# taz.de -- Straßenblockaden von Klimaaktivist:innen: Der Mut der letzten Generation
       
       > Viele wollen jetzt juristisch gegen die Aktivist:innen vorgehen.
       > Aber: Nicht wer Straßen, sondern wer Klimaschutz blockiert, gehört
       > kriminalisiert.
       
 (IMG) Bild: „Letzte Generation“ bei einer Straßenblockade in München
       
       Sie sind mutig. Ihr Mut übersteigt meinen. Sie sind die „[1][Letzte
       Generation]“. Sie setzen sich auf viel befahrene Straßen, sie blockieren
       den Verkehr. [2][Auch in den vergangenen Tagen, immer wieder]. Weil sie
       wissen: Würde man sich so wie bisher weiter gegen konsequentes Umdenken in
       Sachen Klimawandel stellen, die unkontrollierte Erderwärmung wäre nicht
       mehr zu stoppen.
       
       Manche der Demonstrierenden kleben sich am Asphalt fest – als menschliche
       Barrikaden. Sie liefern sich den Autofahrern und -fahrerinnen aus, in der
       Hoffnung, dass diese die sozialen Basics und die Zehn Gebote noch kennen.
       Du sollst nicht töten! So angeklebt am Asphalt geben die Blockierenden die
       Kontrolle ab und zeigen im Umkehrschluss, was der Klimawandel, dem wenig
       entgegengesetzt wird, tatsächlich bedeutet: Dass wir die Kontrolle abgeben.
       
       Vor denen, die auf der Straße hocken, bleiben die Autos stehen. Noch. Ob es
       an den Fotografen liegt, dass den Demonstrierenden auf den Bildern oft
       schwarze Autos, große SUVs, Lkws auch – teure Karossen jedenfalls –
       gegenüber stehen, ist nicht klar. Goliaths gegen Davids. Motorisierte
       Blechschilde gegen schutzlose Körper. [3][Die Fotos sind ein Zeichen].
       
       In den fahrbaren Hightech-Blechverschlägen, die da zum Anhalten gezwungen
       sind, sitzen nicht selten Leute, die meinen, geschützt zu sein. Und Leute,
       die meinen, dass ihnen Unrecht angetan wird, wenn sie von
       Klimaaktivist:innen zum Warten gezwungen werden. Das dürfte sich am
       Ende als Trugschluss herausstellen. Denn der Klimawandel macht auch sie
       nackt. Die Klimaanlage im Auto nutzt nichts dagegen.
       
       ## Forderungen nach Strafverfolgung
       
       Ich habe noch kein Foto gesehen, auf dem ein abgehalftertes Auto vor den
       Blockierenden hält – eins mit Peacezeichen etwa, eins mit Anarchosymbol,
       eins, das Sympathie für die Rebellen und Rebellinnen ausdrückt, eins, auf
       dem jener Aufkleber prangt, der schon vor vierzig Jahren wahr war: „Wir
       sind die Leute, vor denen uns unsere Eltern immer gewarnt haben.“
       
       Wer meint, am Alten festhalten zu können, hatte schon damals Angst vor
       gesellschaftlicher Veränderung. Das impliziert, gesellschaftliche
       Veränderung sei eine Veränderung zum Schlechteren für jeden, für jede. Eine
       Erfahrung, die sich in der Geschichte als falsch erwiesen hat. Wer will
       noch so rechtlos sein wie zu Beginn der Industriezeit? Viele Kämpfe wurden
       geführt, viele Menschen sind gestorben, dafür dass wir heute andere Rechte
       haben als vor 200 Jahren. Selbst viele Gesetze, die noch vor 50 Jahren
       galten, sind aus heutiger Perspektive Unrecht.
       
       Solches Wissen indes wird ausgeblendet, denn jetzt werden die Stimmen
       lauter, die eine [4][Strafverfolgung der Straßenblockierer] und
       -blockiererinnen fordern, eine Unverschämtheit, die Straße zu blockieren.
       Angeheizt wird die Forderung von der [5][Boulevardpresse,] von Leuten, die
       sich wertkonservativ nennen. Ja, klar, sie wollen ihre Werte, im wörtlichen
       Sinne, sie wollen also ihr Recht auf Konsum, nicht infrage gestellt sehen.
       
       Und das Recht, jederzeit an einem Steuer zu sitzen, jederzeit zu fliegen,
       Häuser in die Landschaft zu bauen, wo es am schönsten ist, und das Recht
       auf Rendite. Ach und ja, [6][Franziska Giffey], die Berliner
       Bürgermeisterin, ist auch dafür, dass da jetzt härter durchgegriffen wird.
       
       Könnte es sein, dass die Leute, die ein schärferes Vorgehen fordern gegen
       die, die Straßen blockieren, wissen, dass die jungen Leute im Recht sind
       und sie selbst im Unrecht? Dass sie wissen, dass dringend mehr getan werden
       müsste, um den Klimawandel zu stoppen? Dass sie wissen, dass ihr „Weiter
       so“ das eigentliche Versagen ist? Diese Erkenntnis wehren sie ab. Um sich
       nicht mit ihrer Verantwortung auseinandersetzen zu müssen, projizieren sie
       ihre Verantwortungslosigkeit auf die anderen: auf die Straßenblockierer und
       -blockiererinnen.
       
       Dass der Mensch zu solchen mentalen Winkelzügen neigt, ist seit Sigmund
       Freud und der Psychoanalyse bekannt. Denn würden die autofahrenden
       Wutbürger sich mit ihrer Verantwortung auseinandersetzen, müssten sie
       aufhören, sich für jeden Katzensprung ans Steuer zu setzen, müssten sie ein
       Tempolimit herbeisehnen, müssten sie fordern, dass das Fliegen so teuer
       ist, dass der Nutzen den Schaden aufwiegt, und so weiter, und so weiter –
       die dringenden Maßnahmen sind doch alle bekannt.
       
       Zurück zur Straße: Die Autofahrer:innen und die Demonstrierenden
       stehen sich immer noch feindselig gegenüber. Ein paar Dutzend Blockierer
       nähmen Zigtausende in [7][„Geiselhaft“], sagte Benjamin Jendro, der
       Pressesprecher der Berliner Polizei. Geiselhaft? – für die Wortwahl kriegt
       er sicher einen Orden von Konservativen und Rechten. Und von Liberalen
       auch.
       
       Wäre es ein Unfall, der den Stau verursacht, niemand würde nach härterem
       Durchgreifen schreien; der arme Tropf ist ja einer ihres Schlages. Wäre es
       ein unterspülter Tunnel, der den Stau verursacht, man würde es verstehen.
       Wäre es ein Geisterfahrer, der die anderen zum Anhalten zwingt, niemand
       würde nach härterem Durchgreifen schreien.
       
       Wie dem auch sei, bis die Polizei die Demonstrierenden von der Straße
       gezerrt hat, kann es dauern. Manchen Autofahrer:innen ist das zu lang.
       [8][Sie legen selbst Hand an] und ziehen die Leute von der Fahrbahn. Sie
       fühlen sich im Recht, sind genervt. Ihnen ist egal, ob die Blockierer
       angeklebt sind. Es ist ein schäbiges Szenario.
       
       Sie wollen nicht warten. Warten wird als das Unglück der Gegenwart
       verstanden. Auf der Autobahn wegen einer Blockade oder am Security-Schalter
       am Flughafen wegen… ach, Sie wissen schon, wegen der Rendite.
       
       Ansonsten ist warten natürlich gut. Warten darauf, dass sich der
       Klimawandel von alleine rückgängig macht. Wer die Bilder der Autos vor den
       Demonstrierenden der Letzten Generation sieht, müsste ob der Widersprüche
       wirklich etwas verstehen. Aber Erkenntnis ist unbequem.
       
       Der Klimawandel zwingt die Menschen in den Industrienationen, ihren
       gierigen Wohlstand, ihren ressourcenverbrauchenden Lebensstil zu verändern.
       Das wollen sie nicht. Und die Politik tut nichts, damit sie es müssen. Denn
       einher geht die tradierte Annahme, wie oben beschrieben, dass notwendige
       Veränderungen schlecht seien.
       
       Schlecht, weil sie das Selbstverständnis der Autofahrer:innen und
       deren Selbstherrlichkeit untergraben. Dabei würden sich das Leben, die
       Lebensqualität, Natur, Gesellschaft, Kultur, selbst die Ökonomie, zumindest
       aus Sicht der [9][Versicherer], verbessern, wenn alles, was nötig ist, um
       die Erderhitzung zu begrenzen und Umweltrisiken zu minimieren, beherzt und
       nicht halbherzig angegangen würde.
       
       Der Ruf nach strafrechtlicher Verfolgung richtet sich gegen die Falschen.
       Nicht wer Straßen blockiert, müsste kriminalisiert werden, sondern wer die
       Veränderungen blockiert, die notwendig sind, damit nicht Millionen Menschen
       ihre Existenz und ihr Leben verlieren, wenn der Planet sich aufheizt und
       vor die Hunde geht.
       
       9 Jul 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://letztegeneration.de
 (DIR) [2] https://www.tagesspiegel.de/berlin/berliner-berufsverkehr-letzte-generation-blockiert-autobahnausfahrten-rettungswagen-muss-umweg-fahren/28480382.html%20%20
 (DIR) [3] https://de.wikipedia.org/wiki/Letzte_Generation_(Aktionsgruppe)
 (DIR) [4] https://www.welt.de/vermischtes/article239483457/Letzte-Generation-Linke-rechtfertigt-zivilen-Ungehorsam.html
 (DIR) [5] https://www.bz-berlin.de/meinung/kolumne/kolumne-mein-aerger/warum-stehen-die-klima-kleber-nicht-laengst-vor-gericht
 (DIR) [6] /https://www.dk-online.de/deutschland-welt/politik/artikel/-42470441
 (DIR) [7] /https://www.morgenpost.de/berlin/polizeibericht/article235809127/berlin-letzte-generation-aktuell-blockieren-autobahn-stau-verkehr-klimaschuetzer.html
 (DIR) [8] https://twitter.com/search?q=letzte%20generation&src=typed_query
 (DIR) [9] https://www.procontra-online.de/artikel/date/2022/02/aktuelle-studie-das-sind-die-6-top-risiken-fuer-2022/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Waltraud Schwab
       
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