# taz.de -- Proteste in Belarus: Lukaschenkos Spiel auf Zeit
       
       > In Belarus lehnt die Opposition die vorsichtig einlenkenden Vorschläge
       > von Präsident Lukaschenko ab. Immer mehr Staatsbeamte distanzieren sich.
       
 (IMG) Bild: Maria Kolesnikowa, Vertreterin von Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja, spricht
       
       Kiew taz | Die Opposition in Belarus lehnt die jüngsten Angebote von
       Präsident Alexander Lukschenko ab. Er könne sich eine Neuauszählung der
       Stimmen der letzten Wahl durchaus vorstellen, hatte Lukaschenko wissen
       lassen. Auch Neuwahlen sei er nicht mehr abgeneigt. Diese sollten jedoch
       nach einer Verfassungsreform durchgeführt werden, die wiederum vom Volk in
       einem Referendum gebilligt werden müsse.
       
       Die Opposition sieht in den Angeboten nur einen Versuch des Staatschefs,
       auf Zeit zu spielen. Der Stab der offiziell unterlegenen
       Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja ist gegen eine
       Neuauszählung der Stimmen. Wie könne man Stimmen neu auszählen, die eine
       Woche lang in der Wahlkommission aufbewahrt worden sind, fragt sich Anna
       Krasulina vom Tichanowskaja-Stab gegenüber dem TV-Kanal Ukraina 24. Es gebe
       Beweise, dass Stimmen verbrannt worden seien, so Krasulina.
       
       Ab 10. September, wenn die derzeitige Amtszeit von Lukaschenko auslaufe,
       sei dieser kein legitimer Präsident mehr, sagt Krasulina. Jetzt gehe es
       vielmehr darum, den Widerstand gegen Lukaschenko zu verstärken. „Wir müssen
       vom friedlichen Protest zu Streiks übergehen. Die treffen das Regime da, wo
       es wehtut“, zitiert das weißrussische Portal telegraf.by die
       Tichanowskaja-Vertraute.
       
       Auch Lukaschenkos Versprechen, die Präsidentschaftswahlen nach einer
       Verfassungsreform zu wiederholen, lehnt die Opposition ab. „26 Jahre hören
       wir von Lukaschenko die unterschiedlichsten Versprechungen. Nicht ein
       einziges Mal hat er sein Wort gehalten. Deswegen sehen wir in diesem
       Versprechen nur einen weiteren Versuch, um jeden Preis an der Macht zu
       bleiben“, erklärte Gleb Germantschuk vom Stab des inhaftierten und nicht
       zugelassenen Präsidentschaftskandidaten Viktor Babariko laut telegraf.by.
       
       ## Rücktritt eingereicht
       
       Unterdessen distanzieren sich immer mehr hoch gestellte Persönlichkeiten
       und Staatsbeamte von Lukaschenko. So reichte der weißrussische Botschafter
       in der Slowakei, Igor Leschtschenia, seinen Rücktritt ein. Zuvor hatte er
       erklärt, er sei schockiert von der Gewalt und der Folter an seinen
       Mitbürgern.
       
       Auch zwei Angestellte des Außenministeriums, Wjatscheslaw Kosatschenok und
       Elena Popanewa, beteiligten sich an Aktionen der Opposition. Am Montag
       quittierte Andrej Buschilo seinen Dienst. Buschilo war bis zuletzt Chef der
       für Nordamerika zuständigen Abteilung im Außenministerium in Minsk.
       Ebenfalls am Dienstag verließ der Direktor des ältesten Schauspielhauses
       von Belarus, des Janka-Kupala-Theaters, Pawel Latuschko, seinen Posten.
       
       In der Opposition wird bereits über Personen debattiert, die nach
       Lukaschenko Verantwortung im Land übernehmen könnten. Bei dieser
       Personaldebatte zeigen sich unterschiedliche Vorstellungen.
       
       Auf dem Portal der Menschenrechtsorganisation Charta97 fordert Dmitri
       Bondarenko, Koordinator der Kampagne „Europäisches Belarus“, eine
       „Koalitionsregierung des nationalen Vertrauens“, die von den derzeit
       inhaftierten Politikern Nikolai Statkewitsch, Pawel Severinez, Sergei
       Tichanowski und Viktor Babariko angeführt werden solle. Auf keinen Fall, so
       Bondarenko, sollte man Swetlana Tichanowskaja zur „Ersatz-Präsidentin“
       machen.
       
       ## Führungsanspruch erneuert
       
       [1][Swetlana Tichanowskaja] indes erneuerte ihren Führungsanspruch. Ihr
       Stab hat einen Koordinierungsrat von 35 in der belarussischen Gesellschaft
       geschätzten Personen einberufen, der die Übergabe der Macht von Lukaschenko
       an ihr Team umsetzen soll. Mit im Koordinierungsrat sitzen auch die
       Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexeijewitsch und der
       Menschenrechtler Ales Beljatzkij.
       
       Unterdessen gehen die Streiks im Land weiter. Auch am Dienstag, so
       Charta97, befanden sich hunderte Betriebe in einem landesweiten
       [2][Streik].
       
       18 Aug 2020
       
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