# taz.de -- Proteste der „Letzten Generation“: Und die Politik spielt mit
       
       > Die Innensenatorin fordert Anklagen und Strafen, überschreitet ihre
       > Kompetenz – und löst eine Debatte aus, die den Klimaschutz in den Medien
       > hält.
       
 (IMG) Bild: Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt: Protest der „Letzten Generation“ in Berlin
       
       Woran bemisst man den Erfolg oder Misserfolg von Protesten? Im Nachhinein
       ist das oft leicht: Man kann sagen, ob sie etwas bewirkt haben oder nicht,
       ob sie zu einer Veränderung beigetragen haben. Mit dem [1][Einsatz gegen
       die Klimakrise] ist es etwas komplizierter: Die Erderwärmung wird die
       Menschheit noch jahrzehntelang begleiten; eine aktuelle Bewertung fällt da
       schwer und würde wohl eher negativ ausfallen.
       
       Es sei denn, die Politik spielt mit und reagiert darauf fast wie gewünscht,
       so wie derzeit in Berlin. [2][Seit vier Wochen blockieren
       Aktivist*innen der „Letzten Generation“] fast täglich Zu- und
       Ausfahrten der Stadtautobahn. Bereits im Frühjahr hatten sie das getan,
       aber nach Ausbruch des Ukrainekriegs Ende Februar die Aktionen abgebrochen.
       Dennoch waren sie damit – im Nachhinein – erfolgreich. Denn bislang gab es
       keinerlei Anklagen gegen die Aktivist*innen, obwohl 73 Verfahren anhängig
       sind.
       
       Das wiederum löst nun, im Sommer, eine absurde Debatte aus. Denn sowohl die
       Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey als auch Innensenatorin Iris
       Spranger (beide SPD) haben die Staatsanwaltschaft dafür kritisiert, dass
       noch keine/r der Blockierer*innen vor Gericht steht. „Ich will noch
       einmal festhalten, dass es gar keinen Zweifel daran gibt, dass es sich um
       Straftaten handelt“, erklärte Giffey; Spranger sagte, sie erwarte, dass die
       Justiz zu Anklagen und Verurteilungen komme. Freudestrahlend hängten sich
       die Polizeigewerkschaften DPolG und GdP an diese Argumentation dran.
       
       Doch wie fast immer, wenn die Exekutive ihre Grenzen krass überschreitet,
       folgt eine barsche Reaktion. In diesem Fall von Generalstaatsanwältin
       Margarete Koppers. „Wenn man die jüngsten Erklärungen der
       Polizeigewerkschaften liest, fällt einem der Kitt aus der Brille“,
       [3][sagte Koppers am Dienstag der taz] und bescheinigte den Gewerkschaften
       fehlende Kenntnisse in Sachen Rechtsstaatlichkeit. In Richtung Senat
       erklärte sie, es sei bedauerlich, dass durch den politischen Druck
       Staatsanwaltschaft und Polizei „auseinanderdividiert“ würden.
       
       Wenig überraschend bei Debatten wie diesen schaltete sich die unvermeidbare
       FDP ein – und fand mit Lena Kreck (Linke) noch eine andere Schuldige: Die
       Polizei leiste hervorragende Arbeit, war sich Fraktionschef Sebastian Czaja
       sicher. „Es fehlt jedoch bei der Justizsenatorin am politischen Willen,
       dass in Zusammenarbeit mit der Polizei möglichst schnell ermittelt wird.“
       Es müssten jetzt schnelle Anklagen – und gerne auch Urteile – folgen.
       
       ## Lustiges Pingpong-Spiel
       
       Dieses lustige Pingpong-Spiel könnte den ganzen Sommer so weiter gehen –
       und damit der Sache der Aktivist*innen dienen. Denn je länger es
       dauert, desto intensiver wird nicht nur über die Form des Protestes
       gesprochen, sondern auch über dessen Ziele. Nachdem die üblichen
       Verdächtigen in den Medien ihre Huldigung an die Autofahrerei ausgesprochen
       und den Aktionen die Legitimität abgesprochen hatten, folgten in den
       vergangenen Tagen eine ganze Reihe von Gegenkommentaren, bei weitem nicht
       nur [4][in der taz], die den Einsatz der Aktivist*innen angesichts der
       dramatischen Erderwärmung lobten und für absolut legitim hielten.
       
       So bewirkt der übliche Reflex konservativer Politiker*innen letztlich
       genau das Gegenteil: Dank der populistischen Forderungen nach Bestrafung
       bleibt das Thema Klimaschutz in den Medien. Vielleicht ist die Gesellschaft
       in guten Teilen tatsächlich schon weiter, als es Giffey, Spranger und Co.
       sich vorstellen können, und reagiert auf diesen Populismus nicht mit Johlen
       und Schenkelklopfen, sondern erst einmal mit Nachdenken. Das würde nicht
       nur dem gesellschaftlichen Klima wohl bekommen.
       
       16 Jul 2022
       
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