# taz.de -- Sprachenpolitik in Russland: „Entstelltes Russisch“ fliegt aus dem Lehrplan
       
       > Ab 1. September wird an Schulen in Russland das Fach Ukrainisch als
       > Muttersprache abgeschafft. Das betrifft auch die besetzten Gebiete in der
       > Ukraine.
       
 (IMG) Bild: Der russische Präsident Wladimir Putin begutachtet ein neu aufgelegtes Schulbuch
       
       Moskau taz | Eigentlich ist das Erlernen der Muttersprache ein fester
       Bestandteil der russischen Bildungspläne. Nicht nur des Russischen, was
       freilich ohnehin Pflicht ist an jeder russischen Schule, sondern auch der
       Sprachen, die von Minderheiten im Land gesprochen werden. Oder nicht
       gesprochen werden, aber dennoch in bestimmten Regionen als offizielle
       Sprache und damit als Muttersprache in dieser Region gelten.
       
       So werden beispielsweise Adygeisch in der Republik Adygeja im Nordkaukasus,
       Karelisch in der Republik Karelien an der finnischen Grenze sowie
       Burjatisch in Burjatien an der Grenze zur Mongolei unterrichtet. Gelernt
       wird ab der fünften Klasse meist zwei bis drei Stunden in der Woche.
       
       Zum Muttersprachunterricht gehörte bislang auch das Ukrainische, selbst in
       Regionen wie Baschkortostan westlich des Uralgebirges. Vor allem aber
       lernten in den von Russland besetzten ukrainischen Gebieten Donezk,
       Luhansk, Cherson, Saporischschja sowie auf der Krim die Schüler*innen
       Ukrainisch als Muttersprache.
       
       Das hat das russische Bildungsministerium nun untersagt. Ab dem 1.
       September, dem traditionellen Tag des Schulbeginns in Russland – und in
       vielen ehemaligen Sowjetrepubliken – verschwindet Ukrainisch als
       Muttersprache aus den Stundenplänen. Der Grund: „Eine veränderte
       geopolitische Lage in der Welt“, so heißt es im Bildungsprogramm, das das
       Ministerium vor einigen Tagen veröffentlicht hat. Statt Ukrainisch gibt es
       nun Agrartechnologie.
       
       ## Jungen sägen, Mädchen kochen
       
       Das 200 Seiten lange Dokument listet vor allem allerlei marginale
       Änderungen von etlichen Begriffen auf und weist auf [1][die „Wichtigkeit
       des Patriotismusunterrichts und des Arbeitsunterrichts“ hin (ein
       wiedereingeführtes Sowjetüberbleibsel, in dem Jungen lernen, wie man sägt
       und Mädchen, wie man kocht).] Die Streichung des Ukrainischen kommt da
       ähnlich belanglos daher wie die Forderung, aus Wörtern wie „ausgehendes 19.
       Jahrhundert“ „zu Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts“ zu machen.
       
       Mit der Eliminierung des Ukrainischen als Muttersprache in den Schulen
       verfolgt Russland sein Ziel, alles Ukrainische auszulöschen. Russische
       Duma-Abgeordnete ätzen über Ukrainisch als „entstelltes Russisch“ oder
       „russischen Dialekt, den niemand braucht“. In den besetzten Gebieten werden
       längst russische Bücher eingesetzt. Lehrer*innen aus Russland werden mit
       besseren Gehältern gelockt, um in den „neuen Territorien“, wie Russland die
       okkupierten Gebiete der Ukraine nennt, zu unterrichten.
       
       In den Geschichtsbüchern steht, die Ukraine sei ein „Nazi-Staat“, Russland
       aber „befreie“ diesen mit seiner „militärischen Spezialoperation“ von der
       „blutigen Militärjunta“. Russische Medien schreiben regelmäßig über
       Zehntausende von Lehrer*innen aus den besetzten Gebieten, die in
       Russland „Umorientierungskurse“ belegten, um wieder unterrichten zu können.
       Weigert sich jemand, riskiert er bzw. sie Gewalt und teils auch Folter.
       
       Neue pädagogische Fakultäten in den besetzten Regionen sollen
       Lehrer*innen hervorbringen, die nach russischen Bildungsplänen
       unterrichten. [2][Es ist eine kulturelle Unterwanderung und die Auslöschung
       einer Identität, die Russland für „feindlich“ hält].
       
       ## Grausame Praxis
       
       Ähnlich praktizierten das sowjetische Gewaltherrscher, die Minderheiten
       ihre Sprachen und ihr kulturelles Erbe nahmen, indem sie das Sprechen
       mancher Sprachen unter Strafe stellten, Kinder zuweilen auch aus den
       Familien holten, sie in Internate bringen ließen und ihnen verboten, ihre
       Sprache zu benutzen. Noch heute erinnern sich manche Alten an diese
       grausame Praxis und sprechen vom „verlorenen Ich“.
       
       Die Politik der Russifizierung und der Militarisierung der Bildung verstößt
       gegen internationales Recht und auch gegen die UN-Kinderrechtskonvention.
       Doch solche Dinge interessieren den Kreml kaum. Es geht ihm um die
       Auslöschung der Ukraine.
       
       Denn, so erklärte es der russische Präsident Wladimir Putin vor wenigen
       Tagen bei einem Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg: „Russen und Ukrainer
       sind ein Volk. In diesem Sinne gehört die ganze Ukraine uns.“ Der Saal
       applaudierte laut. In diesem Sinne aber ließe sich die Logik auch so lesen:
       Wenn Russ*innen und Ukrainer*innen ein Volk sein sollen, so könnte
       ganz Russland auch die Ukraine sein.
       
       27 Jun 2025
       
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