# taz.de -- Gaza-Tagebuch: Tote im Café, am Strand, auf der Straße
       
       > Vor dem Fenster unserer Autorin wurde ein gut besuchtes Café von einer
       > Bombe getroffen. Es hatte den Menschen eine kurze Auszeit vom Krieg
       > geboten.
       
 (IMG) Bild: Nach dem Bombenangriff der israelischen Armee auf das Cafe Al-Baqa’a in Gaza
       
       Montag, 30. Juni 15.10 Uhr, Gaza-Stadt. Die Wohnung, in der mein Onkel und
       seine Familie Zuflucht gefunden haben, nachdem wir [1][aus unserer Heimat
       in Nordgaza vertrieben] wurden, liegt im Westen der Stadt. Durch die
       Fensterhöhlen – Fensterglas gibt es nicht mehr – haben wir einen
       atemberaubenden Blick auf das nur wenige Meter entfernte Meer.
       
       Meine beiden Cousins und ich saßen am Esstisch als plötzlich das Gebäude
       bebte. Türen zersplitterten, Staub füllte die Wohnung. Dann kam eine
       ohrenbetäubende Explosion. Die Frau meines Onkels schrie. Wir rannten zu
       den Fenstern, um zu sehen, wo die Bombe eingeschlagen war. Zuerst war es
       nicht klar zu erkennen. Aber dann sahen wir es – [2][das Al-Baqa’a Café,
       direkt] vor uns, völlig zerstört. Schreie brachen aus. Hunderte von
       Menschen eilten herbei, um zu helfen.
       
       [3][Das Al-Baqa’a Café war], vor dem Krieg, einer der beliebtesten Orte für
       Einheimische und Touristen in Gaza. Es war immer voller Besucher und
       Familien – ich bin oft dort gewesen. Ein wunderschöner Ort hoch über dem
       Meer, der einen von dem Krieg und all dem Druck entführte und in eine
       andere Welt voller Frieden und Geborgenheit versetzte.
       
       Die Menschen begannen, die Verwundeten und Toten aus dem Café, [4][vom
       Strand und von der nahe gelegenen Straße] zu bergen. Wir sahen Leichen,
       Gliedmaßen, Blut und Verletzte – Dutzende und Aberdutzende. Rettungswagen
       brachten sie in Krankenhäuser, aber auch Privatwagen und Eselskarren.
       
       Menschen suchten am Tatort nach ihren Angehörigen, die im Café gewesen
       waren. Bei jedem Verletzten, den sie herausbrachten, schaute ich genau auf
       die Gesichter – aus Angst, es könnte jemand aus meiner Familie sein. Und
       ich bin sicher, dass alle anderen dasselbe taten. Es dauerte etwa eine
       Stunde, bis alle Verletzten evakuiert waren. [5][Einige Menschen wurden
       noch vermisst] – vom Meer verschluckt.
       
       Zwei Stunden nach der Explosion gingen wir zum Tatort, um Fotos zu machen.
       Sobald wir die Straße betraten, schlug uns der Geruch von Blut entgegen. Im
       Inneren des Cafés war es überall – auf dem Boden, an den Wänden, auf den
       Stühlen und Tischen. Körperteile von Opfern und Verwundeten lagen noch
       immer dort. Ein Frauenschuh – hatte sie ihren Fuß verloren oder war sie
       gestorben? Daneben lagen die blutbefleckten Kleider eines kleinen Mädchens.
       
       Der Guardian schrieb später, die [6][Bombe habe 230 Kilogramm gewogen] –
       und ihr Abwurf sei ein mögliches Kriegsverbrechen.
       
       Ich stellte mir vor, was die Menschen kurz vor dem Einschlag getan hatten.
       Freunde, die Witze machten und lachten. Mädchen, die für Fotos posierten,
       um sie in den sozialen Medien zu posten. Es waren Menschen wie wir, die ein
       Leben hatten – aber [7][dieses Leben wurde ihnen genommen].
       
       In dieser Nacht konnte nicht schlafen. Ich dachte über alles nach, was um
       uns herum geschieht – über diejenigen, die an diesem Tag jemanden verloren
       hatten. Wie haben sie in dieser Nacht geschlafen? Wie schwer ist die Nacht
       für jemanden, der einen geliebten Menschen verloren hat? Dann erinnere ich
       mich an den Schmerz, [8][den ich fühlte, als mein Vater getötet wurde – am
       22. März dieses Jahres]. Ich vermisse ihn jeden Tag.
       
       Seham Tantesh, 23, aus Beit Lahia, ist die Cousine unserer Reporterin Malak
       Tantesh und wurde insgesamt acht Mal vertrieben. 
       
       Internationale Journalist*innen können seit Beginn des Kriegs nicht in
       den Gazastreifen reisen und von dort berichten. Im „Gaza-Tagebuch“ holen
       wir Stimmen von vor Ort ein.
       
       4 Jul 2025
       
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