# taz.de -- Café in Gaza-Stadt: „Überall um mich herum lagen Leichen“
       
       > Ein israelischer Luftangriff trifft das Al-Baqa-Café in Gaza-Stadt. Viele
       > Zivilist:innen sterben, darunter Journalist:innen und
       > Künstler:innen.
       
 (IMG) Bild: Blick aus dem nach dem israelischen Luftangriff zerstörten Cafe auf den Strand
       
       Gaza-Stadt/Berlin Am Montag macht sich Abu Hamdi in Gaza-Stadt auf, um
       einen Freund zu treffen. Als Geschenk bringt er ihm eine Flasche Parfum
       mit, aus dem kleinen Laden, den Abu Hamdi besitzt. „Ich habe sie ihm
       überreicht und er hat mich eingeladen auf einen Tee im Al-Baqa-Café.“
       
       [1][Ein paar Stunden später geht ein Bild Abu Hamdis um die Welt]: Mit
       blutverschmiertem Hemd sitzt er auf dem Boden des Cafés, der Mund offen,
       umgeben von Trümmern. Hinter ihm ein beschädigter Klapptisch, auf dem Stuhl
       daneben eine leblose Frau. Ihr Körper ist zusammengesunken, ihr Kopf liegt
       auf einem Mauervorsprung. Dahinter rauscht das Mittelmeer.
       
       Ein israelischer Luftangriff – nach Angaben von Al Jazeera durchgeführt von
       der Marine – hat das Café al-Baqa im nördlichen Gazastreifen am Montag
       getroffen. Mindestens 24 Menschen werden dabei getötet, Dutzende weitere
       verletzt.
       
       Das Café, so beschreiben es Augenzeugen, war gut gefüllt: Unter anderem mit
       Vertriebenen, die in der Nähe untergekommen sind – und in dem direkt an der
       Küste gelegenen Café in der Frische der Meeresbrise der Hitze von über 30
       Grad Celsius entkommen wollen. So wie Abu Hamdi, der eigentlich aus dem
       mittlerweile zur Kampfzone erklärten Viertel Shujayya von Gaza-Stadt
       stammt. Es sei ein simples, aber schönes Café gewesen, sagt er. „Es brachte
       Ruhe für Herz und Seele.“
       
       Am Dienstag sitzt er nun im [2][Al-Shifa-Spital in Gaza-Stadt] und erzählt:
       „Die Explosion war so kraftvoll, dass sie mich von meinem Stuhl und eine
       kurze Distanz weitergeschleudert hat. Ich blieb trotzdem bei Bewusstsein.“
       Er habe sich umgesehen und auf die Zerstörung um ihn herum geblickt:
       „Leblose Körper, über den ganzen Ort verteilt“, sagt er, „ich konnte nicht
       weiter hinsehen, es war unerträglich. Dann fiel mir auf, dass ich verletzt
       war, an beiden Beinen. Das eine wurde abgetrennt, das andere beinahe. Ich
       saß einfach da, bis ein Krankentransporter kam“, sagt er.
       
       ## Ins Café fürs Internet
       
       Während er behandelt wird, verbreitet sich das Bild, wie er auf dem Boden
       des Cafés sitzt im Netz. „Es war sehr schwierig für meine Frau und Kinder“,
       sagt er. Sie leben mittlerweile in Kanada und erfahren so vom Schicksal
       ihres Vaters.
       
       Abu Hamdi hat überlebt, wenn auch schwer verletzt. Unter den Opfern sind
       nach Berichten verschiedener Medien einige bekanntere Persönlichkeiten aus
       dem Gazastreifen: Der Fotojournalist Ismail Abu Hatab, der wohl auch für
       ein Projekt des deutschen Goethe-Instituts fotografierte. Oder Malak Musleh
       – jüngste Boxerin im Gazastreifen, [3][schreibt die palästinensische
       Nachrichtenagentur Wafa.] Beide leben nicht mehr. Auch die Journalistin
       Bayan Abu Sultan, der auf X fast 120.000 Menschen folgen, ist unter den
       Betroffenen – sie überlebte verletzt.
       
       Das Café war in Gaza-Stadt bekannt dafür, dass viele Journalistinnen und
       Journalisten, Fotografinnen und Fotografen sowie Influencer, die aus ihrem
       Leben im Krieg im Gazastreifen posten, es aufsuchten. Denn das Internet war
       gut dort. So erzählt es auch Yusra al-Fakhouri. Ihre kleine Schwester
       Kifah, 30 Jahre alt, ist Fotografin. „Sie brauchte Internetzugang, also
       ging sie mit einer Freundin in das Café. Die beiden haben dort zusammen
       gearbeitet.“ Und dann, sagt sie, kam der Luftangriff. Nun steht sie im
       Al-Shifa-Spital, in dem auch Abu Hamdi liegt, neben dem Bett ihrer
       Schwester. Kifah ist erschöpft, eben ist sie operiert worden. Ihr rechtes
       Bein wurde amputiert. Während Yusra erzählt, wimmert sie im Hintergrund vor
       Schmerzen.
       
       „Kifah ist oft dorthin gegangen zum Arbeiten. Die Atmosphäre dort ist
       schön, ruhig. Man kann dort dem konstanten Stress des Krieges für einen
       Moment entfliehen. Als der Luftangriff passierte, saß ich mit meiner Mutter
       zusammen. Jemand hat mich angerufen. Ich hatte sofort ein schlechtes Gefühl
       – als sei etwas Fürchterliches geschehen. Die Person am anderen Ende
       informierte uns: Kifah sei verletzt und liege im Al-Shifa-Krankenhaus auf
       der Intensivstation. Wir rannten zum Krankenhaus. Ich hatte furchtbare
       Angst, dass ich auch sie verlieren würde. Zwei meiner Brüder sind in diesem
       Krieg bereits getötet worden. Einer gleich zu Beginn, der andere vor
       einigen Monaten.“
       
       Die Spitale in Gaza-Stadt können die vielen Verletzten kaum versorgen. Nach
       Angaben des Amts der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer
       Angelegenheiten (OCHA) sind noch elf Krankenhäuser sowie ein Feldspital in
       Gaza-Stadt zumindest teilweise funktionsfähig. Es mangelt aber an allem:
       Medikamenten, medizinischem Gerät und Personal, Strom für die Versorgung,
       Nahrung für die behandelten Verletzten.
       
       ## Angriff ohne Vorwarnung
       
       Auch Mohammed Ghabboun wurde bei dem Luftangriff am Montag auf das Café
       verletzt. Bis jetzt sei er noch nicht richtig behandelt worden, erzählt er.
       „Ich wurde an der Brust getroffen, mein Zustand ist mäßig“, sagt der
       31-Jährige. Gemeinsam mit seiner Schwester Iman habe er das Al-Baqa-Café
       besucht. „Wir haben Saft bestellt, dann – ohne Warnung – schlug auf einmal
       die Rakete ein.“
       
       Er habe das Bewusstsein verloren und sei erst wieder im Krankenhaus
       aufgewacht. „Es hat lange gedauert, bis die Ärzte mich behandeln konnten.“
       Für verschiedene Tests – Röntgen, Blutproben – sei er in verschiedene
       Spitale geschickt worden, wo die entsprechende Infrastruktur verfügbar ist.
       Es gibt schwerere Fälle als den von Mohammed – und die Ärzte entscheiden
       auch wegen der Mangelversorgung nach Schwere der Verletzungen, wer wann
       behandelt werden kann.
       
       Die Schwester, ergänzt Mohammeds älterer Bruder, liege gerade auf dem
       Operationstisch im Al-Shifa-Krankenhaus – immerhin. „Ein Knochen im Bein
       wurde komplett zertrümmert. Die Ärzte setzen ihr Metallteile ein, um es zu
       stabilisieren.“ Die Lage seiner beiden Geschwister, sagt er, sei stabiler
       als die vieler anderer Verletzter. „Ich danke Gott dafür.“
       
       Yusra al-Fakhouri, die wie Mohammads Bruder und viele andere an diesem Tag
       neben ihrer verletzten Schwester Wache hält, sagt: „Es reicht!“ Und: „Womit
       haben wir das verdient?“
       
       Das israelische Militär erklärte nach dem Angriff, man habe „mehrere
       Hamas-Terroristen im nördlichen Gazastreifen angegriffen“. Man untersuche
       den Angriff. Eine Vorwarnung vor dem Angriff gab es nicht, das berichten
       mehrere Zeugen der taz. Auch auf den üblichen Online-Kanälen ist nichts zu
       finden.
       
       Das Café liegt an der Grenze zwischen den beiden Blöcken 663 und 708. Für
       den Block 663 erließ das israelische Militär [4][über seinen
       arabischsprachigen Sprecher Avichay Adraee am 14. Mai eine
       Evakuierungsaufforderung]. Sie wurde seitdem nicht mehr erneuert. Für den
       Block 708 wurde seit dem Ende der temporären Waffenruhe im Gazastreifen
       Ende März nie eine Evakuierungsaufforderung ausgegeben. Und das Café – das
       muss auch dem israelischen Militär bekannt gewesen sein – wurde von vielen
       Zivilistinnen und Zivilisten genutzt.
       
       „Überall um mich herum“, sagt Mohammed, „lagen Leichen – Männer, Frauen,
       Kinder.“
       
       1 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://x.com/HowidyHamza/status/1939687799147425986
 (DIR) [2] /Arzt-ueber-seine-Arbeit-in-Gaza/!5973358
 (DIR) [3] https://x.com/WAFANewsEnglish/status/1939983340230099429
 (DIR) [4] https://x.com/AvichayAdraee/status/1922675041692463360
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lisa Schneider
 (DIR) Malak Tantesh
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
 (DIR) Gaza
 (DIR) Tote
 (DIR) Café
 (DIR) Zivilisten
 (DIR) GNS
 (DIR) Recherchefonds Ausland
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
 (DIR) Israel
 (DIR) Schwerpunkt Konflikt zwischen USA und Iran
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
 (DIR) Nahost-Debatten
 (DIR) Künstler
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Nahost-Konflikt: Regelmäßiger Dialog reicht nicht aus
       
       Die EU mahnt Israel, sieht aber von konkreten Maßnahmen ab. Derweil geht
       die Vertreibung im Westjordanland weiter, und die Not in Gaza spitzt sich
       zu.
       
 (DIR) Gaza-Tagebuch: Tote im Café, am Strand, auf der Straße
       
       Vor dem Fenster unserer Autorin wurde ein gut besuchtes Café von einer
       Bombe getroffen. Es hatte den Menschen eine kurze Auszeit vom Krieg
       geboten.
       
 (DIR) +++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++: Trump rechnet binnen 24 Stunden mit Antwort von Hamas
       
       Die Hamas berät mit Palästinenser-Gruppen über Waffenruhe mit Israel. Auch
       Gespräche zwischen Teheran und Washington bahnen sich an.
       
 (DIR) Israels Pläne für Gaza und die Westbank: Deutschland bleibt Komplize
       
       Von Landraub im Westjordanland und Kriegsverbrechen in Gaza ist die
       Bundesregierung unberührt – und schüttelt weiter die Hände der
       Verantwortlichen.
       
 (DIR) Verhältnis der Deutschen zu Israel: Streit bei „Zeit“ über Löschung der Maxim-Biller-Kolumne
       
       Autor Maxim Biller hat in der „Zeit“ eine scharfe Kolumne über das
       Verhältnis der Deutschen zu Israel veröffentlicht. Die „Zeit“ löschte den
       Text. Wie kam es dazu?
       
 (DIR) Boykotte gegen Israel: Gut gemeint, aber falsch
       
       Künstler:innen rufen weltweit zu Kulturboykotten gegen Israel auf. Damit
       schaden sie demokratischen Bewegungen eher, als sie zu unterstützen.
       
 (DIR) Humanitäre Katastrophe im Gazastreifen: „Es geht hier nicht um Konkurrenz“
       
       In einem offenen Brief fordert unter anderem die Hilfsorganisation Medico
       International die Schließung der Gaza Humanitarian Foundation. Warum?