# taz.de -- Einfluss von Lobbyisten: Es braucht klare Schranken
> Lobbygruppen wissen genau, wie sie sich einen Weg in die Politik bahnen
> können. Dagegen braucht es ein Bewusstsein und institutionelle Schranken.
(IMG) Bild: Oftmals ist Lobbyist*in ein beliebter Beruf für ehemalige Politiker*innen. Jedoch nicht alle überschreiten diese meist unklare Schranke
Während Sie diesen Beitrag lesen, arbeiten Heerscharen von Industrie- und
Finanzunternehmen, Wirtschaftsprüfer:innen und -anwält:innen,
Stiftungen und Forschungsinstituten – mal leiser, mal lauter – daran, den
Staat auszuhöhlen. Tag und Nacht widmen sich Unternehmens- und
Steuerberatungen der Frage, wie öffentliches Eigentum zugunsten privater
Kapitalgeber liquidiert werden kann. Zeitgleich bahnen millionenschwere
Lobbygruppen den weiteren Ausverkauf öffentlichen Eigentums an.
Denn ohne Lobbyismus ist die Politik staatlicher Selbstentmachtung nicht
denkbar. Dies gilt für die Privatisierung von Schulen und Kliniken ebenso
wie für den Verkauf städtischer Wohnungsbaugesellschaften und
Seniorenheime. Und auch die stetig länger werdende Liste von Projekten, die
als öffentlich-private Partnerschaften umgesetzt werden, ist das Ergebnis
[1][intensiver Lobbyaktivitäten]. Ohne sie würden die Kommunen bei Schulen,
oder der Bund bei militärischen Einrichtungen seltener Firmen mit dem Bau
und Betrieb öffentlicher Infrastrukturen beauftragen, um dann 25 Jahre zum
Teil horrende Mieten zu entrichten. Selbst in kriegerischen Zeiten gerät in
Vergessenheit, dass Privatfirmen an Militäreinsätzen beteiligt werden und
auf diese Einfluss nehmen (können).
Die [2][Bürgerbewegung Finanzwende] hat zutage gefördert, dass der
Finanzindustrie in Deutschland die Lobbyarbeit 442 Beschäftigte sowie mehr
als 40 Millionen Euro pro Jahr wert ist. Stellt man diesem gewaltigen
Engagement die Mitglieder des Finanzausschusses im Deutschen Bundestag
gegenüber, ergibt sich ein Personenverhältnis von zehn zu eins zugunsten
der Finanzlobby. Ungeachtet der im politischen Raum stehenden Forderung,
dass die Bundesregierung ihre externen Beratungen reduzieren solle, steigen
die Kosten kontinuierlich. 1,6 Milliarden Euro flossen in den vergangenen
zehn Jahren für externe Beratungen aus Bundesmitteln. Welchen Einfluss die
führenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaften geltend machen können, zeigen
die von den „Big Four“ verwässerten Branchenvorschriften, die unter anderem
im Wirecard-Skandal gipfelten.
Unzählige Lobbyorganisationen umgarnen Politiker:innen, um ihren Interessen
Nachdruck zu verleihen. Lobbyismus kennt gerade in
„privatisierungsanfälligen“ Bereichen verborgene Wege, um Einfluss zu
nehmen. Dazu zählt auch, dass Gesetzestexte zunehmend von Anwaltskanzleien
ausgearbeitet werden. Darunter fällt auch die Platzierung von
Leihbeamt:innen in Ministerien. Und als neue Spielart des
informationellen Inputs hat in den vergangenen Jahren die
„wissenschaftliche“ Politikberatung an Bedeutung gewonnen. Durch Studien
aus den Federn von Sachverständigenräten, Beiräten, Expertenkommissionen,
Hochschulen, Stiftungen und Thinktanks werden Privatisierungsvorhaben auf
ein vermeintlich belastbares Fundament gestellt, obwohl diese
„Politikberatung auf Weisung“ wissenschaftlichen Kriterien oft nicht
genügt.
Schon lange stehen Lobbyist:innen die Türen zu den politischen
Stellwerken teils weit offen. Es muss jedoch vermutet werden, dass die
Bundesregierung unter der Ägide des ehemaligen
BlackRock-Aufsichtsratsvorsitzenden Friedrich Merz diese Praxis eher aus-
als abbauen wird. Sogar das „[3][Pkw-Maut-Desaster]“, das
Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer zu verantworten hat und
Steuerzahler:innen 270 Millionen Euro kostete, löste keine Abkehr der
Beeinflussung durch die Lobby aus. Das ist nicht nur ein Armutszeugnis für
die öffentliche Verwaltung. Es veranschaulicht zugleich, wie weit die
Abhängigkeiten der öffentlichen Hand von privatwirtschaftlichen Interessen
gediehen sind.
Ohne Lobbyismus ist kaum eine Privatisierung denkbar, aber insbesondere die
Privatisierung der Sozialversicherungssysteme ist nahezu ausschließlich den
parteiübergreifenden, auf Jahre angelegten und auf alle politischen Ebenen
zielenden Lobbyaktivitäten zuzuschreiben. Mehr noch als in anderen
Politikfeldern, in denen an Eckpfeilern der staatlichen Daseinsvorsorge
gesägt wurde, ist die Privatisierung der Altersvorsorge das Ergebnis einer
äußerst geschickten politischen Kampagne. Vermeintlich unabhängige
Institute streuten und streuen so beharrlich wie regelmäßig die
Argumentation, dass die alten Generationen auf Kosten der jungen lebten.
Tatsächlich ist die Mehrzahl dieser „Denkfabriken“, die an der
Schnittstelle zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Öffentlichkeit
operieren, nicht nur ideell, sondern auch finanziell mit der
(Finanz-)Wirtschaft verwoben: So wird das Deutsche Institut für
Altersvorsorge, das „sich als Plattform eines umfassenden Diskurses zur
Altersvorsorge und Generationengerechtigkeit“ versteht, von Unternehmen der
Finanzwirtschaft getragen. Zu den Gesellschaftern gehören neben der
Deutschen Bank die DWS Group, die BHW Bausparkasse und die Zurich Gruppe
Deutschland. Ihr Ziel ist es, Menschen zu informieren, zu sensibilisieren
und zu aktivieren, damit sie fundierte Entscheidungen für ihre finanzielle
Absicherung im Alter treffen können. Das Engagement der Finanzwirtschaft
für finanzielle Bildung an Schulen muss als weiterer Beleg gelten.
Ein Ende der Privatisierungsspirale ist nur denkbar, wenn sich ein breites
öffentliches Bewusstsein dafür entwickelt, dass Verschlechterungen der
Daseinsvorsorge das Ergebnis von Lobbyarbeit sind. Aber wann endlich werden
höhere Preise für die Strom- und Gasversorgung oder kaum noch
erschwinglicher Wohnraum als Folgen der lobbyistisch motivierten
Privatisierungspolitik begriffen? Fest steht: Würden die täglich in
Erscheinung tretenden Negativfacetten des Ausverkaufs staatlichen Eigentums
von uns als Folge von Lobbyaktivitäten ernst genommen, wäre der Unmut
gegenüber der Entstaatlichungspolitik größer. Gesellschaftliche
Sensibilisierung reicht aber nicht aus. Es braucht institutionelle
Schranken für Lobbyaktivitäten, wenn sich das neoliberale Credo des
„schlanken“ Staates nicht länger in politischen Entscheidungen
niederschlagen soll. Andernfalls drohen die Säulen der öffentlichen
Daseinsvorsorge endgültig ins Wanken zu geraten.
16 Dec 2025
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(DIR) Tim Engartner
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