# taz.de -- Papst besucht Türkei: Grundmauern des Glaubens
> Wichtiger als das Treffen mit Erdoğan scheint für Leo XIV. der Besuch von
> Überresten einer Basilika in İznik. Was der Pontifex in der Provinz will.
(IMG) Bild: Handshake? Leo XIV. steht am Donnerstag in Ankara neben Recep Tayyip Erdoğan
Auf den ersten Blick sieht es unspektakulär aus: 30 bis 40 Zentimeter hohe
Mäuerchen, Überreste eines einst größeren Gebäudes. Wasser des İznik-Sees
überspült einen Teil dieser Grundmauern; an die Grabungsstätte schließt
sich der Stadtstrand an. Mit etwas Fantasie kann man sich vorstellen, dass
hier, rund 150 Kilometer südlich von Istanbul, mal eine Basilika stand.
Denn die Apsis, also eine halbrunde Nische an der Stirnseite, sieht aus wie
die Altarseite in frühen byzantinischen Kirche.
Die im Jahr 2014 entdeckten Fundamente sorgten für Aufregung, Archäologen
waren sich bald sicher, dass es sich um die Basilika St. Neophyt handelt,
eine sehr frühe Kirche aus dem 4. Jahrhundert. Womöglich stand hier sogar
eine der berühmtesten Kirchen des Christentums überhaupt.
Auch in türkischen Medien wird schon länger spekuliert, dass es sich bei
den Ruinen am See sogar um die Kirche gehandelt haben könnte, in der vor
1.700 Jahren das erste berühmte ökumenische Konzil unter Kaiser Konstantin
dem Großen stattgefunden hat. Die Dame, die die kleine Ausstellung am Rande
der Grabungsstätte betreut, ist sich da ganz sicher: „Natürlich, hier fand
im Jahr 325 das Konzil von Nicäa statt, keine Frage.“
Papst Leo XIV. sieht das offenbar genauso. Deshalb wird er bei seiner
insgesamt viertägigen Reise, die ihn erst in die Türkei und dann auch in
den Libanon führt, am Freitag İznik besuchen. Hier will er das
1.700-jährige Jubiläum eines Ereignisses feiern, das die christliche Welt
entscheidend geprägt hat, ja wahrscheinlich sogar der Grund ist, dass das
Christentum zu einer Weltreligion wurde – und nicht als eine unter vielen
anderen Sekten im Römischen Reich unterging. Ohne das Konzil von Nicäa, so
sieht es der Bürgermeister von İznik, Kağan Mehmet Usta, würde es das
Christentum vielleicht gar nicht mehr geben.
Mehr pflichtschuldig als motiviert scheint der erste Stopp des Pontifex am
Donnerstag in der Hauptstadt. Bei seiner Ansprache in Ankara würdigte er
die historische Rolle der Türkei als Brücke zwischen Ost und West sowie
Kulturen und Religionen.
„Möge die Türkei eine Quelle der Stabilität und der Annäherung zwischen den
Völkern sein, im Dienste eines gerechten und dauerhaften Friedens“, sagte
Leo XIV. in der türkischen Nationalbibliothek. „Heute brauchen wir mehr
denn je Menschen, die den Dialog fördern und ihn mit festem Willen und
geduldiger Entschlossenheit praktizieren.“
Zwar fuhr er am Nachmittag weiter nach Istanbul. Doch die berühmte Hagia
Sophia in Istanbul, die in der Geschichte mal Kirche, mal Moschee, dann
Museum war und die Erdoğan 2020 wieder in eine Moschee umwandeln ließ, will
der Papst gar nicht besuchen.
Sein Hauptaugenmerk liegt auf den Basilika-Resten in İznik. Einige
Monumente von Nicäa sind noch zu sehen, doch die Stadt, die heute İznik
heißt, hat sich tiefgreifend gewandelt. Aus der einst zweitwichtigsten
Stadt des christlichen, byzantinischen Kaiserreiches ist eine ruhige
Provinzstadt geworden.
Sie liegt idyllisch inmitten von Olivenhainen und Obstplantagen, direkt am
İznik-See, einem großen Binnensee, der im Sommer einige Urlauber aus
Istanbul anlockt. Von dort kommend, überquert man eine der größten Brücken
der Türkei, die Präsident Recep Tayyip Erdoğan vor gut zehn Jahren über den
östlichen Ausläufer des Marmarameeres hat bauen lassen, um die Fahrzeit von
Istanbul zur Ägäismetropole Izmir zu reduzieren.
Kurz hinter der Brücke verlässt man die Autobahn und nimmt eine Landstraße.
Jetzt, im November, ist Hochzeit der Olivenernte. Überall unter den Bäumen
liegen große Planen, in denen die Bauern die Oliven auffangen, die sie mit
langen Stangen von den Bäumen schlagen.
Die Fahrt in die Stadt hinein führt durch eines der Tore der Stadtmauer,
die bereits in der Antike gebaut wurde. Die Mauer rund um die Altstadt von
İznik ist weitgehend erhalten. Auch innerhalb des Altstadtrings gibt es
etliche Bauten, die an Byzanz erinnern.
Papst Leo XIV. allerdings wird sich dem Städtchen im Helikopter nähern: Am
Freitagnachmittag will er nach İznik kommen, dem Höhepunkt seiner Reise. Er
wird andere kirchliche Würdenträger treffen, darunter den orthodoxen
Patriarchen von Konstantinopel Bartholomäus I.
Schon zwei Wochen vorher ist der Papst Stadtgespräch. Die meisten Bewohner
sind stolz, dass ihr Ort durch den Besuch für einige Stunden in den
Mittelpunkt der christlichen Weltöffentlichkeit rückt. Gerüchteweise soll
sich neben dem Papst auch der zum Katholizismus konvertierte amerikanische
Vizepräsident J.D. Vance angekündigt haben.
Auf die Frage, wo denn die „su altinda kilise“, also die Kirche unter
Wasser, zu finden sei, geben die Leute bereitwillig Auskunft. Man muss die
Altstadt verlassen und durch eine verwinkelte kleine Gartenstadt navigieren
bis zum See. Hier wurde eine neue Uferstraße gebaut, von der aus man direkt
zu den Ruinen der Basilika kommt.
Stolz berichten die Einwohner von ihrer Basilika. Dass es sich dabei um ein
christliches Monument handelt, tut der Begeisterung der muslimischen
StadtbewohnerInnen keinen Abbruch. Mit gut 180.000 Gläubigen – darunter
etwa 33.000 Katholiken – stellt die christliche Gemeinschaft in dem Land
bei einer Gesamtbevölkerung von rund 85 Millionen eine kleine Minderheit
dar.
„Wir sind gespannt auf den Papst“, sagt eine Frau im Zentrum von İznik.
„Wir werden uns seinen Auftritt auf jeden Fall anschauen.“ Warum die
Basilika für den Papst so wichtig ist, dass er dafür extra aus Istanbul
nach İznik kommt, ist ihr zwar nicht ganz klar, „schließlich besuchen die
meisten Kirchenleute eher die Hagia Sophia als unsere Basilika“. Aber egal:
Hauptsache, hier passiert mal was.
Dieser Meinung ist auch der Bürgermeister von İznik, Kağan Mehmet Usta.
„Ich hoffe, dass unsere Stadt durch den Papstbesuch weltweit bekannt wird“,
sagte er der französischen Nachrichtenagentur afp. „Hier, aber auch in
anderen Teilen von Anatolien gibt es viele Erinnerungen an das frühe
Christentum.“
## Was die Basilika für Christen bedeutet
Zwar betont Rom stets die Rolle des Jesus-Jüngers Petrus und des „Fels, auf
dem die Kirche erbaut ist“, doch für die Einigung der Christen zu einer
Weltreligion war noch etwas anderes wichtig: das Konzil von Nicäa, das
Kaiser Konstantin einberufen hat.
Der römische Aristokrat, der zum Zeitpunkt des Konzils noch nicht einmal
Christ war und erst später „der Große“ genannt wurde. Der Sohn eines von
vier Kaisern lebte in der Zeit der Tetrarchie, also der von vier Kaisern
geteilten Herrschaft, die Kaiser Diokletian 293 eingeführt hatte.
Diese wollte Konstantin wieder abschaffen. Doch da seine Mitkaiser nicht
weichen wollten, führte er einen fast lebenslangen blutigen Kampf und
Bürgerkrieg, bis es ihm 324 endlich gelang, auch den letzten Konkurrenten
im Osten des Reichs – quasi vor den Toren des heutigen Istanbuls – zu
besiegen.
Schon während seines Aufstiegs ließ Konstantin immer wieder erkennen, dass
er mit der im Römischen Reich lange unterdrückten christlichen Religion
sympathisierte. Er ließ seine Truppen bei der Eroberung Roms unter dem
Zeichen des Kreuzes kämpfen. Er setzte sich für ein Toleranzedikt ein, das
die Christen mit den anderen bereits anerkannten Religionen gleichstellte.
Und er begann früh, führende Bischöfe auch materiell zu begünstigen, indem
er Land und Kirchenbesitz restituierte, das während der Christenverfolgung
unter Kaiser Diokletian enteignet worden war.
Da Kaiser Konstantin keine Zeugnisse über seine persönlichen
Befindlichkeiten hinterlassen hat, wird bis heute darüber gerätselt, was
diesen brutalen Krieger bewogen haben könnte, sich dem Christentum
zuzuwenden. Die Botschaft der Bergpredigt, nach der man seinem Feind auch
die andere Wange hinhalten soll, war es wohl nicht. Machtpolitisch barg
sein Vorgehen auch ein Risiko, weil der größte Teil der Bewohner des
Römischen Reichs, insbesondere die Soldaten, noch lange an ihren alten
Göttern festhielten.
## Was hat Konstantin am Christentum fasziniert?
Ein Grund, dass Konstantin solche Risiken in Kauf nahm, war die
Notwendigkeit einer ideologischen Fundierung seiner Alleinherrschaft. Und
die bot ihm das Christentum durch den Monotheismus. Ein Gott, ein Kaiser,
eine Kirche: Das war die Formel, auf der er sein Kaisertum bauen wollte.
Anders als das alte vielstimmige Götterpantheon bot das Christentum
Konstantin die Möglichkeit, sich als der eine Stellvertreter Gottes auf
Erden zu inszenieren. Was nach seinem Sieg über die Konkurrenten noch
fehlte, war die eine Kirche.
Das Christentum gruppierte sich im angehenden 4. Jahrhundert um
verschiedene Bischofssitze. Je größer die Gemeinde, desto einflussreicher
der Bischof. Die größte Gemeinde der damaligen Zeit gab es in Alexandria in
Ägypten. Daneben wichtig waren Antiochia in Syrien, Ceasarea in Palästina,
Ephesus an der Ägäis, Karthago in Nordafrika und natürlich Rom.
Jeder Bischof machte mehr oder weniger unabhängig theologische und
politische Vorgaben an seine Gemeinde. Es gab noch kein einheitliches
Glaubensbekenntnis, keinen gemeinsamen Textkanon, und kein gemeinsames
Datum für Ostern, das Fest der Auferstehung. Weihnachten spielte sowieso
keine Rolle. Konstantin war schon länger klar, dass er eine einheitliche
Kirche brauchte, deren wichtigste Bischöfe mit dem Staat unmittelbar
kooperierten.
Deshalb hielt er das erste ökumenische (einheitliche) Konzil der
christlichen Kirchen ab. Nach seinem Sieg über den oströmischen Kaiser
Licinius 324 berief Konstantin ein Jahr später das Konzil in Nicäa ein, um
diese einheitliche Kirche zu erreichen.
Einladungen wurden in alle Teile des Reichs und sogar darüber hinaus
verschickt. Von den rund 800 bekannten Bischöfen folgten gut 300 seiner
Einladung, die meisten von ihnen aus dem Osten des Reiches, wo das
Christentum stärker verankert war als im Westen. Transport, Kost und Logis
stellte der Kaiser. Die Lingua franca der damaligen Christenheit war
Griechisch.
Als Konstantin seine Eröffnungsrede auf Latein hielt, musste er übersetzt
werden. Das Konzil tagte fast drei Monate – und am Ende bekam Konstantin,
was er wollte. Die Grundzüge des noch heute geltenden Glaubensbekenntnisses
wurden damals festgelegt.
Der Hauptstreit, der vor allem von Alexandria ausging, drehte sich darum,
wer Jesus, der Begründer der neuen Lehre, eigentlich war. Während die einen
die Einheit von Gott, Jesus und dem Heiligen Geist als „wesensgleiche
Einheit“ beschworen, meinten die anderen: Wenn Jesus Gottes Sohn sei, könne
er doch nicht gleichzeitig Gott sein. Was sich eigentlich logisch anhört,
war am Ende aber die Minderheitsmeinung. Der Presbyter Arius aus
Alexandria, Wortführer dieser Position, wurde auf Drängen Konstantins aus
der Kirche ausgeschlossen.
Damit wurde die Grundlage dafür gelegt, dass das Christentum unter Kaiser
Theodosius nur wenige Jahrzehnte später zur römischen Staatsreligion
erklärt und die paganen Kulte eifrig bekämpft wurden. Aus der Lehre eines
jüdischen Wanderpredigers, der die Liebe Gottes und die Zuwendung zu den
Armen predigte, wurde die mächtige Kirche des Römischen Reiches, die ab
jetzt die Waffen des Kaisers segnete.
## Spaltung der Christen als Motiv für Papstbesuch
Die allerdings spaltete sich 1054 erneut in die griechische-orthodoxe
Ostkirche und die lateinisch-katholisch-römische Kirche. Fast tausend Jahre
später, im Jahr 2025, ist die Überwindung dieses sogenannten Schismas das
Hauptmotiv für Papst Leo XIV. Der Grund, warum er das Jubiläum des
ökumenischen Konzils von Nicäa feiern will.
Den meisten heutigen Bewohnern von İznik sind diese Hintergründe völlig
fremd. Nicht nur sind die Christen in der heutigen Türkei eine
verschwindend kleine Minderheit, auch die theologischen Fragen von Nicäa
sind dem Islam wesensfremd. Viele muslimische Theologen halten das
Christentum gar nicht für eine echte monotheistische Religion, mit Gott,
Gottes Sohn, dem Heiligen Geist und der Verehrung der Gottesmutter Maria.
Die letzte rund 300 Jahre nach dem Konzil von Nicäa entstandene
monotheistische Religion kennt nur Allah und spricht dem Propheten Mohammed
jede göttliche Komponente ab.
Einige Bewohner von İznik ärgern sich denn auch über das „Aufheben“, das um
den Besucher aus Rom gemacht wird. „Mein Café kann ich am Donnerstag und
Freitag nicht besuchen“, beschwert sich ein älterer Herr in einer
Gaststätte am See. „Die Polizei sperrt hier schon zwei Tage vorher alles
ab. Wir können uns in unserer eigenen Stadt nicht mehr bewegen.“
## „Einheit ohne Vielfalt ist Tyrannei“
Der Auftritt von Papst Leo XIV. richtet sich auch nicht an die Bewohner von
İznik, sondern an alle verschiedenen christlichen Kirchen, die es auch
heute neben der römisch-katholischen Kirche gibt. In einem apostolischen
Schreiben vor der Reise hat der Papst zur Versöhnung aller Christen
aufgerufen.
Das Motto sei: „Einheit ohne Vielheit ist Tyrannei, aber Vielheit ohne
Einheit bedeutet Zerfall.“ Vor und nach seinem Auftritt in Nicäa wird der
Papst sich in Istanbul deshalb mit dem Patriarchen der armenischen Kirche
und mit den Oberhäuptern der syrisch-orthodoxen Kirche treffen.
Sein wichtigster Ansprechpartner aber ist Patriarch Bartholomäus I. der
Patriarch der griechisch-orthodoxen Kirche von Konstantinopel – so nennt
die orthodoxe Kirche Istanbul bis heute – das spirituelle Oberhaupt der
orthodoxen Kirche weltweit. Diese führt das Patriarchat von Konstantinopel
seit der Zeit des byzantinischen Reichs.
Das ist auch nach der Eroberung der Stadt 1453 durch die Osmanen so
geblieben. Obwohl Patriarch Bartholomäus in Istanbul kaum mehr als 2.000
griechisch-orthodoxe Gläubige zu seiner Gemeinde zählen kann, bleibt er der
„orthodoxe Papst“. Die Gruppe klagt seit geraumer Zeit über Einschränkungen
der Religionsfreiheit im Land.
Bartholomäus I. ist im Gegensatz zu vielen anderen orthodoxen
Kirchenführern ein aufgeklärter, dialogfreudiger Mann. Er hat sich schon
vor Leo XIV. mit anderen Päpsten getroffen, zuletzt mit dem deutschen Papst
Benedikt XVI. in Rom. Papst Leo XIV. macht nun einen neuen Anlauf, um das
Schisma von 1054 zu überwinden. In seiner Vorabbotschaft schreibt er auch,
man solle „theologische Kontroversen, die ihre Daseinsberechtigung verloren
haben, hinter sich lassen“.
Während Bartholomäus I. durchaus bereit ist, auf die römisch-katholische
Kirche zuzugehen, sind andere orthodoxe Kirchenoberhäupter strikt dagegen.
Das gilt insbesondere für den Moskauer Patriarchen Kyrill I., dem Vorsteher
der weltweit größten orthodoxen Kirche in Russland. Und auch orthodoxe
Mönche vom heiligen Berg Athos in Griechenland wollten Bartholomäus schon
einmal exkommunizieren, weil er den Lateinern zu weit entgegenkommen
wollte.
Doch Papst Leo XIV. wird seinen Nicäa-Moment bekommen: Am Samstag wird er
in Istanbul mit Bartholomäus I. ein länger vorbereitetes Dokument
unterzeichnen: Es beschreibt die Gemeinsamkeiten beider Kirchen und
bisherigen Schritte einer Annäherung und Versöhnung zwischen Katholizismus
und Orthodoxie.
27 Nov 2025
## AUTOREN
(DIR) Jürgen Gottschlich
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