# taz.de -- Russlands Wirtschaft: Fachkräftemangel und Rassismus
> Wegen fehlender Arbeitskräfte bräuchte Russland Zuwanderung von Menschen
> aus dem Ausland. Doch es gibt vermehrt rassistisch motivierte Gewalt.
(IMG) Bild: Russland braucht Zugewanderte für die Wirtschaft, stattdessen machen Behörden Jagd auf sie
Immer mehr rassistisch motivierte Gewalt und ausländerfeindliche Aktionen
in Russland werden öffentlich. Das gefährde auch die Wirtschaft, warnen
Unternehmer. Zuletzt war am 16. Dezember im Moskauer Umland ein
Viertklässler, der mit seiner in Moskau als Reinigungskraft arbeitenden
Mutter aus Tadschikistan gekommen war, von einem 15 Jahre alten Neonazi in
seiner Schule ermordet worden.
In der fernöstlichen Stadt Chabarowsk zeigten Busreisende einen aus
Zentralasien stammenden Fahrer der Linie 107 an, weil er seinen
Gebetsteppich herausholte und betete. Es gab einen gewaltigen Shitstorm auf
russischen Internetkanälen. Aber der Fahrer hatte ganz offiziell eine
Pause. Immer mehr Zugereiste werden während solcher öffentlichen Gebete
Opfer von Gewalt.
Wie in den USA die „ICE“-Sonderpolizei hemmungslos nach Eingewanderten
sucht, machen auch russische Sicherheitskräfte unverhohlen Jagd auf
Zugewanderte – zumeist aus den moslemischen Nachfolgerepubliken der
Sowjetunion in Zentralasien. Eine hochrangige Vertreterin des
Innenministeriums forderte die „Aufhellung“ der Region Moskau, damit sie
nicht „zu dunkel wird“.
Menschen aus Zentralasien werden vor allem in russischen Großstädten als
„Schwarze“ betitelt, was eine Beleidigung sein soll. Dabei sind auf dem
Bau, in der Müllabfuhr, in Taxis und Bussen fast nur noch Menschen aus
Zentralasien, und in vielen Läden und Gaststätten immer mehr Menschen von
dort beschäftigt.
## Wirtschaft braucht Arbeitskräfte
Die russische Wirtschaft braucht dringend Arbeitskräfte und muss laut Iwan
Nikiforow, Leiter eines russischen demografischen Forschungszentrums,
„mindestens drei Millionen weitere Wanderarbeiter anziehen“, um ihre
Arbeitslücke zu schließen.
Diese wurde gerissen durch die [1][Flucht von etwa einer Million
Russ:innen nach dem Überfall auf die Ukraine 2022] ins Ausland, durch die
Einberufung von 300.000 Rekruten und der Anwerbung von einer halben Million
Soldaten für den Ukraine-Angriff. Aber auch wegen der Abwanderung
zahlreicher Gastarbeiter:innen aus Zentralasien, wegen
Diskriminierungserfahrung, nicht ausgezahlter Löhne und zunehmenden
Arbeitsverboten in bestimmten Branchen.
Im ersten Halbjahr sei es russischen Unternehmen nur gelungen, ein Viertel
der erlaubten Quote für ausländische Beschäftigte auszuschöpfen, berichtet
die Moscow Times. Da sich Lohnraub und Rassismus in Russland bei Menschen
in postsowjetischen Nachfolgerepubliken herumsprechen und entsprechende
Arbeitskräfte weniger werden, versucht Moskau zunehmend Arbeitskräfte aus
Nepal, Vietnam, Bangladesch und Myanmar zu rekrutieren. Dabei gerät der
Kreml in Konkurrenz zu den reichen Golfstaaten, wo Millionen Menschen aus
diesen Ländern bereits arbeiten.
## Anteil ausländischer Arbeitskräfte seit 2014 um die Hälfte gesunken
German Gref, einflussreicher Chef der Sberbank, Russlands größter
Finanzinstitution, wandte sich an den russischen Staatsrat für Demografie
und Familienpolitik und warnte: „Wir haben uns in letzter Zeit so sehr auf
die Bekämpfung der Inflation konzentriert, dass wir [2][das
Wirtschaftswachstum etwas aus den Augen verloren haben]. Ohne
Wirtschaftswachstum wird es nichts geben.“ Und dafür brauche es
Zuwanderung, so Gref.
Vor der Krim-Annexion 2014 arbeiteten zwischen sechs und sieben Millionen
Ausländer:innen sowohl legal als auch illegal im Land, heißt es in
Schätzungen von Jelena Warschawskaja und Michail Denisenko von der Moskauer
Higher School of Economics. Ihr Anteil auf dem Arbeitsmarkt ist seither von
insgesamt 8,4 bis 10 Prozent aller Beschäftigen um mehr als die Hälfte
gesunken.
Viele in Russland ficht das nicht an: Laut dem Lewada-Zentrum, Russlands
einzigem unabhängigen Umfrageinstitut, wollen 56 Prozent vollständig
geschlossene Grenzen für Menschen aus Zentralasien, der bisherigen
Hauptquelle für ausländische Arbeitskräfte.
23 Dec 2025
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