# taz.de -- Pressefreiheit in der Türkei: Mit Hoffnung auf Besserung
       
       > Zwei prominente Journalisten sind in Istanbul aus der Untersuchungshaft
       > entlassen worden. Ihnen wurde vorgeworfen, Teil einer Verschwörung zu
       > sein.
       
 (IMG) Bild: Ahmet Sik bei seiner Freilassung.
       
       ISTANBUL taz | In der Türkei kommt Hoffnung auf, dass die Hatz auf
       Journalisten und Publizisten langsam zu Ende gehen könnte. Anfang dieser
       Woche waren nach insgesamt 375 Tagen Haft mit Ahmet Sik und Nedim Sener
       zwei Ikonen des türkischen Journalismus aus der Haft entlassen worden. Nach
       etlichen Verhandlungstagen sah der Richter angeblich keine Substanz mehr in
       dem Vorwurf, die beiden seien Unterstützer einer terroristischen
       Vereinigung.
       
       Herrschte darüber in der türkischen Öffentlichkeit zunächst ungetrübte
       Freude, werden jetzt immer lauter kritische Fragen gestellt. „Warum hatte
       das Gericht diese Erkenntnis nicht sehr viel früher“, fragte der Kolumnist
       Mehmet Ali Birand in Posta, „jetzt werden die beiden lediglich mit einem
       ’Sorry‘ wieder nach Hause geschickt, obwohl sie ein Jahr ihres Lebens zu
       Unrecht im Gefängnis verbringen mussten.“
       
       Die überlangen Zeiten in Untersuchungshaft sind ein Punkt, der immer wieder
       kritisiert wird; der andere sind die Verhaftungswellen der letzten Jahre
       insgesamt. „Kommt jetzt ein Ende des konservativen McCarthyismus in der
       Türkei?“, fragt heute der durchaus regierungsfreundliche Kolumnist Mustafa
       Akyol in der Daily News.
       
       Rund 100 Journalisten sitzen derzeit immer noch in türkischen Gefängnissen,
       die meisten wie zuvor Sik und Sener ebenfalls in Untersuchungshaft und
       warten auf einen Prozess. Fast alle wurden im Zusammenhang mit zwei
       Großverfahren festgenommen, die die politische Justiz der Türkei seit
       Jahren prägen.
       
       ## Sonderstaatsanwaltschaften
       
       Entweder ihnen wird wie Ahmet Sik und Nedim Sener vorgeworfen, sie hätten
       die „kemalistischen Putschisten“ im Ergenekon-Untersuchungsverfahren
       unterstützt, oder sie seien Sympathisanten des zivilen Arms der kurdischen
       PKK. Beide Verfahren werden von Sonderstaatsanwaltschaften betrieben, denen
       große Sondereinheiten der politischen Polizei angegliedert sind. Verhandelt
       wird vor Sondergerichten, die die Prozesse verschleppen statt zu Urteilen
       zu kommen. Dieser 2007 eingeführte Apparat wird inzwischen auch von der
       Regierung selbst als Bedrohung empfunden.
       
       Nach Ansicht von Kritikern ist diese politische Justiz und die ihr
       unterstellte Polizei unterwandert von Mitgliedern der einflussreichsten
       islamischen Sekte der Türkei, der Gülen-Bewegung. Ahmet Sik landete im
       Knast, weil er genau darüber ein Buch publizieren wollte. Für die Regierung
       war das lange kein Problem, weil die „neue Justiz“ sich ja gegen ihre
       Kritiker wandte. Doch schon im letzten Jahr geriet die Regierung Erdogan
       angesichts der Massenverhaftungen von Journalisten international immer mehr
       unter Druck. Nicht nur die EU, auch die US-Regierung stellte die
       demokratische Entwicklung der Türkei zunehmend infrage.
       
       Als Istanbuler Sonderstaatsanwälte dann letzten Monat auch noch den Chef
       des türkischen Geheimdienstes MIT, Hakan Fidan, einen engen Vertrauten des
       Ministerpräsidenten, verhaften wollten, weil er geheime Friedensgespräche
       mit der PKK geführt haben soll, platzte Erdogan der Kragen. Der zuständige
       Staatsanwalt wurde strafversetzt und 2/3 der Istanbuler Antiterrorpolizei
       aufgelöst. Die meisten Kommentatoren sehen die Freilassung von Sik und
       Sener deshalb als eine Folge der veränderten Haltung der Regierung gegen
       die politische Justiz der Gülen-Bewegung. „Es sitzen noch Hunderte in
       U-Haft, die nach europäischen Standards längst frei sein müssten“, schreibt
       Akyol. „Mein Gefühl ist, dass jetzt eine Ära von mehr Freiheit und weniger
       Paranoia beginnt.“
       
       14 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Pressefreiheit
       
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