# taz.de -- Massenprotest in Moskau: Die Menschen kamen trotzdem
       
       > In Moskau haben mehrere Tausend Menschen gegen den russischen Präsidenten
       > Putin demonstriert. Mehrere Oppositionsführer wurden kurz davor von
       > Behörden vorgeladen.
       
 (IMG) Bild: „Russland geht vorwärts ohne Putin“: Demonstration in Moskau.
       
       MOSKAU taz | Brütende Hitze und wasserfallartige Regenschauer konnten die
       Moskauer am Dienstag nicht vom Demonstrieren abhalten. Zwischen 50.000 und
       100.000 Menschen nahmen an einem Protestmarsch vom Puschkin-Platz bis zum
       Sacharow-Prospekt in der Moskauer Innenstadt teil. Mit so viel Zulauf
       hatten selbst die Veranstalter des Organisationskomitees nicht gerechnet.
       
       Am 12. Juni feiert Russland sich selbst, es ist der Tag der Unabhängigkeit
       von der Sowjetunion. So lautete das Motto „Russlands Tag. Ohne Putin“. Den
       zweiten „Marsch der Millionen“, der erste fand im Mai statt, begleitete ein
       unüberschaubares Aufgebaut von Polizei und Einheiten des Innenministeriums,
       die in Nebenstraßen schweres Gerät aufgefahren hatten. Die Polizei trug
       anlässlich des Feiertages weiße Oberhemden. Ein wohl unbeabsichtigter
       Schulterschluss mit den Demonstranten, die Weiß zur Farbe des Protestes
       erkoren. Dennoch trug das Meer aus Weiß zur Entspannung bei.
       
       Am Vorabend befürchteten Beobachter noch, es könnte auf dem Marsch zu
       gewaltsamen Auseinandersetzungen kommen. Denn die Ermittlungsbehörden
       hatten am Vortag bei einigen Oppositionellen Hausdurchsuchungen abgehalten
       und damit die Proteststimmung noch zusätzlich angeheizt. Erst am Sonnabend
       unterzeichnete Präsident Wladimir Putin ein Gesetz, das die
       Versammlungsfreiheit drastisch einschränkt und Demonstranten mit
       drakonischen Geldstrafen droht.
       
       All das hielt die Menschen aber nicht von der Teilnahme ab. Es hätte wohl
       eher das Gegenteil bewirkt, meinte der Moskauer Politologe Alexei Makarkin.
       Die skandalöse Einschränkung des Versammlungsrechtes hält er für den
       entscheidenden Grund, warum so viele Menschen nicht auf die Datscha fuhren,
       sondern auf die Straße gingen.
       
       Im Unterschied zur Großdemonstration im Mai – am Vorabend der
       Inthronisierung Wladimir Putins – waren diesmal die gemäßigteren Kräfte
       wieder stärker vertreten als die radikalen Organisationen vom linken und
       rechten Spektrum. Anders als bei den ersten Protestkundgebungen gegen die
       Wahlfälschungen zeigten die Mitwirkenden diesmal aber keine Euphorie.
       
       ## Demonstrieren ist harte Arbeit
       
       Die Begeisterung, sich zu engagieren, ist verflogen, ebenso die Hoffnung
       auf einen baldigen Kompromiss mit den Machthabern. Die Masse hat sich
       darauf eingestellt, dass das Demonstrieren inzwischen harter Arbeit
       gleicht. Der Spaßfaktor, der sich in der Kreativität der Demonstranten
       zeigte, ihren Plakaten und Maskeraden, ist fast verschwunden.
       
       Auch die Ungewissheit, wie die Staatsmacht reagiert, bleibt ein
       bedrückender Faktor. „Wladimir Putin und seine Entourage haben den Bezug
       zur Realität verloren, sie verkriechen sich im Kreml und schaffen sich ihre
       eigene Realität“, meinte ein Teilnehmer.
       
       Zu dieser Wahrnehmung passt nicht, dass das Protestpotenzial seit einem
       halben Jahr stetig wächst und neue soziale Gruppen dazustoßen. Der
       Widerstand bröckelt nicht, stattdessen sucht er sich neue
       Betätigungsfelder. Am Rande wurden Unterschriften für ein Referendum zur
       Wiedereinführung der Wahl des Moskauer Bürgermeisters gesammelt.
       
       ## Keine Menschen vom Schlage Putins
       
       Der massenhafte Zuspruch widerlegt auch das Kalkül des Kremls: Die
       Machthabenden glaubten, durch die Vorladungen der Oppositionsführer am
       Dienstag vor die Ermittlungsbehörden auch die anderen Teilnehmer zu
       entmutigen. Die Menschen kamen trotzdem. Sie sind keine Sowjetbürger mehr,
       keine Menschen vom Schlage Putins, die sich ohne Erlaubnis nicht aus dem
       Haus trauen.
       
       Am Ende der Protestkundgebung verabschiedete die Menge ein Manifest, das
       den Rücktritt Wladimir Putins fordert, Neuwahlen und eine
       Verfassungsänderung verlangt, die die Amtszeit des Präsidenten beschränkt.
       
       12 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus-Helge Donath
       
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