# taz.de -- Pedro Almodóvar wird 75: Vom Schmuddelkind zum Kinokünstler
       
       > Er ist der einzige der großen schwulen Regisseure seiner Generation, der
       > weiter Filme dreht. Pedro Almodóvar wird 75 Jahre alt.
       
 (IMG) Bild: Vom Schrillen zur Melancholie: Pedro Almodóvar beim Dreh zu „Leid und Herrlichkeit“
       
       Manchmal muss man als Künstler nur lange genug ausharren, um vom
       umstrittenen Enfant terrible zum anerkannten Klassiker zu werden. Während
       Rainer Werner Fassbinder 1982 mit 37 Jahren viel zu jung verstorben ist und
       John Waters, inzwischen 78, seit zwei Dekaden keinen Film mehr finanziert
       bekommt, steht Pedro Almodóvar als einziger der großen schwulen Regisseure
       dieser Generation noch immer hinter der Kamera und ist dabei längst zur
       eigenen Marke geworden, dank Filmen wie „Frauen am Rande des
       Nervenzusammenbruchs“ und „Alles über meine Mutter“.
       
       Der Spanier hat derzeit gleich mehrere Gründe zum Feiern. Anfang des Monats
       wurde [1][sein neuer Film „The Room Next Door“ auf dem Filmfest in Venedig
       mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet]. Am 25. September begeht er seinen
       75. Geburtstag. Und am Tag danach erhält Pedro Almodóvar auf dem Filmfest
       in San Sebastián den Ehrenpreis für sein Lebenswerk.
       
       Dazu kommt noch ein weiteres Jubiläum. Vor genau einem halben Jahrhundert,
       1974, inszenierte er seine ersten beiden Kurzfilme, mit denen eine der
       außergewöhnlichsten und produktivsten Karrieren des europäischen
       Autorenkinos begann. 23 Spielfilme hat er seitdem inszeniert, [2][zehn der
       bekanntesten sind zum Geburtstag gerade in einer limitierten Edition auf
       DVD und Blu-ray erschienen], die seinen Werdegang von der queeren Subkultur
       Madrids zum internationalen Aushängeschild des iberischen Kinos
       nachzeichnet.
       
       ## Gehörige Portion Punkattitüde
       
       Geboren am 25. September 1949 in La Mancha, zog Almodóvar mit 16 in die
       Hauptstadt und hielt sich lange mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Nach dem
       Tod Francos und dem Ende der Diktatur tauchte er in Madrids Nachtleben ein,
       trat als Queercore-Act auf und drehte autodidaktisch und mit einer
       gehörigen Portion Punkattitüde seine ersten Kurzfilme mit einer
       Super-8-Kamera, die er sich vom Gehalt als Telefónica-Angestellter
       zusammengespart hatte.
       
       Im vierminütigen „Film político“, 1974 in einer einzigen Einstellung
       gedreht, wischt sich Almodóvar mit einem Foto von US-Präsident Richard
       Nixon den Hintern ab. „Dos putas, o historia de amor que termina en boda“
       („Zwei Huren oder Eine Liebesgeschichte, die mit einer Hochzeit endet“)
       über zwei konkurrierende Provinzprostituierte, die sich ineinander
       verlieben und heiraten, ist nicht wesentlich subtiler, zeigt aber schon den
       subversiven Camp-Humor, der die erste Hälfte von Almodóvars Schaffen
       ausmacht. Damit wurde er zur zentralen Figur der Movida, Madrids
       Gegenkultur der Post-Franco-Jahre.
       
       Die ersten Langfilme wie „Pepi, Luci, Bom und der Rest der Bande“ und
       „Kloster zum heiligen Wahnsinn“ waren noch reine Undergroundphänomene. Erst
       1987 gelang ihm der internationale Durchbruch, auf der Berlinale. Hier lief
       die queere Dreiecksgeschichte „Das Gesetz der Begierde“ und gewann gleich
       den allerersten Teddy Award für den besten Film.
       
       ## Queeres Begehren, Inzest und allerlei Tabubrüche
       
       Das frühe Almodóvar-Universum war bevölkert von Freaks und Außenseitern,
       monströsen Dragqueens, liebestollen Kerlen und verdrogten Klosternonnen,
       die oft kruden Geschichten handelten von queerem Begehren, Inzest und
       allerlei Tabubrüchen, „amoralisch und spielerisch“ nannte Almodóvar es
       selbst. Und es ist gar nicht hoch genug anzurechnen, was er damit auslöste,
       nicht nur im spießig-katholischen und autoritätshörigen Spanien, auch
       international.
       
       Plötzlich waren exzentrische Frauenfiguren und Transvestiten, Junkies und
       Perverse die Held*innen, religiöse Moralvorstellungen wurden lustvoll
       persifliert und Männer wie der junge Antonio Banderas und Javier Bardem
       durften völlig unverschämt geil gefunden werden. Mit den Almodóvar-Werken
       kam der pulsierende queere Underground aus Madrid in die Welt. Vor allem
       aber feierten seine Filme Diven und Charaktergesichter wie Carmen Maura,
       Maria Paredes und die unnachahmliche Rossy de Palma.
       
       Es war dann vor allem die Szene in den Großstädten, die sich ab „Frauen am
       Rande des Nervenzusammenbruchs“ gierig auf jeden neuen Film stürzte, ob
       „Fessle mich!“, „Die Waffen einer Frau“ oder „Kika“. Das änderte sich
       spätestens 1999 mit Almodóvars Welterfolg „Alles über meine Mutter“, mit
       dessen Mix aus Campästhetik und Melodrama à la Douglas Sirk er auch zum
       Liebling des Feuilletons avancierte und seinen ersten Oscar gewann. Aus dem
       schrillen Schmuddelkind wurde der große Kinokünstler.
       
       ## Penélope Cruz als Muse seines Spätwerks
       
       Es folgte die goldene Phase seines Schaffens, mit Meisterwerken wie „Sprich
       mit ihr“, „La mala educación – Schlechte Erziehung“ mit García Bernal in
       Drag und „Volver – Zurückkehren“ mit Penélope Cruz, die er erstmals bereits
       acht Jahre zuvor in „Live Flesh – mit Haut und Haar“ besetzt hatte und die
       zur Muse seines Spätwerks werden würde. Selbst mittelmäßige Filme wie
       „Zerrissene Umarmungen“, [3][„Die Haut, in der ich wohne“] und die
       verunglückte [4][Flugzeugkomödie „Fliegende Liebende“] wurden fortan fast
       automatisch zum Muss erklärt, zumindest in Deutschland, Frankreich und den
       USA.
       
       In seiner Heimat selbst wurde er nicht immer ganz so bedingungslos geliebt.
       Über das Zurschaustellen seines Kunstgeschmacks, der sich an den Wänden und
       auf den Couchtischen seiner makellos ausgestatteten Filme manifestiert,
       verdrehen seine Kritiker ebenso regelmäßig die Augen wie über seine oft
       recht naiven politischen Statements.
       
       Das Schrille und Provokante, der hedonistische Lebenshunger sind in den
       letzten Jahren mehr und mehr einer Melancholie gewichen. Almodóvar setzt
       sich mit Einsamkeit, Vergänglichkeit und dem Abschiednehmen auseinander, im
       autobiografischen Film [5][„Leid und Herrlichkeit“] vor fünf Jahren, in
       [6][„Parallele Mütter“] und noch deutlicher in seinem neuen, Ende Oktober
       im Kino anlaufenden Sterbehilfedrama „The Room Next Door“ mit Tilda Swinton
       und Julianne Moore.
       
       „Ich denke jeden Tag an den Tod“, gestand er bei der Premiere Anfang
       September. Und so scheint er sich über die späte Würdigung durch die Preise
       in Venedig und San Sebastián mehr freuen zu können als über sein
       Doppeljubiläum. Sie machen ihn, wie die Filme selbst, unsterblich.
       
       25 Sep 2024
       
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