# taz.de -- Katholische und orthodoxe Kirche: Nach Istanbul reisen, aber „Konstantinopel“ meinen
> Mit seinem Istanbul-Besuch versucht Leo XIV. die vor tausend Jahren
> erfolgte Trennung zwischen Orthodoxie und römisch-katholischer Kirche
> abzumildern.
(IMG) Bild: Papst Leo XIV und Bartholomäus I., Patriarch der griechisch-orthodoxen Kirche in Konstantinopel, am Sonntag in Istanbul
Papst Leo XIV. zu Besuch in Konstantinopel. So könnte der inoffizielle
Titel der viertägigen Reise des Papstes lauten, die er zwar in der Türkei
absolvierte, eigentlich aber in der Welt seiner griechisch-orthodoxen
Gastgeber in „Konstantinopel“ verbrachte.
Bartholomäus I., Patriarch der griechisch-orthodoxen Kirche in
Konstantinopel, wie sie sich bis heute nennt, war von Freitagnachmittag bis
Sonntagmittag, als der Papst nach einem letzten „ökumenischen Segen“ durch
Bartholomäus in Richtung Libanon aufbrach, praktisch immer an seiner Seite.
Nachdem Papst Leo am Donnerstag den [1][formalen Teil seiner Reise als
Staatsoberhaupt des vatikanischen Kirchenstaates in Ankara absolviert
hatte], widmete er sich an den folgenden Tagen fast ausschließlich der
zahlenmäßig nur mehr sehr geringen christlichen Minderheit, die überwiegend
in Istanbul lebt.
Er besuchte die armenische Kirche, traf den armenischen Patriarchen zu
einem Gottesdienst in dessen Kathedrale und später auch die Vorsteher der
syrisch-orthodoxen Kirche, deren Gebetshaus im Stadtteil Bakirköy der
einzige Kirchenneubau in Istanbul seit der Gründung der Türkischen Republik
ist.
## Bartholomäus ist spiritueller Führer aller Orthodoxen
Vor allem aber widmete er sich Bartholomäus. Alle nicht-muslimischen
Glaubensgemeinschaften, also neben den Griechisch-Orthodoxen und den
Armeniern auch die Juden, haben in Istanbul sehr viel mehr Kirchen und
Synagogen, als sie heute füllen können. Nach dem Völkermord von 1915 lebt
in der Türkei nur noch ein kleiner Rest der einstmals 1,5 Millionen
Menschen umfassenden armenischen Gemeinde im Osmanischen Reich.
Der syrisch-orthodoxen Kirche machten ebenfalls die Christenverfolgung im
Ersten Weltkrieg, aber auch die bis heute andauernden Kämpfe in der Region
Syrien, Irak, Türkei zu schaffen. Den größten Aderlass aber erlitt die
griechisch-orthodoxe Kirche.
Das byzantinische Kaiserreich, auf das sich die griechische Kirche bis
heute bezieht, musste 1453 die Niederlage gegen die Osmanen hinnehmen, aber
das Patriarchat von Konstantinopel blieb dennoch bestehen, geduldet und
teilweise sogar gefördert von den osmanischen Sultanen.
Noch bis Ende des Osmanischen Reiches 1918 lebten mindestens eine halbe
Million griechisch-orthodoxer Einwohner allein in Istanbul. Erst durch die
Deportationen von Christen nach Griechenland und Muslimen aus Griechenland
in die Türkei nach dem Ersten Weltkrieg nahm ihre Zahl dramatisch ab.
Es blieb eine durch den Friedensvertrag von Lausanne geschützte Gemeinde in
Istanbul, deren Zahl allerdings bedingt durch viele Krisen zwischen der
Türkei und Griechenland im Laufe der Zeit auch immer weiter abnahm. Zurück
blieb das Patriarchat und rund 2000 Gläubige, die nach wie vor in ihrem
„Konstantinopel“ leben.
## Dokument zur Annäherung unterzeichnet
Da die orthodoxe Kirche weltweit das Patriarchat von Konstantinopel als
führendes Patriarchat der gesamten Orthodoxie ansieht, ist Bartholomäus
heute immer noch der spirituelle Führer der gesamten Orthodoxie. In dieser
Eigenschaft traf ihn Papst Leo nun in Istanbul und widmete dem „orthodoxen
Papst“ so viel Zeit wie kein römischer Kirchenführer vor ihm.
Er reiste mit Bartholomäus nach Nicäa, um das erste ökumenische Konzil der
Christen vor 1700 Jahren zu feiern, er besuchte zweimal einen Gottesdienst
in der Patriarchatskirche am Goldenen Horn und er unterzeichnete gemeinsam
mit Bartholomäus ein Dokument zur Annäherung zwischen den beiden Kirchen.
Sowohl von Bartholomäus wie von Leo und den beiden vorangegangenen Päpsten
Franziskus und Benedikt gibt es Bemühungen, die vor gut 1000 Jahren
erfolgte Trennung zwischen Orthodoxie und der römisch-katholischen Kirche
wieder aufzuheben oder mindestens abzumildern. Doch ob diese Bemühungen in
den beiden christlichen Weltkirchen, die in ihren jeweiligen Ritualen
erstarrt sind, Erfolg haben, wird man erst in den kommenden Jahren sehen.
30 Nov 2025
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(DIR) Jürgen Gottschlich
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