# taz.de -- „NSU 2.0“-Drohschreiben: Weitere Politikerinnen betroffen
       
       > Nach der Hessin Janine Wissler erhielten zwei weitere Linke-Abgeordnete
       > in Berlin Drohbriefe. Wieder enthalten sie Daten, die nicht öffentlich
       > sind.
       
 (IMG) Bild: Nicht allein betroffen: Janine Wissler im hessischen Landtag mit Innenminister Peter Beuth
       
       Berlin/Frankfurt am Main taz | Die aktuelle „NSU 2.0“-Drohschreibenserie
       weitet sich aus. [1][Nach der hessischen Linken-Fraktionschefin Janine
       Wissler] erhielten nach taz-Informationen zuletzt auch die
       Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner und die Linken-Fraktionschefin
       im Berliner Abgeordnetenhaus Anne Helm Drohschreiben desselben Absenders.
       Auch darin waren persönliche, öffentlich nicht bekannte Informationen
       erhalten.
       
       Wissler hatte [2][bereits Mitte Februar ein erstes Schreiben erhalten, das
       mit „NSU 2.0“ unterzeichnet war]. Darin sind Nazi-Parolen und Drohungen
       enthalten. Der Absender benannte auch persönliche Kontaktdaten der
       Linken-Politikerin. Wissler wandte sich darauf an die Polizei, die
       feststellte, dass ihre Daten kurz zuvor von einem Polizeicomputer in
       Wiesbaden abgerufen wurden.
       
       Ein Beamter wurde ausfindig gemacht, bestreitet laut Spiegel-Informationen
       allerdings die Datenabfrage. Demnach hätten andere Polizisten über seinen
       Account die Suche getätigt. Der befragte Beamte wird in den Ermittlungen
       nur als „Zeuge“ geführt. Eine Durchsuchung seines privaten Computers soll
       es nicht gegeben haben.
       
       ## Auch die Linken-Politikerinnen Renner und Helm betroffen
       
       Bereits eine Woche nach dem ersten Schreiben im Februar hatte Wissler ein
       zweites bekommen. Zwei weitere „NSU 2.0“-Drohmails folgten vor wenigen
       Tagen. Diese gingen nun parallel auch an weitere Absender, darunter Martina
       Renner und Anne Helm. Alle drei Linken-Politikerinnen werden in den
       Schreiben persönlich adressiert und ihnen ein „Todesurteil“ ausgesprochen.
       Dazu werden auch persönliche, öffentlich unbekannte Daten aufgeführt.
       
       Die drei Politikerinnen sind allesamt bekannt für ihr Engagement gegen
       Rechtsextremismus. Wissler und Helm äußern sich aktuell nicht zu den
       Bedrohungen. Renner machte den Ermittlern schwere Vorwürfe. „Das LKA Hessen
       hat bei der Aufklärung der Drohserie bisher komplett versagt“, sagte sie
       der taz. „Es ist ein schweres Versäumnis von Innenminister Beuth, sich erst
       jetzt um die Morddrohungen gegen engagierte Frauen zu kümmern.“
       
       Auch Helm sagte: „Das Vertrauen in die hessischen Behörden ist nachhaltig
       zerstört. Deshalb sollte die Bundesanwaltschaft das Verfahren an sich
       ziehen.“ Die Inhalte der Drohschreiben zeigten zudem, dass der oder die
       Täter Zugang zu Quellen von sensiblen Daten und Verbindungen nach Berlin
       hätten.
       
       Das LKA Hessen äußerte sich vorerst nicht zu dem Vorgang. Die
       Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main lehnte eine Stellungnahme aufgrund der
       laufenden Ermittlungen ab. Auffällig: In den aktuellen „NSU
       2.0“-Drohschreiben wird wiederholt Bezug auf Berichte zu
       Ermittlungsmaßnahmen gegen Polizisten im Rahmen der Drohserie genommen. Von
       den Absendern werden diese Ermittlungen immer wieder kritisiert.
       
       ## Innenminister schließt rechtes Polizeinetzwerk nicht mehr aus
       
       Schon seit August 2018 hatte [3][die Frankfurter Anwältin Seda
       Başay-Yıldız, die im Münchner NSU-Prozess Opferfamilien vertrat, wiederholt
       Drohschreiben eines „NSU 2.0“ erhalten]. Auch diese erhielten persönliche
       Daten, etwa von ihren Familienmitgliedern. Zuvor waren Daten von
       Başay-Yıldız auf einem Frankfurter Polizeicomputer abgerufen worden. Der
       Absender ist bis heute nicht ermittelt, die Schreiben wurden offenbar aus
       dem Darknet versandt.
       
       Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) zeigte sich am Donnerstagnachmittag
       erbost, dass er im Fall Janine Wissler vom LKA Hessen erst am Mittwoch über
       die Datenabfrage von einem Polizeicomputer im Februar informiert wurde.
       Dies sei angesichts der Bedeutung des Vorgangs „völlig inakzeptabel“. Er
       habe weiter keine Belege für ein rechtes Netzwerk in der hessischen
       Polizei, erklärte Beuth. Die erneute Datenabfrage aber „nährt den Verdacht“
       eines solchen. Die hessische Polizei dürfe nun nichts unversucht lassen,
       „diesen Verdacht zu entkräften“.
       
       Beuth will nun einen Sonderermittler einsetzen, der die Ermittlungen zu den
       Drohmails federführend übernehmen und direkt an den
       Landespolizeipräsidenten berichten soll. Auch soll künftig jeder Polizist
       bei Datenabfragen in den polizeilichen Systemen einen dienstlichen Grund
       dokumentieren müssen.
       
       Basay-Yildiz kritisierte am Freitag Beuth und zeigte sich „verwundert“ über
       die Erklärung des Innenministers. Anders als die hessische LKA-Chefin
       Sabine Thurau habe sich dieser „nie bei mir und meiner Familie gemeldet“.
       Thurau habe dagegen den persönlichen Kontakt gesucht und ihr Kind, das
       weiter massiv bedroht werde, seit nun anderthalb Jahren geschützt, so die
       Anwältin. „Sie hat nicht die Öffentlichkeit wie der Innenminister oder
       andere politische Akteure gesucht, die leere Versprechungen ausgesprochen
       und sich nie wieder gemeldet haben, sondern tatsächlich etwas getan.“
       
       Anders als Martina Rennner und Anne Helm kritisiert Basay-Yildiz das
       Landeskriminalamt nicht. Trotz aller struktureller Probleme habe die Arbeit
       von Thurau und des LKAs Vertrauen in die Polizei geschaffen, sagte die
       Anwältin. Dies sollte nun „nicht aus politischen Gründen von Herrn Beuth
       torpediert werden“.
       
       ## Politik ist alarmiert
       
       Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) Seehofer [4][nannte die
       Bedrohungen von Wissler „vollkommen inakzeptabel“]. Der Vorfall müsse
       „rücksichtslos aufgeklärt“ werden. Linken-Parteichef Bernd Riexinger warf
       den Behörden derweil vor, Politikerinnen seiner Partei nicht ausreichend zu
       schützen. „Ich bin schockiert darüber, dass meinen Kolleginnen in der
       Vergangenheit zu keinem Zeitpunkt Polizeischutz angeboten wurde“, sagte er
       der Rheinischen Post.
       
       Grünen-Chefin Annalena Baerbock forderte, dass unabhängige Wissenschaftler
       verfassungsfeindliche Tendenzen bei den Sicherheitsbehörden untersuchen. Es
       gehe nicht um einen Generalverdacht, die allermeisten Mitarbeiter seien
       „ohne jede Frage verfassungstreu“, sagte Baerbock der Deutschen
       Presse-Agentur. Aber wenn es [5][immer wieder rechtsextreme Vorfälle in den
       Sicherheitsbehörden] gebe, die Zugang zu Waffen und sensiblen Daten hätten,
       müssten diese Umtriebe aufgedeckt, analysiert und konsequent geahndet
       werden.
       
       10 Jul 2020
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [4] /Neuer-Verfassungsschutzbericht/!5694343
 (DIR) [5] /Rechtsextreme-in-Sicherheitsbehoerden/!5666416
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Konrad Litschko
       
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