# taz.de -- Aufnahmeprogramm für Afghan*innen: Im Stich gelassen
       
       > Seit Monaten warten 3.000 afghanische Menschenrechtler*innen in
       > Pakistan auf die Weiterreise nach Deutschland. Ihnen droht nun sogar die
       > Abschiebung.
       
 (IMG) Bild: Beamte in Karatschi (Pakistan) verhören im November 2023 afghanische Geflüchtete
       
       München taz | Die Stadt wird für Maryam* jeden Tag mehr zum Gefängnis. „Es
       ist schrecklich und wir können nichts tun. Die Straßen sind voller
       Polizei“, berichtet sie in einer Sprachnachricht aus Islamabad. Ihre Stimme
       klingt ängstlich. Wohnviertel, in denen viele Afghan*innen leben, werden
       von der Polizei durchkämmt, Wohnungen durchsucht.
       
       Maryam hat eine Aufnahmezusage des [1][Bundesaufnahmeprogramms für
       Afghanistan (BAP)]. Wie mehr als 3.000 andere Afghan*innen in der
       pakistanischen Hauptstadt wartet sie auf ein Visum für Deutschland. An das
       BAP können sich Menschen wenden, die nicht [2][als Ortskräfte] für die
       Bundeswehr oder deutsche Hilfsorganisationen in Afghanistan tätig waren,
       aber von den Taliban bedroht werden: Es sind Menschenrechtsaktivist*innen,
       Frauenrechtler*innen, Journalist*innen oder Mitarbeiter*innen der
       vorhergehenden Regierung.
       
       Ihre Angst vor einer Abschiebung ins Taliban-Regime wächst nun. Seit Anfang
       dieses Jahres führt die pakistanische Polizei systematisch Razzien durch,
       verhaftet Afghan*innen ohne gültiges Visum und bringt sie an die
       afghanische Grenze.
       
       Die Wartenden haben, während sie noch in Afghanistan waren, eine
       langwierige Überprüfung durch deutsche Behörden durchlaufen. Erst danach
       wurden sie als besonders gefährdete Personen anerkannt und haben eine
       Aufnahmezusage für das BAP bekommen.
       
       ## 12.000 US-Dollar für Pässe und Visa in Pakistan
       
       Die Aufnahmezusage war für sie zunächst ein Lichtblick, die Erlösung aus
       Angst und Ungewissheit. Viele hatten sich monatelang in Afghanistan
       versteckt, um Verhaftungen zu entgehen. Doch das BAP zwang sie, trotz aller
       Gefahr, im Land zu bleiben. Denn nur solange sie noch in Afghanistan waren,
       konnten sie eine Aufnahmezusage bekommen.
       
       Da Deutschland in Afghanistan aber keine funktionierende Botschaft hat,
       wird das Visum erst nach einer weiteren Überprüfung im Nachbarland Pakistan
       ausgestellt. „Wir mussten Pässe und Visa für Pakistan besorgen“, erzählt
       Wali. Beides ist teuer: 12.000 US-Dollar zahlte er, verkaufte seinen
       gesamten Besitz, um die Dokumente für sich, seine Frau und ihre drei
       Töchter zu finanzieren. Seit fast zehn Monaten wartet die Familie in einem
       Gästehaus, das die Bundesregierung [3][über die Gesellschaft für
       Internationale Zusammenarbeit (GIZ)] bezahlt.
       
       Die GIZ übernimmt Unterkunft und Verpflegung, doch alle anderen Kosten
       tragen die Wartenden selbst – auch die Gebühren für die Visaverlängerung.
       Denn die Einreisevisa für Pakistan laufen nach spätestens sechs Monaten ab,
       die Verlängerung kostet umgerechnet bis zu 100 Euro pro Person. „Wie soll
       ich das bezahlen?“, seufzt Wali. Viele Familien können sich nur noch ein
       gültiges Visum leisten.
       
       Bis Ende 2024 war das kein großes Problem. Aber seit dem Jahreswechsel, hat
       Pakistan die Daumenschrauben anzogen. Stadtviertel und Häuser in Islamabad
       und im benachbarten Rawalpindi werden systematisch durchsucht.
       Afghan*innen ohne gültiges Visum werden festgenommen und abgeschoben.
       Wer ohne Papiere angetroffen wird, bekommt an der Grenze den pakistanischen
       Ausreisestempel in die flache Hand gedrückt.
       
       Besonders hart trifft es Geflüchtete ohne Aufnahmezusage für ein westliches
       Land. Die Polizei durchsucht aber auch Gästehäuser der GIZ und hat in sechs
       Fällen Afghan*innen aus dem BAP verhaftet und abgeschoben (siehe
       Infokasten). Anderen wurde gesagt, sie müssten innerhalb von 15 Tagen ein
       gültiges Visum vorlegen. Das ist unmöglich, denn die Bearbeitungszeit für
       die Verlängerung ist 30 Tage. Zugleich wurde die Gültigkeit der
       Verlängerung auf 30 Tage verkürzt.
       
       ## Ein reißerischer Artikel im Cicero verzögerte das Programm
       
       Kein Zweifel: Pakistans Regierung will die Afghan*innen loswerden.
       Bereits im November 2023 gab es eine große Abschiebungskampagne. Dem
       UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zufolge wurden damals 30.000 Menschen
       deportiert. Damals blieben Afghan*innen im BAP verschont. Das ist jetzt
       anders.
       
       Das lange Warten auf die Ausreise nach Deutschland zermürbt. Es gibt keine
       Schule für die Kinder, keine Arbeitserlaubnis. Viele Betroffene entwickeln
       Depressionen. Wali schläft kaum noch. Anfang März 2023 erschien im rechten
       Magazin Cicero der reißerische Artikel „Bundesregierung holt
       Scharia-Richter nach Deutschland“. Die darin enthaltenen Vorwürfe wurden
       später entkräftet. Auch war verschwiegen worden, dass alle Jurist*innen
       in Afghanistan auch im vorherigen Regime einige Semester Scharia studieren
       mussten, weil das afghanische Familienrecht in Teilen darauf beruhte.
       
       Dennoch stoppte die Bundesregierung das BAP zunächst für einige Monate und
       führte zusätzliche Sicherheitsüberprüfungen in der Botschaft in Islamabad
       ein. Seitdem müssen sich alle Familienmitglieder ab 16 Jahren einzeln
       Interviews unterziehen, was das Programm massiv verzögert.
       
       Diese Interviews sind ein zweischneidiges Schwert: Sie werden von den
       wartenden Afghan*innen herbeigesehnt, weil sie die Voraussetzung sind,
       um irgendwann ein Visum für Deutschland zu bekommen. Doch sie werden auch
       gefürchtet, denn vielen Afghan*innen wurde nach dem Interview die
       Aufnahmezusage wieder entzogen – ohne konkrete Begründung.
       
       Bundespolizisten stellen dort Fragen, die oft willkürlich wirken und unklar
       bleibt, wie sie der Sicherheit Deutschlands dienen. Ein afghanischer
       Jugendlicher berichtet, dass er gefragt wurde, ob er eine israelische Frau
       heiraten würde. Eine junge Frau musste sagen, wie ihre Eltern reagieren
       würden, wenn sie lesbisch wäre. Und eine ehemalige Ortskraft des deutschen
       Camps Marmal in Masar-i-Scharif wurde gefragt, ob er bereit wäre, seine
       Religion zu wechseln.
       
       ## Die Panik geht um
       
       Wer die Aufnahmezusage verliert, muss das GIZ-Gästehaus verlassen und ist
       auf sich allein gestellt. Aus Angst vor den Taliban wagen viele nicht, nach
       Afghanistan zurückzukehren. Manchen bleibt jedoch keine andere Wahl: Sie
       dürfen in Pakistan nicht arbeiten und können das Leben dort nicht
       finanzieren.
       
       Hamid, dem das passiert ist, sagte: „Es wäre besser gewesen, wir hätten nie
       eine Aufnahmezusage bekommen. Wir haben nichts mehr in Afghanistan. Warum
       holen uns die Deutschen zuerst hierher und lassen uns dann fallen?“ Jeder
       dieser Fälle erzeugt Panik in den Gästehäusern der GIZ. Denn alle fragen
       sich: „Sind wir die nächsten?“
       
       Seit Anfang Dezember wurden keine Afghan*innen mehr per Charter nach
       Deutschland geflogen. Auch vorher hatte es nur selten Flüge gegeben. Zu der
       Sorge, aus dem Programm geworfen zu werden und der Frage, ob das Programm
       nach der Bundestagswahl überhaupt weitergeführt wird, kommt seit dem
       Jahreswechsel die Angst, von der pakistanischen Polizei festgenommen und
       abgeschoben zu werden.
       
       „Ich bin so nervös, ich habe solche Angst vor der Polizei!“, sagt Aziza.
       „Tun die deutschen Behörden irgendetwas für uns?“ Aus Angst vor
       Verhaftungen verlassen die Afghan*innen ihre Unterkünfte nicht mehr. Sie
       erwarten Hilfe von der deutschen Botschaft, aber es gibt keine direkte
       Kommunikation.
       
       Von der GIZ kommen nur unverbindliche E-Mails. Darin heißt es lapidar, dass
       sich die Afghan*innen selber um die Verlängerung der Visa für Pakistan
       kümmern müssen. Die GIZ hilft dabei nicht. Die Nachrichten enden stets mit
       der Floskel: „Wir bitten Sie um Geduld.“
       
       Inzwischen beruhigt dieser Satz die Afghan*innen nicht mehr. Er lässt
       ihre Angst nur noch größer werden, denn sie lesen ihn so: „Die GIZ tut
       nicht für uns, Deutschland lässt uns im Stich.“
       
       * Die Namen aller Afghan*innen wurden zu ihrem Schutz geändert.
       
       12 Jan 2025
       
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