# taz.de -- Afrika-Cup in Marokko: Ruhe vor den Stadien
       
       > Im Herbst demonstrierte eine ganze Generation in Marokko gegen irrwitzige
       > Investitionen in den Fußball. Vor Turnierbeginn sind die Proteste
       > verstummt.
       
 (IMG) Bild: Für ein anderes Marokko: Demonstranten Anfang Oktober in Rabat
       
       Brahims kleines Business steht am Straßenrand. Der 36-Jährige steht mit
       seinem Auto in einer kleinen Parkbucht zwischen Marokkos Hafenstadt Tanger
       und der westlich gelegenen Kleinstadt Fnideq und hofft darauf, dass
       möglichst viele der Vorbeifahrenden Lust auf einen Kaffee haben. Den braut
       er mit einer in den Kofferraum gebauten Espressomaschine – 10 Dirham kostet
       ein Becher, umgerechnet etwa ein Euro. „An guten Tagen werde ich etwa 20
       Kaffee los“, erklärt er.
       
       Seine vierköpfige Familie kommt über die Runden, weil sie ein paar Hühner
       hält und etwas Gemüse anbaut. Eng wird’s für Brahim und seine Leute, wenn
       jemand krank wird oder sich ernstlich verletzt. Wer im Krankenhaus
       behandelt werden will, muss erst einmal Bares auf den Tisch legen. „Dann
       schmeißt immer die ganze Verwandtschaft zusammen, anders geht’s nicht“,
       erklärt er.
       
       Am 21. Dezember startet der Afrika-Cup in Marokko, das größte und
       wichtigste Sportereignis des Kontinents. Alle freuen sich drauf so wie auf
       die Fußball-WM 2030, die Marokko mit Spanien und Portugal gemeinsam
       ausrichten wird. Auch Brahim ist voller Vorfreude. Aber er fragt sich wie
       so viele andere in Marokko: Sind die Milliarden, die das Land für Stadien
       und die dazugehörige Infrastruktur ausgibt, wirklich gut angelegt?
       
       [1][Neun Stadien in Städten wie Rabat, Casablanca, Tanger, Fes und Agadir
       wurden neu gebaut] oder aufwändig renoviert. Gutachten und Schätzungen
       kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, was die Höhe der Investitionen
       betrifft. Sie werden irgendwo zwischen 2 und 3 Milliarden Euro liegen.
       
       Derlei Investitionen haben im Herbst zu den [2][„GenZ 212“-Protesten]
       geführt. Vorwiegend junge Leute – organisiert über Plattformen wie Discord,
       Tiktok und Instagram – gingen vor allem in den Metropolen Rabat und
       Casablanca auf die Straßen. Mit Slogans wie „Keine Weltmeisterschaft,
       Gesundheit geht vor“ und „Wir wollen Krankenhäuser, keine Fußballstadien“
       protestierten sie gegen den Kurs, Fußballprojekten den Vorzug vor der
       dringend nötigen Reform des Gesundheits- und Bildungssystems zu geben.
       
       Brahim hat an diesen Protesten nicht teilgenommen, sie haben ihm aber
       gefallen. „Die jungen Leute haben doch recht“, sagt er. „Unsere Regierung
       sollte ihnen zuhören. Stattdessen haben sie Demonstranten festgenommen und
       ins Gefängnis gesteckt.“ Tatsächlich hat die Polizei mit willkürlichen
       Massenverhaftungen reagiert, an einigen Orten ist es zu Gewalt gekommen,
       die zum Tod von drei Demonstranten geführt hat.
       
       Seither ist es still geworden um die „GenZ 212“-Bewegung. Man nehme sich
       eine Pause, um die Strategie zu überdenken, ist aus den Reihen der
       Widerständler zu hören. Tatsächlich scheinen die Organisatoren auch durch
       die Verhaftungen eingeschüchtert und geschwächt worden zu sein.
       
       Das glaubt auch Rechtsanwältin Nadia Bakkali aus Rabat. Sie glaubt: „Die
       Verhaftungen haben Wirkung gezeigt und sicherlich eingeschüchtert.“ Auf der
       anderen Seite hätten die Demonstrierenden aber auch die Reaktion von König
       Mohammed VI. wahrgenommen, der ihnen teilweise recht gegeben und
       Verbesserungen versprochen hat: „Das Wort des Königs hat hier in Marokko
       enormes Gewicht. Die Leute – auch die jüngeren – verehren ihn. Er ist quasi
       unantastbar“, erklärt Nadia.
       
       Der marokkanische König hat stets das letzte Wort, wenn es um wichtige
       Entscheidungen im Land geht. Zwar werden die Alltagsgeschäfte von einer
       gewählten parlamentarischen Regierung geleitet, doch wenn es um
       weitreichende Entscheidungen und Beschlüsse geht, zählt allein das Wort von
       Mohammed VI.
       
       Hinzu komme die Kraft des Fußballs, denkt Nadia. „Ganz kurz nach den
       Protesten hier in Rabat im Oktober hatte die marokkanische
       Nationalmannschaft ein WM-Qualifikationsspiel gegen Kongo, das sie mit 1:0
       gewonnen hat. Da wurde im Land gefühlt nur noch über Fußball geredet und
       die Demonstrationen sind thematisch plötzlich ins zweite Glied gerückt.“
       
       War es das also schon mit der [3][GenZ-Revolte] in Marokko? Es ging
       schließlich um gewaltige Forderungen wie hochwertigere Bildung,
       Gesundheitsversorgung, bezahlbaren Wohnraum, besseren öffentlichen
       Nahverkehr, Verbesserung von Löhnen und Renten sowie mehr Arbeitsplätze für
       junge Leute. „Die Bewegung war gewaltig und hat uns hier im Land schon
       ziemlich durchgeschüttelt. Ich glaube nicht, dass die Bewegung einfach so
       wieder gestorben ist“, sagt Nadia Bakkali.
       
       Und Brahim? Er hofft auf das Durchhaltevermögen der jungen Leute: „Ich
       wünschte, es würde sich wirklich etwas verbessern im Land. In den großen
       Städten wird jede Menge investiert. Aber hier bei uns auf dem Land passiert
       nichts. Wir fühlen uns irgendwie im Stich gelassen.“
       
       17 Dec 2025
       
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