krawtschuk auf X. „Das wahre Ziel ist
       die Zerstörung der ukrainischen Nation.“
       
       Nachdem im Zarenreich und in der Sowjetunion die ukrainische Sprache stark
       reglementiert wurde, haben die Regierungen in Kyjiw in den vergangenen 20
       Jahren das Ukrainische mal mehr mal weniger stark gefördert. Seit 2022
       wechselten auch viele bis dahin russischsprachige Ukrainer zum
       Ukrainischen.
       
       ## Politische Profilierung mit Sprachfragen
       
       Doch auch in der Ukraine wollen sich manche Politiker mit der Sprachfrage
       profilieren. So beklagte der Bürgermeister von Iwano-Frankiwsk, Ruslan
       Martsinkiw, im Herbst, dass er auf den Straßen seiner Stadt zu häufig die
       russische Sprache höre. Deshalb sollten künftig sogenannte
       Sprachinspektoren unterwegs sein. Ein paar Wochen später zeigte das
       öffentliche Fernsehen Suspilne einen Bericht, in dem ein Mann im
       Rentenalter auf dem Marktplatz Flyer für Ukrainischkurse verteilte.
       
       Iwano-Frankiwsk liegt im Westen der Ukraine im nördlichen Karpatenvorland.
       Die Gegend wurde erst nach dem Hitler-Stalin-Pakt von der Sowjetunion
       vereinnahmt. Die überwiegende Mehrheit der Einheimischen spricht Ukrainisch
       als Muttersprache.
       
       Martsinkiws Partei, die Allukrainische Vereinigung Swoboda (Freiheit)
       vertritt einen ethnischen Nationalismus. Das Simon Wiesenthal Center hatte
       vor mehr als zehn Jahren Führungskräfte der Partei in der Liste der
       Top-Ten-Antisemiten genannt. Bei den Parlamentswahlen 2014 und 2019 verlor
       die Partei überregional an Bedeutung und hat jetzt nur noch einen
       Abgeordneten im ukrainischen Parlament. Martsinkiw allerdings wurde 2020 im
       Amt bestätigt.
       
       Wochen später sind die Inspektoren auch an mehreren Tagen hintereinander
       weder auf dem Marktplatz noch in der Einkaufsstraße zu sehen. Die autofreie
       Flaniermeile ist gesäumt von den Porträts gefallener Soldaten. Ohnehin
       sollen sich nur 40 Inspektoren für das Ehrenamt gemeldet haben. Tatsächlich
       gibt es dafür auch keine Rechtsgrundlage. Privat kann in der Ukraine jeder
       mit jedem in der Sprache der Wahl sprechen – auch auf Russisch. [2][Das
       Sprachgesetz regelt nur die Verwendung in Behörden, Schulen und
       Unternehmen], Kunden müssen grundsätzlich zuerst auf Ukrainisch
       angesprochen werden.
       
       ## Fast vier Millionen Binnenvertriebene im Land
       
       Die 43-jährige Iryna regt Martsinkiws Idee auf. Sie stammt aus Luhansk, das
       schon 2014 von russischen Spezialkräften besetzt wurde. Zunächst floh sie
       nach Sewerodonezk, [3][2022 nach Iwano-Frankivsk]. Sie ist eine von fast
       vier Millionen Binnenvertriebenen in der Ukraine. Die meisten von ihnen
       kommen aus Regionen, in denen viel Russisch gesprochen wurde. „Das ist auch
       meine Muttersprache“, sagt Iryna, die auch problemlos Ukrainisch spricht.
       Doch nicht allen fällt das so leicht.
       
       Das Leben fern der Heimat sei immer noch schwierig. Das Thema Sprache
       bringe aber niemandem etwas außer Russland, ist sich Iryna sicher.
       Sprachinspektoren lösten kein einziges Problem. „Viele Menschen aus der
       Ostukraine haben ihr Zuhause und nahe Angehörige verloren. Und jetzt sollen
       sie nicht in ihrer Muttersprache miteinander sprechen? Iryna schüttelt den
       Kopf.
       
       ## Wohnen und Jobs als Hauptprobleme
       
       Über die Lage der Geflüchteten in Iwano-Frankiwsk hat Witaliy Fedoriw von
       der Stadtverwaltung einen Überblick. „[4][Wohnen und Arbeit sind die
       Hauptprobleme]“, fasst er zusammen. Die Stadt ist schon vor Russlands
       Invasion schnell gewachsen, Wohnraum ist knapp. „Wir haben 295.000
       Einwohner inklusive der Vororte. Dazu kommen rund 39.000
       Binnengeflüchtete“, erzählt Fedoriw. Seit 2022 steigen die Wohnungspreise.
       Und die Stadt hat keine eigenen Wohngebäude. Dank einer Förderung werde
       jetzt gebaut – aber das dauere natürlich. Einstweilen gibt es ein paar
       Hundert Wohnheimplätze. Die hohen Preise sind für Arme, Alleinstehende und
       Rentner am problematischsten.
       
       Mit seinen Sprachinspektoren ist Iwano-Frankisk bisher allein. Andriy
       Sadowiy, seit 2006 Bürgermeister der westukrainischen Metropole Lwiw,
       regierte unterkühlt auf die Idee, wie das Portal 112.UA berichtete. „Lwiw
       braucht keine Sprachinspektoren“, sagte er. Die Menschen sprächen dort gern
       Ukrainisch.
       
       Russische Medien hingegen griffen die Geschichte gerne auf, um damit das
       beliebte Narrativ von der Unterdrückung russischsprachiger Menschen in der
       Ukraine zu belegen. Die sind aus Kremlperspektive nämlich automatisch
       Russen und müssen beschützt werden – im Zweifel, in dem man ihre Städte in
       Ruinenlandschaften verwandelt.
       
       Witaly Fedoriw sagt, Jobs seien für Binnenflüchtlingen ein größeres
       Problem. Russisch sprechen sei mehr ein emotionales Thema. „Russisch ist
       die Sprache des Aggressors“, zitiert er den Bürgermeister. Warum die Stadt
       dann als einzige Sprachinspektoren habe? Fedoriw zieht eine Augenbraue hoch
       „Wir haben einen kreativen Bürgermeister.“
       
       10 Apr 2025
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marco Zschieck
       
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