# taz.de -- Proteste in Belarus: Geschlagen und gefoltert
       
       > Über tausend Inhaftierte werden freigelassen, der Innenminister
       > entschuldigt sich. Dennoch wird weiter demonstriert und gestreikt.
       
 (IMG) Bild: Angehörige von Oppositionsdemonstrant*innen vor einem Gefängnis in Minsk am 14. August
       
       Kiew taz | Menschenketten und Streiks haben auch am Freitag das öffentliche
       Leben in Belarus bestimmt. Die Demonstrierenden forderten ein Ende der
       [1][Gewalt], die Freilassung aller politischen Gefangenen und Neuwahlen.
       Die Polizei hielt sich weitgehend zurück.
       
       Seit Sonntagabend halten die Proteste gegen die massiven Fälschungen bei
       der Präsidentschaftswahl an, bei denen [2][Staatschef Alexander Lukaschenko
       angeblich 80 Prozent der Stimmen] erhalten haben und seine Herausforderin
       Swetlana Tichanowska auf nur 10 Prozent gekommen sein soll.
       
       In der Folge wurden über 6.000 Demonstranten*innen und zufällige
       Passant*innen festgenommen, über 250 Teilnehmer*innen von Aktionen mussten
       in Krankenhäusern behandelt werden. Zwei Personen wurden getötet.
       
       Inzwischen haben die Behörden die Todesursache von Alexander Wichor
       bekanntgegeben, der in der Haft in Gomel gestorben war. Wichor sei einer
       Überdosis Drogen erlegen, erklärten sie. Seine Angehörigen wollen diese
       Erklärung nicht glauben.
       
       ## Keine Medikamente
       
       Sie berichten, so die belarusische Nachrichtenagentur tut.by, dass Wichor
       nicht an den Aktionen teilgenommen und sich nur zufällig dort aufgehalten
       habe. Sie glauben, Wichor habe in der Haft keine Medikamente gegen seine
       Herzkrankheit erhalten und sei in der Folge von Misshandlungen gestorben.
       
       Innenminister Jurij Karajew hat sich nun für die Festnahmen entschuldigt
       und erklärt, er übernehme die Verantwortung für Verletzungen, die Personen
       bei Protesten zugefügt worden seien. Ebenfalls am Freitag wurden über
       tausend Festgenommene freigelassen. Einige sagten, sie seien in Haft
       geschlagen und gefoltert worden.
       
       In einem Telefonat mit der taz berichtet Irina Kravetz von der
       Menschenrechtsorganisation „Nasch Dom“ (Unser Haus) über ihre zwei Tage in
       der Minsker Haftanstalt in der Okrestina-Straße. So sei sie in einer
       4-Personen-Zelle mit 35 anderen Frauen inhaftiert gewesen, ohne Essen und
       Trinken. Man habe nur stehen können. „Immer wieder haben wir in der
       Nachbarzelle die Schreie der Männer gehört, die dort verprügelt wurden.
       Auch von uns Frauen wurden einige geschlagen. Ungefähr jede achte Frau
       haben sie willkürlich heraus geholt und sie geschlagen. Und zwar so, dass
       hinterher keine Spuren zu sehen waren.“
       
       Eine Mitgefangene habe Panikattacken erlitten, eine Diabetikerin musste
       ohne Medikamente auskommen, manchen seien immer wieder wegen des
       Sauerstoffmangels ohnmächtig geworden. „Irgendwann baten wir, man möge doch
       die Luke für die Essensausgabe aufmachen, damit wir Luft bekommen. Als
       Antwort schüttete uns ein Wächter einen Eimer Wasser in die Zelle.“
       
       ## Zwei Minuten Haftprüfung
       
       Gerade einmal zwei Minuten hätten sich die Richter Zeit für die
       Haftprüfungstermine genommen. Die Bitte von Kravetz, ihren Anwalt zu diesem
       Termin hinzuzuziehen, sei abgelehnt worden. Unter Coronabedingungen sei
       dies nicht möglich, zudem könne sie keinen Vertrag mit dem Anwalt vorlegen.
       
       Noch in der Haft hatte sich Kravetz mit ihren Mithäftlingen geeinigt, sich
       in einer Viber-Gruppe zu organisieren und gemeinsam gegen die
       Misshandlungen in der Haft zu klagen und an die Öffentlichkeit zu gehen.
       
       Unterdessen schließen sich immer mehr Betriebe den Streiks gegen
       Festnahmen, Polizeigewalt und für Neuwahlen an. Tausende streiken im
       Minsker Traktorenwerk. Das Werk ist mit 17.000 Arbeiter*innen eine der
       weltweit größten Fabriken für landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge.
       
       Auch das Fleischwerk Grodno, das Werk für Fenster und Türen „Terrasit“ in
       Grodno, das Minsker Automobilwerk, zahlreiche Eisenbahner*innen,
       U-Bahn-Angestellte und Pädagog*innen sind in den Ausstand getreten.
       
       ## Dialog findet statt
       
       Obwohl Präsident Alexander Lukaschenko einen Dialog mit den Protestierenden
       ablehnt, findet dieser statt. So will der Bürgermeister von Brest,
       Alexander Rogatschuk, Demonstrationen erlauben. Und Premierminister Raman
       Haloutschenka traf sich mit streikenden Arbeiter*innen des Minsker
       Traktorenwerkes.
       
       Lukaschenko warnte auf einer Pressekonferenz vor Streiks. Freuen über diese
       Streiks würde sich vor allem die ausländische Konkurrenz. Gleichzeitig
       dementierte er Gerüchte, er wolle sich ins Ausland absetzen.
       
       15 Aug 2020
       
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