# taz.de -- Ergebnis des Digitalgipfels: Abhängigkeit ist Mist
       
       > Trotz vieler wahrer Worte ist die Bilanz des europäischen Gipfels in
       > Sachen digitale Souveränität mau. Absehbar ist eine deutliche
       > Deregulierung.
       
 (IMG) Bild: Souverän im Digitalen? Bundeskanzler Friedrich Merz
       
       Das Timing war perfekt. Da trafen sich am Dienstag in Berlin Delegationen
       aus diversen EU-Ländern zum Gipfel über digitale Souveränität. Und über den
       Tag fiel irgendwann auf, dass die Online-Plattform X und der KI-Chatbot
       ChatGPT nicht mehr richtig funktionierten – wegen einer Störung bei
       Cloudflare, einem wichtigen IT-Dienstleister aus den USA. Der Ausfall
       passend zum Gipfel sandte einmal mehr die Botschaft: Eine Abhängigkeit von
       wenigen marktbeherrschenden US-Anbietern ist ein Risiko.
       
       Das weiß anscheinend auch Friedrich Merz. „Digitale Souveränität hat
       Kosten. Aber digitale Abhängigkeit hat noch höhere Kosten“, sagte der
       Bundeskanzler bei seiner Abschlussrede. Und: „Wir machen den Staat zum
       Ankerkunden für souveräne Arbeitsmittel in der öffentlichen Verwaltung.“
       Zwei bemerkenswert klare Bekenntnisse. Die auf bemerkenswerte Art und Weise
       von der Realität konterkariert werden.
       
       Wenn die Abhängigkeit von US-Tech so problematisch ist – warum arbeiten
       dann mehr als 90 Prozent der Beschäftigten in der Verwaltung täglich mit
       Microsoft-Produkten? Und warum hat sich die Bundeswehr dann jüngst gegen
       eine originär europäische, am besten noch Open-Source-Lösung entschieden,
       und für ein Cloudsystem mit Google?
       
       Wenn Merz und sein französischer Kollege Emmanuel Macron, wenn dessen
       Digitalministerin Anne Le Hénanff und ihr deutscher Kollege Karsten
       Wildberger beim Gipfel über den Kern von digitaler Souveränität sprachen,
       dann ging es vor allem um eines: die Wirtschaft. „Innovationsführerschaft
       bei entscheidenden Schlüsseltechnologien“ will Merz. Schon im Vorfeld
       hatten sich die Verantwortlichen bemüht, viele hochkarätige
       Kooperationszusagen einzusammeln. 18 Partnerschaften zwischen europäischen
       Firmen standen am Ende auf dem Zettel, Milliardeninvestitionen sind
       geplant. Aber an zentralen Problem ändert das so schnell nichts.
       
       Zum Beispiel daran, dass US-Behörden auf in Europa liegende Daten zugreifen
       können, wenn ein US-Unternehmen an der Infrastruktur beteiligt ist. Oder an
       der Meinungsmacht einer Plattform wie X, die noch immer wichtig ist für
       politische Debatten. Wer sich als Politiker:in nicht von Musks
       Algorithmen, die populistische und rechte Inhalte bevorzugen, treiben
       lassen will, braucht eine gute kognitive Resilienz.
       
       Aber eine europäische Plattform auf den Weg zu bringen,
       gemeinwohlorientiert mit transparenten Algorithmen auf Basis offener
       Standards? Nein, so weit geht das Verständnis von digitaler Souveränität
       offensichtlich nicht.
       
       Und ob die Ankündigungen und Vorhaben ausreichen, die europäischen
       Verwaltungen, Firmen und Nutzer:innen in naher Zukunft zumindest
       weitgehend unabhängig zu machen von US-Tech-Anbietern? Eher
       unwahrscheinlich. Auch deshalb, weil die deutsche und französische
       Regierung schon im Vorfeld bei der EU-Kommission für weniger Regeln im
       Digitalbereich lobbyiert haben – in der Hoffnung, dass dann mehr Innovation
       entsteht.
       
       ## Momentum für Souveränität
       
       Und so stellt die Kommission just am Tag nach dem Gipfel ein Paket vor,
       dass genau diesem Ansinnen nachkommt. Und wer profitiert primär davon, wenn
       es weniger und weniger strenge Regeln gibt? Big Tech made in USA.
       
       Dabei wäre jetzt das Momentum da, um Europas digitale Souveränität
       voranzubringen. Nicht im Sinne eines Ausschlusses von US-Anbietern, es gibt
       ja durchaus Bereiche, in denen die ganz Großen ihre Berechtigung haben. So
       kann etwa der Messaging-Anbieter Signal nachvollziehbar argumentieren,
       warum er auf Amazons Cloud-Dienst AWS setzt. Kurzform: riesige Datenmengen,
       die mit möglichst geringer Verzögerung übertragen werden müssen, zum
       Beispiel bei Videotelefonie, kombiniert mit starker Verschlüsselung –
       US-Behörden hätten hier also ohnehin nichts zu holen.
       
       Aber die wenigsten Unternehmen und Behörden in Europa haben diese
       Anforderungen. Die meisten wären mit einem lokalen Cloud-Anbieter prima
       beraten.
       
       Gut möglich also, dass folgendes passiert: In Behörden starten ein paar
       mehr Pilotprojekte mit Open-Source-Software. Ein paar Firmen probieren
       europäische Lösungen aus. Es fließen Milliarden in den Bau von
       Rechenzentren in Europa und in Künstliche Intelligenz. Alles Dinge
       übrigens, die man auch schon vor Jahren hätte auf den Weg bringen können.
       
       Aber in drei Jahren, wenn Trump (hoffentlich) das Weiße Haus verlässt,
       liegen die Prioritäten hierzulande ganz schnell wieder woanders.
       US-Behörden können dann immer noch auf Daten europäischer Nutzer:innen
       zugreifen. Big-Tech-Konzerne können immer noch freihändig ihre Preispolitik
       gestalten und wer hierzulande Kunde ist, zieht halt notgedrungen mit. Es
       wird immer noch genauso intransparent sein, wie viel Geld die öffentliche
       Hand an Microsoft zahlt.
       
       Digitale Souveränität?
       
       War da was?
       
       20 Nov 2025
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Svenja Bergt
       
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