# taz.de -- Öko-Desaster in Ecuador mit Folgen: Pablo gegen Goliath
       
       > Anwalt gegen Weltkonzern: Pablo Fajardo will Chevron zu Schadenersatz
       > zwingen. Der Konzern soll eine Umweltkatastrophe hinterlassen haben.
       
 (IMG) Bild: Kann kaum seine Miete zahlen: Pablo Fajardo kämpft einen ungleichen Kampf
       
       Quito taz | Die erste Morddrohung trifft dich am härtesten, sagt Pablo
       Fajardo. Die Träume danach, die Unsicherheit auf der Straße, die Angst, was
       aus deiner Familie werden wird. Der Anwalt ist deshalb vorsichtiger
       geworden. Bustickets zum Beispiel bucht er frühestens drei Stunden vor
       Abfahrt. Auch weil er sich nicht verzeihen könnte, wenn wegen ihm eine
       Bombe hochgeht und Unschuldige sterben. Aufgeben wird er deswegen nicht.
       
       Pablo Fajardo, 45, laute Stimme, breites Lachen, am liebsten mit dem
       Fahrrad unterwegs, ist der Mann, der sich mit einem der größten Ölkonzerne
       der Welt angelegt hat. Nur dafür hat er Jura studiert. Weil sein Vater, ein
       Kakaobauer, ihm das Studium nicht finanzieren konnte, legten alle Leute aus
       seinem Dorf zusammen. Sie wollten, dass sich endlich etwas ändert.
       
       Seit in den 1960er Jahren Ingenieure aus Texas in Ecuador nach Öl bohrten,
       ist das Grundwasser teilweise verseucht. Die Böden im Amazonasgebiet an der
       Grenze zu Kolumbien gelten als vergiftet. Die Krebsraten in den Provinzen
       Sucumbíos und Orellana sind mit die höchsten auf dem Kontinent.
       
       Fajardo kämpft für die Betroffenen um eine Entschädigung vom Ölkonzern
       Texaco, der inzwischen zu Chevron gehört. Es ist der größte Umweltprozess
       aller Zeiten. Auf der einen Seite stehen 30.000 Bürger eines kleinen
       lateinamerikanischen Landes, die Schadenersatz einfordern. Auf der anderen
       Seite steht ein multinationales Unternehmen, das um jeden Preis der
       Verantwortung für die Umweltverschmutzung entkommen will.
       
       Chevron will ein Urteil über 9,5 Milliarden US-Dollar Schadenersatz nicht
       anerkennen. Die ecuadorianischen Richter seien korrupt. Doch die
       Ölkatastrophe ist real.
       
       ## Fajardos Mandanten geht es um Gerechtigkeit
       
       Fajardo sucht deshalb nach anderen Möglichkeiten, die den Betroffenen
       Gerechtigkeit bringen könnten. Denn seinen Mandanten geht es nicht um Geld.
       Ihnen geht es um sauberes Trinkwasser, um Gesundheit, ein Leben in Würde,
       um Gerechtigkeit. Für sich und ihre Kinder. Und für die Natur.
       
       Als 1972 das erste Fass Öl aus dem Urwald in die Hauptstadt transportiert
       wurde, feierten die Ecuadorianer ein Riesenfestival. Das Öl verhieß
       Wohlstand und Entwicklung.
       
       Es folgte ein Boom. 200.000 arme Bauern aus dem ganzen Land zogen ins
       Amazonasgebiet, unter ihnen Fajardos Vater. Pablo schrubbte selbst als
       Teenager die Öltanks von Texaco – bis er begriff, dass er hier genau wie
       seine Heimat ausgebeutet wurde.
       
       Auch der ecuadorianischen Regierung ging es allein um Profite. Der
       Investitionsvertrag mit Texaco ist dick wie ein Buch, dem Naturschutz sind
       darin nur vier Zeilen gewidmet.
       
       ## Tote Fische im Fluss, aus dem Trinkwasser geschöpft wurde
       
       Besonders leiden darunter Einheimische wie María Payaguaje. Sie lebt am
       mächtigen Fluss Aguarico, der knapp 600 Kilometer flussabwärts in den
       Amazonas mündet. Payaguaje ist eine der letzten Indigenen vom Volk der
       Siekopai, die sich noch an die Zeit vor dem Öl erinnern kann.
       
       Sie sitzt in einer Hängematte, die Flipflops sind ihr von den Füßen
       gerutscht, ihr geblümtes T-Shirt klebt an der runzeligen Haut. Früher,
       erzählt sie in ihrer Muttersprache Paikoka, früher sei das Leben einfacher
       gewesen. Damals habe sie das Wasser zum Kochen einfach vom Fluss geholt.
       
       Eines Tages bemerkte sie, dass Fische tot im Fluss trieben. „Plötzlich
       bekam die ganze Familie Bauchweh, der Durchfall hörte nicht auf. Meine
       Kinder hatten Hautausschläge.“ Selbst die mächtigsten Schamanen konnten die
       neuen Krankheiten nicht heilen, sagt sie, und ihre Stimme bricht. Ihr
       ältester Sohn ist wenige Jahre später gestorben. „Sie sagen, es war Krebs.“
       
       ## Knochenkrebsrate um das Zehnfache erhöht
       
       Die Nichtregierungsorganisationen UDAPT und Clínica Ambiental haben
       vergangenes Jahr Krankheitsdaten von fast 7.000 Personen veröffentlicht.
       Die Ergebnisse sind erschütternd: Knochenkrebs ist in der Region zehnmal so
       häufig wie im ecuadorianischen Durchschnitt, Frauen leiden achtmal häufiger
       an Gebärmutterkrebs.
       
       Das „Tschernobyl Amazoniens“ wird der Fall auch genannt: Als sich Texaco
       1992 aus Ecuador zurückzog, hinterließ der Konzern die bis dato größte
       Ölkatastrophe der Welt. Im Fördergebiet haben die Arbeiter giftigen
       Bohrschlamm in rund 900 Gruben gefüllt. Viele existieren noch heute,
       überwuchert von Farn.
       
       Regelmäßig bieten die Mitstreiter von Anwalt Pablo Fajardo sogenannte
       ToxiTours an: In Kleinbussen bringen sie Austauschstudenten, Journalisten
       und Ökotouristen an die Grenze zu Kolumbien, wo die Altlasten von Texaco
       noch heute zu sehen sind – obwohl der Konzern beteuert, gemäß den
       Absprachen mit der Regierung Aufräumarbeiten geleistet zu haben.
       
       Der Tourguide in Gummistiefeln und T-Shirt führt die Gruppe an den Rand
       eines schimmernden Morastes, der mit schwarz-gelben Gefahrenschildern
       markiert ist. Er sagt, in der Region seien 65 Millionen Liter Rohöl und 70
       Milliarden Liter toxische Abwässer im Boden versickert.
       
       ## Chevron dementiert: „Alle Vorwürfe sind falsch“
       
       Wie viele Liter es genau waren, wird niemand je ermitteln können. Dafür hat
       das Unternehmen gesorgt, wie der Journalist Paul Barrett für sein Buch „Law
       of the Jungle“ recherchierte: Es gab die direkte Anweisung, Unfälle oder
       Lecks zu vertuschen. In einer internen Notiz vom 17. Juli 1972 heißt es,
       nur „große Vorfälle“, die die Aufmerksamkeit von Behörden oder der Presse
       erlangten, sollten überhaupt zu Protokoll gegeben werden.
       
       Eine weniger umweltschädliche Technologie zur Ölförderung existierte
       bereits in den 1960er Jahren – patentiert von Texaco in den USA. Dort kam
       sie auch zum Einsatz. Aber in Ecuador gab es kaum staatliche Auflagen, und
       so sparte das Unternehmen Kosten. 4.197.968 Dollar, um genau zu sein.
       Gerade mal so viel hätte es laut einem internen Bericht gekostet, die
       Gruben abzudichten, um Natur und Anwohner zu schützen.
       
       Ein Sprecher des Konzerns sagt der taz dazu: „Alle Vorwürfe gegen Chevron
       sind falsch und nicht von wissenschaftlichen Erkenntnissen gestützt. Die
       Behauptungen der Umweltverschmutzung sind haltlos.“ Die Krux an diesem Fall
       sei es, herauszufinden, wer die Wahrheit sage. Ein Lügner sei vor allem
       Steven Donziger.
       
       Donziger war der erste Anwalt, der die Betroffenen der Ölkatastrophe
       vertrat: ein junger Harvard-Absolvent, der hoffte, sich in dem
       Umweltskandal einen Namen zu machen.
       
       Er brachte Journalisten und Filmstars wie Brad Pitt und den Sänger Sting
       ins Land, um die Geschichte von David gegen Goliath bekannt zu machen. Es
       war seine Idee, die ganze Schuld auf den US-Konzern zu schieben. Die Fehler
       der ecuadorianischen Regierung aufzuzeigen, hätte die Sache zu sehr
       verkompliziert – wen interessieren schon fehlende Standards, mangelnde
       Kontrolle, unzureichender Schutz indigener Territorien, ein
       Aufhebungsvertrag nach notdürftigen Aufräumarbeiten durch den Konzern?
       
       Über die Fehltritte der Regierung Ecuadors sah Donziger hinweg. Über das
       dortige Justizsystem äußerte er sich allerdings abschätzig. Seine
       überhebliche Art brachte ihm nicht viele Sympathien unter den
       Einheimischen. Und seine zweifelhaften Methoden haben nicht geholfen, den
       Betroffenen Gerechtigkeit zu bringen.
       
       ## Ein Anwalt, der kaum seine Miete zahlen kann
       
       Pablo Fajardos gedrungene Gestalt ist das Gegenteil des Hünen Donziger. Als
       Fajardo zum Hauptanwalt der Betroffenenunion UDAPT ernannt wurde, besaß er
       weder eine Krawatte noch einen Anzug. Seine Organisation ist bis heute auf
       Spenden angewiesen, am Ende des Monats bleibt für ihn oft kein Gehalt
       übrig. Gerade ist er in eine kleinere Wohnung gezogen, weil er sich die 250
       US-Dollar Miete nicht mehr leisten konnte.
       
       „Anstatt jahrzehntelang Geld in Anwälte und PR-Firmen zu stecken, hätte
       Chevron längst den Giftmüll aufräumen können“, sagt Fajardo. Er sitzt in
       seinem engen Büro in Quito und kritzelt mit dem Kugelschreiber Zahlen auf
       ein Stück Papier.
       
       Auf seinem Schreibtisch stapeln sich Gesundheitsberichte und Fachliteratur
       aus Biologie und Chemie, daneben liegt ein Brief an den Präsidenten der
       Republik. Alle fünf Minuten klingelt sein Handy. Dann erschallt ein lautes
       Hühnergackern und eine alberne Melodie, die Fajardo zum Lachen bringt. Er
       hat seinen Optimismus nicht verloren, obwohl der Rechtsstreit schon über 25
       Jahre dauert.
       
       Chevron scheint um jeden Preis einen Präzedenzfall vermeiden zu wollen. Er
       könnte Klagen gegen Ölkonzerne auf der ganzen Welt nach sich ziehen. Genau
       deshalb will Fajardo einen Sieg erringen. Nicht nur für seine Landsleute,
       sondern für alle Menschen auf der Welt.
       
       Denn das Problem ist global. Die Rechte von Unternehmen sind im Ausland
       über Freihandelsabkommen geschützt. Bürger können ihre Rechte bei
       multinationalen Unternehmen oft nicht durchsetzen.
       
       ## Juristischer Streit auf alle Ebenen – bisher erfolglos
       
       Fajardo weiß das, denn seine Mandanten haben es überall versucht: Zuerst
       mit Steven Donziger im Jahr 1993 vor dem Bundesgericht in New York. Neun
       Jahre später wiesen die Richter die Kläger endgültig ab, ohne sich
       inhaltlich zu äußern. Der Fall sei in den USA nicht zu verhandeln, Ecuador
       das einzig passende Gerichtsforum.
       
       Dort verurteilte 2011 ein Provinzgericht Chevron zu Schadensersatzzahlungen
       in Milliardenhöhe. Einer der Anwälte des Konzerns kommentierte das mit den
       Worten: „Eher wird die Hölle gefrieren, als dass wir dieses Urteil
       anerkennen.“
       
       Pablo Fajardo kämpfte sich in Ecuador durch alle Instanzen. Im Juli 2018
       bestätigte das Verfassungsgericht das Schadenersatzurteil von 9,5
       Milliarden US-Dollar. Fajardo und sein Team jubelten. Doch Chevron weigert
       sich weiterhin zu zahlen.
       
       Weil der Konzern 1992 alle Unternehmenswerte aus Ecuador abgezogen hatte,
       versuchte Fajardo, das Urteil in Argentinien, Brasilien und Kanada zu
       vollstrecken. Experten bewerteten den Versuch als vielversprechend, Besitz
       im Ausland zu beschlagnahmen. Aber im April 2018 scheiterte Fajardo am
       Obersten Gerichtshof in Ontario, weil dieser die kanadische Chevron-Tochter
       als unabhängig vom Mutterkonzern einschätzte. Gegen diese Auffassung will
       sich Fajardo wehren. Momentan sieht er dort die einzige Lösung, an das Geld
       zu kommen, das den Betroffenen 2011 zugesprochen worden war.
       
       Worüber Fajardo nicht gerne spricht: Es könnte noch einen anderen Grund
       dafür geben, dass Maria Payaguaje und die anderen Amazonas-Bewohner nicht
       zu ihrem Recht kommen. Es existieren schwerwiegende Korruptionsvorwürfe.
       
       ## Schiedstribunal wirft Richtern Korruption vor
       
       Ende August 2018 folgte ein internationales Schiedstribunal in Den Haag der
       Argumentation von Chevron, die ecuadorianischen Richter hätten ihr Urteil
       auf Grundlage gefälschter Zeugenaussagen und pseudowissenschaftlicher
       Studien gefällt. Ein Entwurf des Urteils sei außerdem von der Klägerseite
       verfasst worden.
       
       Tatsächlich haben sich Pablo Fajardo und Steven Donziger während der
       Beweisaufnahme mehrmals mit Richtern in Quito getroffen. Angeblich haben
       sie ihnen 500.000 US-Dollar für das gewünschte Urteil versprochen. Beweise
       dafür gibt es nicht, aber die Aussage des Richters Alberto Guerra. Donziger
       verlor in der Folge seine Anwaltslizenz.
       
       Was den Richter Guerra dazu bewog, gegen das Team von Donziger auszusagen,
       kann man ihn nicht persönlich fragen: Seit dem Prozess ist er
       untergetaucht. Der Journalist Paul Barrett will Beweise gesammelt haben,
       dass Chevron ihm und seiner Familie damals für zwei Jahre einen monatlichen
       Unterhalt von 12.000 US-Dollar zahlte und ein Haus zur Verfügung stellte.
       
       Fajardo sagt dazu heute: „Ich verteidige Donziger nicht. Er hat Fehler
       begangen, aber Betrug war es nicht.“ Fatale Folgen hatte die Affäre nicht
       nur für Donziger. Auch die ecuadorianischen Kläger büßten international an
       Glaubwürdigkeit ein – und verloren die Aussicht auf ein baldiges Ende des
       Rechtsstreits.
       
       Denn die Richter in Den Haag urteilten letztlich nicht darüber, ob Chevron
       in Ecuador Umweltzerstörung zu verantworten hat, sondern darüber, ob das
       ecuadorianische Urteil fair zustande kam. Da es daran Zweifel gibt, soll
       Ecuador jetzt Schadenersatz an das US-Unternehmen zahlen. Begründet wird
       der Anspruch durch ein Investitionsschutzabkommen von 1997, obwohl Texaco
       die Produktion im Land schon 1992 eingestellt hat.
       
       „Es gibt keine Gerechtigkeit für die Opfer solcher Verbrechen“, sagt Pablo
       Fajardo. Die Schiedsrichter hätten den Zugang zur Gerechtigkeit weiter
       verbaut. Die Wut auf die eigene Regierung wächst. Je länger der Fall
       dauert, desto mehr dominiert er Fajardos Alltag. Er sagt zwar, seine
       Familie sei ihm wichtig. Seinen 90-jährigen Vater hat er aber schon seit
       Wochen nicht gesehen, zwei Ehen sind in die Brüche gegangen, seine Tochter
       lernt ohne ihn das Alphabet.
       
       ## Fajardo setzt auf politischen Druck
       
       Erst im Oktober war er wieder auf Tour in Europa, um vor UN-Gremien von dem
       Fall zu berichten. Er glaubt inzwischen, ein Erfolg müsse auch mit
       politischen Mitteln erstritten werden. Nur strengere Regeln für Unternehmen
       könnten ein nächstes „Tschernobyl Amazoniens“ verhindern. Er hat gelernt,
       dass sich Bürger des globalen Südens dabei nicht auf ihre Regierungen
       verlassen können. Obwohl es Jahrzehnte dauern wird, um die Schäden im
       Nordosten Ecuadors zu reparieren, hat der Präsident gerade neue
       Konzessionen an chinesische Konzerne für das südliche Amazonasgebiet
       vergeben.
       
       Deshalb verfolgt Fajardo eine globale Vision. Sie geht weit über den Fall
       Chevron hinaus. Er will, dass die Vereinten Nationen ein verbindliches
       Abkommen für Wirtschaft und Menschenrechte schaffen. Bisher setzen die
       meisten großen Industriestaaten in Europa, die USA, Russland und China auf
       freiwillige Unternehmensverantwortung.
       
       Auch wenn der Fall von Ausbeutung in pakistanischen Textilfabriken oder auf
       spanischen Erdbeerplantagen andere juristische Probleme mit sich bringe als
       der Fall Chevron – eines haben sie gemeinsam, sagt Fajardo: „Die Welt hat
       ein System hervorgebracht, in dem Unternehmen viele Rechte haben und kaum
       Pflichten.“ Deshalb wird er in diesem Jahr gemeinsam mit Menschenrechts-
       und Umweltorganisationen wie Amnesty International, Friends of the Earth
       und dem Transnational Institute der Verantwortungslosigkeit von Unternehmen
       den Kampf ansagen. Er ist überzeugt, dass es klappt. Es muss klappen.
       
       4 Feb 2019
       
       ## AUTOREN
       
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