# taz.de -- Bündnis 90 – Die Grünen: Generation Habeck?!
       
       > Linker werden oder mittiger werden oder gar die Grünen neu gründen?
       > Gegenvorschlag: Das besser machen, was Robert Habeck begründet hat.
       
       Weil ein Radweg von seinem Wohnort nach Flensburg fehlt, fährt der
       parteilose Schriftsteller und Hausmann Robert Habeck im Jahr 2002 zu einem
       Mitgliederabend von Bündnis 90/Die Grünen – und kehrt als Kreisvorsitzender
       zurück. Damit könnte beginnen, was ich hier „Generation Habeck“ nennen
       werde, eine kulturelle Bewegung des Einmischens und Machens über
       Parteipolitik, die das 68er-Denken und seine Dagegen- und Demokultur
       ablöst, das Politikverständnis von Teilen der Bundesdeutschen verändert und
       Habeck zwei Jahrzehnte später in das Amt des Vizekanzlers führt.
       
       Statt Adornos bequem resignativ interpretierten Diktum, es gebe kein
       richtiges Leben im Falschen, steht die zuversichtliche, aber auch fordernde
       Parole: Wir schaffen es. Wenn wir es schaffen. Mit dem [1][Ausscheiden
       Habecks aus dem Bundestag] am 1. September dieses Jahres ist auch die
       Generation Habeck am Ende. Oder nicht?
       
       Zunächst eine Begriffsklärung: Generation Habeck meint auch eine
       Altersteilkohorte der 45- bis 65-Jährigen, die von den Errungenschaften
       bundesrepublikanischer Politik und Kultur sehr profitiert hat, von
       Adenauer, Brandt und Kohl wie von 1968 ff., und die nun an vielen
       Schaltstellen sitzt. Sie sind nicht Kinder von Nazis, sondern Enkel und
       Großenkel. Die [2][RAF] lief für sie allenfalls im Kino. Vor allem aber
       meint Generation Habeck eine kulturelle, politische und intellektuelle
       Neuorientierung der klassischen Linksliberalen und Grünen-Wähler aus der
       neuen Mittelschicht.
       
       Nach einer Phase pseudolinken Denkonservatismus’ nach 2005 war das eine
       späte, vielleicht zu späte Volte von Leuten, die dann schon über 40 waren.
       Die Verpflichtung dieser Politikschule besteht nicht den eigenen Ideologien
       und Idiosynkrasien gegenüber, sondern den Krisen der Gegenwart. Nicht
       gegenüber den Göttern des Universalismus, sondern den Bürgern der
       Bundesrepublik und der EU. Mit seinem Frühwerk „[3][Patriotismus. Ein
       linkes Plädoyer]“ hatte Habeck schon 2010 seine Generation für das Zentrum
       der Gesellschaft verpflichtet.
       
       ## Wie die Ampel, nur schlechter
       
       Dass diese Verpflichtung beim zweiten Regieren der Grünen zu wenig
       eingelöst wurde, ist unbestreitbar. So ist es umso wichtiger, die
       systemischen Gründe in Partei, Koalition und Mediengesellschaft zu benennen
       und zu beheben. Es scheint ja so zu sein, dass [4][die derzeitige
       Bundesregierung] trotz deutlich verbesserter Startbedingungen (Reform der
       Schuldenbremse und Sondervermögen) so etwas wie die zweite Staffel der
       Ampel-Regierung wird, letztlich ein ähnlicher Plot, nur schlechter.
       
       Dies könnte weniger eine Frage der ideologischen Ausrichtung sein, sondern
       der systemischen Infrastruktur, dazu gehören zuvorderst die Zielkonflikte
       von unterschiedlichen Systemen: Die Koalition muss Kompromisse schließen.
       Die einzelnen Koalitionäre werden aber nicht an der Qualität des
       Kompromisses gemessen, sondern an der Entfernung zum ihnen zugeschriebenen
       Parteikern.
       
       [5][Der Kanzlerkandidat] war nicht nur der Kandidat der Grünen, sondern
       einer gesellschaftlichen Kultur, die die klassischen Kulturen und die
       Zuständigkeitszuschreibungen aller Parteien als nicht in der Lage erkannt
       hat, den Epochenbruch zu meistern. [6][Die krachende Wahlniederlage
       Habecks] war eine Niederlage für diese Kultur und den Willen, es [7][von
       hier an anders] zu machen. Es war eine krachende Niederlage für die
       Generation Habeck, weshalb vor dem Bundesparteitag in Hannover
       verständlicherweise bei manchen das Gefühl stärker wird, doch besser wieder
       die alten Grünen zu werden, also irgendwas mit links und öko und den
       Bewegungen.
       
       Oder gar eine dritte Neugründung anzustreben, nach 1980 und 1993, dem
       Zusammenschluss mit Bündnis 90. Die alten Grünen sind indes ein erledigter
       Fall. Das Problem ist nicht, dass sie sich geändert haben, sondern dass es
       viel zu lange gedauert hat. Zum Ende von Rot-Grün 2005 wurde die
       Geschichte, die wir uns darüber erzählten, wie die Welt sei, schon von
       einer anderen Realität gegendargestellt.
       
       ## Erreichtes sichern, Kaputtes reparieren
       
       Wir Deutsche merkten es nicht und die Grünen fielen mit Jürgen Trittin und
       Katrin Göring-Eckardt in ein politisches, kulturelles und strategisches
       Koma und beharrten auf der rot-grünen Regierungskultur des Dafür- und
       Dagegen-Seins, der albernen Pose des verbeamteten
       Anti-Establishment-Rebellen. Das ist ein Vorwurf, den ich mir selbst auch
       machen muss.
       
       Dass und wie Winfried Kretschmann aus der Mitte und mit der Mitte der
       Gesellschaft Baden-Württemberg regiert, etikettierte man nicht als
       evolutionären Fortschritt, sondern als bizarren Sonderfall oder
       ideologische Verfehlung. Sein Berliner Mitdenker Cem Özdemir galt als
       Parteiproblembär. Erst [8][als Robert Habeck 2018 Bundesvorsitzender
       wurde], änderten sich Stil, Sprechen, Anspruch und das Verständnis der
       eigenen Identität.
       
       Das zog Menschen an, die sich in der grünen Funktionärs-Sprache, der
       Checkerpose, der Hermetik, der 1968-Erbverwaltung und den als exklusiv
       empfundenen Themen ungenügend wiederfanden, aber von Habeck gemeint
       fühlten. Während die Rechten klassisch die nationale Frage und die Linken
       klassisch die soziale Frage beschwören, ist die Generation Habeck geprägt
       von einem neuen positiv-kritischen Verständnis der Bundesrepublik und
       davon, dass die soziale Frage nicht nur mit der wirtschaftlichen, sondern
       der europäischen und planetarischen verknüpft werden muss.
       
       Dass man dafür Macht und Ämter anstreben muss und nicht den anderen
       überlassen darf, versteht sich von selbst. Es gehe ihr nicht um Umsturz,
       sagte die Schriftstellerin Juli Zeh mal, sondern darum, die
       Errungenschaften der Bundesrepublik zu verteidigen. Auch dieses Denken ist
       Teil der Generation Habeck, die längst nicht nur aus Grünen-Wählern
       besteht. Es geht jetzt darum, die erreichten Fortschritte zu sichern und
       dafür das Kaputte zu reparieren, um auf dieser Basis – vielleicht – doch
       noch einmal ausgreifen zu können.
       
       ## Erster Schritt in die richtige Richtung
       
       Es braucht den Pragmatismus der Generation Habeck, um nicht nur verstehen,
       sondern auch akzeptieren zu können, dass progressive Fortschritte
       konservative Mehrheiten brauchen. Die Worte des scheidenden Vizekanzlers:
       „[9][Das Angebot war top, die Nachfrage nicht so dolle]“, wurden teilweise
       verhöhnt. Aber was, wenn es stimmt? Wenn der Ansatz der Generation Habeck
       richtig ist, aber im Moment antizyklisch.
       
       Weil die aktuelle Mode die digital getriebene Polarisierung ist, stark
       rechtspopulistisch und auch etwas linkspopulistisch, beides angenehm
       komplexitätsauflösend, mit den Parolen, die Linken und Grünen
       beziehungsweise die Rechten und Reichen seien schuld. Es kann doch sein,
       dass der andere Stil und dass die Einsicht in Bündnispolitik der erste
       Schritt sind, um voranzukommen, und man nur auf dieser Grundlage die
       systemischen Probleme und dann die politischen Fragen lösen kann.
       
       Jetzt kann man sagen, das mit dieser Generation sei doch empirisch gar
       nicht nachgewiesen. Stimmt, aber mit Habeck wuchsen sogar die Bundes-Grünen
       zwischenzeitlich zur führenden politischen Kraft. In seinen
       Krisen-Ansprachen an die Nation fand sich ein breites Spektrum von Leuten
       wieder. Es gibt bei den Grünen mittlerweile viele, die ich zur Generation
       Habeck rechnen würde: Cem Özdemir, Mona Neubaur, Danyal Bayaz, Ricarda
       Lang, Franziska Schubert, Franziska Brantner, Anke Erdmann oder Belit Oney.
       
       Es gehören Intellektuelle, Unternehmer, Künstler, Wissenschaftler dazu. Als
       es im Wahlkampf 2025 schon abwärts mit den Grünen ging, traten noch
       Zehntausende in die Partei ein. Man muss davon ausgehen, dass sie
       tendenziell in die Generation Habeck eintraten. Und nach der Wahl baten ihn
       [10][per Petition] fast eine halbe Million Leute, in der Spitzenpolitik zu
       bleiben. Mit Robert Habeck im dänischen Exil sind die potenziellen
       Alliierten derzeit ohne den Magneten, der sie zusammenzieht und zu einer
       starken Kraft macht.
       
       ## Bündnisse der Verschiedenen
       
       Die Gefahr ist da, dass sie sich zerstreuen. Selbstverständlich gibt es
       auch großes Interesse, die Generation Habeck, eine progressiv-konservative
       Allianz einer starken Mitte, für immer zu verhindern. Selbstverständlich
       kommen Jüngere und wollen die Posten und Rollen übernehmen. In dem Kontext
       ist die frühere Bundesvorsitzende Ricarda Lang, 31, besonders interessant,
       weil sie ja offensichtlich die nächste Alterskohorte personifiziert.
       
       Lang hat sich nach der Wahl vordergründig schnell von Habeck distanziert
       und so getan, als müsse das jetzt ganz anders werden, linker,
       kompromissloser und so weiter. Aber wenn man genau zuhört, dann merkt man,
       dass sie die gleichen grundsätzlich-systemischen Fragen umtreiben wie
       Habeck. Dass sie nach Diskursräumen sucht, in denen sich die Verschiedenen
       nicht abschotten, sondern treffen. Im taz FUTUR ZWEI-Gespräch in der taz
       Kantine vor wenigen Tagen zählte auch sie, Jahrgang 1994, sich zur
       Generation Habeck.
       
       Lukas Beckmann, Gründer der Grünen, sagt, dass Habeck einen anderen Stil
       geprägt habe, der auch Leute anzog, die keine Grünen sein wollen, dass aber
       seine Politik nicht auf der notwendigen anderen Höhe war. Warum nicht?
       Habeck selbst ist gerade auf der Suche nach dem fehlenden Glied. Die
       systemischen Ursachen sind offensichtlich. Stand jetzt, weiß aber niemand
       zu sagen, wie man sie beheben kann, um überhaupt erst in die Lage zu
       kommen, Bündnisse der Verschiedenen für gemeinsame Ziele in einer Koalition
       politisch bearbeiten zu können.
       
       Es ist die Aufgabe der Generation Habeck, nach dem ersten Schritt nun auch
       den zweiten und dritten hinzubekommen. Sonst wird es keine
       bundesrepublikanische Zukunftspolitik geben können.
       
       30 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Robert-Habeck-tritt-zurueck/!6106347
 (DIR) [2] /Rote-Armee-Fraktion-/-RAF/!t5012171
 (DIR) [3] /Gruene-und-Patriotismus/!5739298
 (DIR) [4] /Schwarz-rote-Koalition/!t5008480
 (DIR) [5] /Kanzlerkandidatur-von-Robert-Habeck/!6020573
 (DIR) [6] /Die-Gruenen-nach-der-Bundestagswahl/!6068460
 (DIR) [7] https://www.kiwi-verlag.de/buch/robert-habeck-von-hier-an-anders-9783462002898
 (DIR) [8] /Bewerbungen-um-Gruenen-Vorsitz/!5469241
 (DIR) [9] https://www.youtube.com/watch?v=cUHsfzpCf94
 (DIR) [10] https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Habeck-bleibt-in-Berlin-Unterstuetzer-sammeln-ueber-425000-Unterschriften,habeck1376.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Unfried
       
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